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Fünft Jahre nach Massenprotesten: Wie geht es der Opposition in Belarus? | ABC-Z

Stand: 09.08.2025 04:18 Uhr

Vor fünf Jahren begann die sogenannte Pantoffel-Revolution in Belarus gegen Präsident Lukaschenko. Massenproteste gegen eine mutmaßlich gefälschte Wiederwahl ließ er mit Gewalt beenden. Wie steht es heute um die Opposition?

Von Stefanie Markert, ARD Moskau

Sie hat sich getraut. Eine Frau in Minsk sitzt mit dem Rücken zu ihrer Kamera im Gegenlicht. Man sieht nicht, was sie aus dem Standard-Neubaufenster sieht, aber man hört, was sie beobachtet – in ihrem Land fünf Jahre nach den Massenprotesten. Sie sagt, dass die Repressionen sich nach 2020 verstärkt haben. Täglich würden Menschen festgenommen. Das sei kein Geheimnis, denn die Staatsmedien würden damit prahlen.

Ich erfahre es auf YouTube. Die Leute haben sich wieder abgekapselt, sind verstummt. Wir können gerade kaum was ausrichten. Der Schmerz, das Leid, die Verbitterung, es 2020 nicht geschafft zu haben, verhindern, dass wir die Schultern durchdrücken. Die Zeit ist noch nicht reif.

Es gibt noch Oppositionelle

Damals hatte sie Hoffnung, ging wählen, geriet aber an die Miliz. Die Videoclips hat sie deshalb gleich nach dem Senden an die ARD wieder von ihrem Handy gelöscht. Sie hofft, für das Regime nicht interessant genug für eine Verfolgung zu sein.

“Man sagt, 500.000 bis eine Millionen Menschen sind vor drohendem Gefängnis geflohen. Wir hoffen, dass sie Belarus nicht vergessen. Wir haben 2020 gesehen, was wir können und wie viele wir sind.” Es gebe noch Oppositionelle, doch es sei naiv zu glauben, dass sie die Machthaber stürzen könnten. “Aber kommen die Bedingungen zusammen, werden wir nicht in unseren Hütten sitzen, sondern auf die Straße gehen. Bis dahin warten wir einfach ab.”

Die Leute zögen sich in die Familien zurück, auf ihre Datschen. Sie zeigten nicht, dass sie sich eigentlich für Politik interessieren. Macht und Volk lebten jeder für sich. Es gebe Hunderttausende wie sie, ist sich die Frau sicher. Der autoritäre Präsident sieht die Dinge anders.

Lukaschenko: “Böser Streich” des Volkes

Im Januar sagte Lukaschenko auf der Veranstaltung “Marathon der Einheit”: “Wir sind gutgläubig. Und diese Eigenschaft des belarussischen Volkes hat uns in der Geschichte des unabhängigen Belarus einen bösen Streich gespielt, als 2020 ein Teil unserer Menschen an ein attraktives wohlhabendes Leben im Ausland glaubte. Sagen wir es offen: Wir haben uns fast selbst zerstört. Aber das war eine sehr wichtige, notwendige Impfung für unseren Organismus. Und alle unsere Gegner und Feinde müssen verstehen: Hofft nicht darauf. Wir werden niemals wiederholen, was 2020 war.”

 

Es scheint, Lukaschenko sitzt fest im Sattel. Als Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist er mit Sanktionen belegt. Zudem hängt Belarus ökonomisch am Tropf Moskaus und die Wirtschaft wächst langsamer als im Vorjahr.

Die Präsidentenwahl 2025 hat Lukaschenko trotzdem mit über 80 Prozent gewonnen. Nach dem Besuch des US-Gesandten Keith Kellogg entließ er sogar gönnerisch 14 Oppositionelle aus der Haft. Fährt der Herrscher in Minsk einen neuen Kurs?

Mitnichten urteilt die Frau am Fenster: “Die Machthaber brauchten eine Abschwächung der Sanktionen und so begannen sie, mit Menschen, mit politischen Gefangenen zu handeln. Jetzt ist alles instabil, man weiß nicht, wohin der Vektor für unsere Machthaber ausschlägt. So beschlossen sie, wieder ein doppeltes Spiel zu spielen – in Richtung Westen und weiter in Richtung Russland.”

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin (Archiv).

Freilassung nach 18 Jahren Straflager

Sie habe sich aber riesig gefreut, dass auch der prominenteste Oppositionelle, Sergej Tichanowski freikam und alle nach Litauen ausreisen durften. Dem Blogger und Produzenten wurde zum Verhängnis, dass er damals als Präsident kandidieren wollte. Wegen Organisation von Massenaufständen wurde er zu 18 Jahren Straflager mit verschärftem Regime verurteilt.

Völlig abgemagert gab er nach seiner Freilassung auch der ARD ein Interview. Darin bricht er in Tränen aus, als er schildert, wie seine Frau der Tochter sagt: Das ist dein Papa! “Aber unsere Tochter sah mich an, sie hatte ein anderes Bild im Kopf. Sie erinnerte sich nicht an mich. Das war psychologisch ein sehr schwerer Moment. Sie stürzte sich auf mich, umarmte mich und ließ mich lange nicht los. Sie konnte es nicht glauben.”

 

Seine Gattin Swetlana, die er nur schüchtern kannte, kandidierte damals für ihren Mann und wurde mit anderen Frauen zur Ikone des Widerstands. Ihr gelang die Flucht nach Litauen. Ihr seid frei, muntert sie nun die Haftentlassenen auf.

Ich weiß, sich daran zu gewöhnen, ist schwer. Wer fühlt sich kräftig genug? Vereinen wir uns, arbeiten wir weiter. Denn es sind noch über tausend Menschen.

Tichanowskaja meint damit die mutmaßliche Zahl politischer Häftlinge in Belarus. Und ihr Mann sagt im ARD-Interview, was er sich vom Westen erhofft.: “Die Europäer müssen auf jeden Fall ihre Position beibehalten: keine Kommunikation mit dem Regime, bis alle politischen Gefangenen frei sind. Damit Lukaschenko das schneller versteht, muss ein neues Sanktionspaket vorbereitet werden. Lässt Du die Menschen nicht frei, wird das passieren. Erst danach kann man über Reformen reden. Vorher auf keinen Fall.”

Er will die Opposition einen und die Diaspora mobilisieren. Während in Minsk die Frau am Fenster – wie wohl viele in Belarus – in der Warteschleife hängt.

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