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Fürstenfeldbruck: Emanuel Rotstein über seinen Film „Der elfte Tag“ und das Gedenken an das Olympia-Attentat – Fürstenfeldbruck | ABC-Z

Der Münchner Regisseur und Produzent Emanuel Rotstein hat seinen Film „Der elfte Tag“ über einige Überlebende des Olympia-Attentats von 1972  im Landratsamt Fürstenfeldbruck gezeigt. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ging es auch um ein würdiges Gedenken an die Opfer. Der Tower auf dem Rollfeld des Fliegerhorstes, auf dem sich das Massaker an den israelischen Sportlern ereignete, steht dafür bis heute nicht zur Verfügung. Die SZ sprach mit Rotstein über seinen Film und die Erinnerungskultur.

SZ: Wie kamen Sie auf die Idee einer solchen Dokumentation?

Emanuel Rotstein: Ich habe damals als Produzent für den History Channel gearbeitet, wo ich den Fokus auf historisch relevante Jahrestage legte. Dabei sollten lokale Geschichten mit globaler Bedeutung und aus einer neuen Perspektive erzählt werden. In dem Zusammenhang habe ich entdeckt, dass es zum Olympia-Attentat zwar einige Filme gab, darunter „München“ von Steven Spielberg. Aber aus der öffentlichen Wahrnehmung völlig verschwunden waren diejenigen israelischen Sportler, die damals dem Anschlag entgingen.

Dan Alon, Henry Hershkovitz, Shaul Paul Ladany, Avraham Melamed, Zelig Shtorch, Gad Tsabary und Yehuda Weinstain flogen damals mit den Särgen ihrer ermordeten Sportkameraden nach Israel zurück. Wie war deren erste Reaktion, als Sie Kontakt aufnahmen?

Gemischt. Einerseits wollten sie einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten, andererseits gab es die klassische Scham derer, die überlebt hatten: Wer sind wir schon, uns ist ja nichts geschehen; es steht uns nicht zu, über diese Geschichte zu sprechen. Das prägte die Diskussion mit den Überlebenden.

Der Sportschütze Shtorch sagt im Film, er hätte aus dem Appartement, in dem er versteckt war, einen der arabischen Terroristen erschießen können, das hätte den Lauf der Geschichte geändert. Deshalb machten ihm Angehörige hinterher Vorwürfe.

Das betrifft nicht nur ihn. Die Gräben zwischen Überlebenden und manchen Angehörigen sind tief, das ist schmerzhaft. Auch in Israel standen die Überlebenden bei Gedenkveranstaltungen stets in der hinteren Reihe.

Regisseur Emanuel Rotstein mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der jüdischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bei der Vorführung seines Films „Der elfte Tag“ im Landratsamt Fürstenfeldbruck. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Praktisch alle zeitgeschichtlichen Dokumentationen arbeiten mit Überlebenden, das Olympia-Attentat ist die große Ausnahme. Verwunderlich ist, dass vor Ihnen kein Regisseur auf die Idee kam. Haben Sie eine Erklärung, woran das liegen könnte?

Die Erinnerung an die Ereignisse wurde primär von den Witwen Ankie Spitzer und Ilana Romano geprägt. In deren Narrativ hatten die Überlebenden keinen besonderen Stellenwert. Dieses Narrativ übernahmen dann auch die meisten meiner Dokumentarfilmkolleg*innen.

Der Film war jedenfalls ein Erfolg.

Ja, die Dokumentation wurde weltweit im Fernsehen und auf vielen Festivals im Kino gezeigt.

Sie sind seit damals in Kontakt mit dem Landratsamt Fürstenfeldbruck.

Wir sind seit 2011 in regem Austausch, sie haben mich bei meinen Recherchen sehr unterstützt.

Insofern wissen Sie um die Schwierigkeiten der Erinnerungskultur. Bis heute steht das Gelände vor dem Tower nicht zur Verfügung, erst kurz vor dem 50. Jahrestag 2022 hat die Bundesregierung den Angehörigen eine Entschädigung und Aufarbeitung zugesagt.

Immerhin gibt es den Gedenkstein in München, der bereits 1972 aufgestellt wurde, den Gedenkort Einschnitt im Olympiapark seit 2017 als würdige Ergänzung, dazu hat der Landkreis Fürstenfeldbruck neben dem Denkmal am Fliegerhorst von 1999 von Hannes L. Götz einen virtuellen Erinnerungsort geschaffen. Ja, es ist ein wenig zäh über die Jahre. Aber ich verstehe, dass es juristisch und vor allem politisch schwierig ist und es diesen Hickhack gibt.

Inwiefern?

Die Vorgänge sind längst nicht komplett aufgearbeitet und ich begrüße die Initiative der Bundesregierung, die 2023 eine hochrangige Historikerkommission für eine umfassende Aufarbeitung eingesetzt hat. Es gibt die berühmte Geschichte, wonach die Terroristen die Vorbereitungen der Polizei live verfolgen konnten, eine dramatische Szene in dem preisgekrönten Film „September 5“, der im Januar anlief. Nach Ansicht der Historiker hat sich das scheinbar als falsch herausgestellt, die Terroristen hatten nicht mal einen Fernseher. Die Hinterbliebenen pochen zu Recht auf einer Aufarbeitung, das ist aus Sicht der Bundesregierung nicht unproblematisch. Die bundesdeutschen Verstrickungen vor und nach dem Anschlag sind nicht aufgearbeitet. Wer weiß, was noch in den Akten der Behörden zu finden ist, ob es juristische Konsequenzen hat. Dazu kommt der Nahostkonflikt, der so komplex, brisant und aktuell ist. Das alles spielt für die Erinnerungskultur eine Rolle. Das Attentat ist kein klar abgeschlossenes Ereignis aus der Vergangenheit.

Emanuel Rotstein ist 45 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in München. Nach dem Studium in London widmete er sich der Entwicklung und Produktion zahlreicher Dokumentarfilme für das deutsche und internationale Fernsehen – mit besonderem Fokus auf historische und gesellschaftspolitische Themen, darunter „Die Befreier“, „Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte“ sowie „The Invisible Line – Die Geschichte der Welle“. Zuletzt leitete er als Head of Documentaries den non-fiktionalen Bereich bei der Bavaria Fiction. Dort entstand unter seiner Leitung „Der Parkhausmord – Wer tötete Charlotte Böhringer?“ für den Sender Sky und das biografische Porträt „Ultraorthodox – Der Kampf des Rabbi Akiva“ für ZDF und 3sat. Aktuell entwickelt Emanuel Rotstein neue dokumentarische Projekte, die sich ebenfalls mit bislang wenig beleuchteten Aspekten deutscher Geschichte beschäftigen – darunter die Verbindung der Nazis und Hollywood sowie der deutsche Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia.

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