Für Putin ein Zeichen der Schwäche | ABC-Z
Syriens langjähriger Machthaber Baschar al-Assad war für Moskau nicht nur ein Verbündeter, der immer wieder im Kreml und in Sotschi am Schwarzen Meer zu Gast bei Präsident Wladimir Putin war. Er war ein Symbol, dass Moskau seine Schützlinge nicht im Stich lasse, sie unterstütze im Kampf gegen gemeinsame Feinde, war ein Zeichen dafür, dass man nicht abermals etwas zulasse wie 2011 das blutige Ende des libyschen „Revolutionsführers“ Muammar al-Gaddafi.
„Versuche des Westens, Farbenrevolutionen anzuzetteln“, seien zum Scheitern verurteilt, lautete die russische Sprachregelung auch für den Nahen Osten und Nordafrika. Als Moskau Ende September 2015 aufseiten Assads in den syrischen Bürgerkrieg eingriff, sprach Patriarch Kirill, das Oberhaupt der putintreuen Russischen Orthodoxen Kirche, gar von einem „heiligen Kampf“ gegen „Terroristen“. Moskau unterstützte Assads Linie, alle Gegner als „Terroristen“ zu brandmarken und zu bekämpfen.
Putin selbst benutzte das Thema, um sich auch vor westlichem Publikum als effektiver Antiterrorkämpfer zu inszenieren, etwa mit einem Konzert im wieder eroberten Palmyra vor antiker Kulisse im Mai 2016, und hob regelmäßig hervor, Assad im Kampf um die Wiederherstellung der „territorialen Integrität“ Syriens zu unterstützen. Dass Assads Position dank russischer und iranischer Waffenhilfe wieder gefestigt schien, schrieb sich Putin selbst zugute, und nahm dafür öffentlich im Stil eines Paten den Dank seines Protegés entgegen.
Die Wagner-Miliz kämpfte jahrelang in Syrien
Als Außenminister Sergej Lawrow am Samstag abermals Syriens „territoriale Integrität und Souveränität“ beschwor, deuteten die Berichte aus dem Land freilich schon auf einen baldigen Sturz Assads hin. Putin selbst hielt sich dazu bedeckt, wie stets, wenn die Nachrichten für ihn schlecht sind; am Dienstag telefonierte er mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und bestand laut Kreml auf einem „raschen Ende der terroristischen Aggression gegen den syrischen Staat durch radikale Gruppierungen“. Tags zuvor sprach er mit dem iranischen Präsidenten Massud Peseschkian über die Lage.
Zugleich meldete Russlands Militär täglich im rhetorischen Stil der Bombenkampagne für Assad zu Beginn des russischen Syrien-Einsatzes, zahlreiche „Terroristen liquidiert“ zu haben. So hieß es noch am Samstag, die russische und die syrische Luftwaffe hätten zusammen Angriffe in den Provinzen Idlib, Aleppo und Hama geflogen und dabei „mehr als 300 Terroristen, 55 Einheiten Automobiltechnik und ein Lager mit materiellen Mitteln vernichtet“. Dabei hatte sich längst gezeigt, dass das Engagement von Assads Unterstützern nicht mehr ausreichte. Russlands Botschaft in Damaskus forderte die Russen am Freitag auf, Syrien zu verlassen, „mit kommerziellen Flügen“, das heißt: nicht auf eine Evakuierung zu warten.
Putin, so schrieben Beobachter jahrelang, habe in Syrien gesehen, dass er dem Westen mit einem entschiedenen, brutalen Auftreten Grenzen aufzeigen, dass er Fakten schaffen könne. Immer wieder hat Putin die Bedeutung dieses Einsatzes hervorgehoben, etwa dafür, dass sein Militär Waffen testen und Routine gewinnen könne. Dabei ging es vor allem um die Luftwaffe, aber auch, wie Moskau nach Verlusten schließlich zugab, um „Spezialkräfte“ am Boden. Zudem kämpfte jahrelang die Wagner-Miliz in Syrien; ihre Freischärler festigten auch mit Foltermorden ihren Ruf, und manche von ihnen wechselten zwischen der Ukraine und diesem Kriegsschauplatz.
Vermutlich spielte die syrische, für Putin positive Erfahrung auch eine Rolle bei seiner Entscheidung für den Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022. Jetzt erscheint Assads (mindestens politisches) Ende daher auch als neues Zeichen dafür, wie Putin Russlands Kräfte überschätzt, auch überstrapaziert hat. Von der überragenden Bedeutung des anderen, viel größeren Kriegsschauplatzes zeugten dieser Tage Moskauer Vorwürfe an die Ukraine, die Assad-Gegner bei deren Vormarsch zu unterstützen. So sagte Wassilij Nebensja, Russlands Vertreter bei den Vereinten Nationen, Kiew bewaffne die „Terroristen“ mit Drohnen und GPS-Modulen.
Russland ist jetzt auf Erdogan angewiesen
Vor Beginn der Bombenkampagne für Assad 2015 hatte Russland den Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim im Geheimen aufgebaut; vor sieben Jahren wartete dann Assad dort Putin auf, als dieser zu einem Siegesbesuch anflog und seine Truppen pries. Hmeimim und der schon auf die sowjetische Zeit zurückgehende Flottenstützpunkt in Tartus projizieren russische Macht ins östliche Mittelmeer. Manöver, auch gemeinsam mit China, sollten sie bekräftigen. Auch jetzt sagte Lawrow gegen Medienberichte, nach denen Russland Marineschiffe aus Tartus abziehe, diese seien bloß zu „Übungen“ ausgelaufen. Zusammen mit Appellen zu „Dialog“ von „Opposition“ und „Regierung“ und Vorwürfen an die Vereinigten Staaten wirkte das vor allem ratlos. Zumal Lawrow zugleich hervorhob, dass die Beziehungen zur Türkei, dem wichtigsten Förderer der Assad-Gegner, „normalisiert sein müssen“, wofür „wir alles tun“.
Denn jetzt ist Russland in der misslichen Lage, auf andere, insbesondere Erdogan, angewiesen zu sein, um seine Interessen in Syrien zu wahren. Denn sie dürften infrage stehen. In der Nacht auf Sonntag schrieb der Staatsfernsehkriegsreporter Alexandr Sladkow, der auch in Syrien im Einsatz war, auf Telegram von der „Unlust“, den „syrischen Flop“ zu kommentieren. Entweder man verlasse jetzt Syrien entgegen der eigenen Selbstachtung, „oder wir bleiben und vergeuden Menschen und Granaten“. Russland könne „versuchen, die Basen in Hmeimim und Tartus zu bewahren“, regte Sladkow an. „Aber nicht mit viel Blut.“
Alexandr Baunow von der Carnegie-Denkfabrik schrieb nun auf Telegram, was Russland für Assad in zwei bis drei Jahren erobert habe, habe es „in zwei, drei Tagen verloren“. Baunow erinnerte daran, wie sich russische Vertreter über das Scheitern des Westens in Afghanistan unter dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden lustig gemacht hatten. Werde man in Moskau „jetzt auch über den Zustand des russischen Führers und die Ergebnisse der russischen Hilfe Witze machen?“, fragte Baunow rhetorisch. Das Wichtigste aber sei, welche Schlüsse der künftige amerikanische Präsident Donald Trump aus dem raschen Ende der Truppen von Moskaus syrischem Verbündeten ziehen werde. Dahinter steht der Gedanke, dass Assads Sturz für Putin ein Zeichen der Schwäche aussendet.