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Der letzte seiner Zunft im Landkreis Freising: Walter Thumann spricht über die Krise im Klavierbau – Freising | ABC-Z

Hinter niedrigen Zäunen und zwischen Weintraubenreben liegt die Werkstatt von Walter Thumann im beschaulichen Örtchen Giggenhausen im Landkreis Freising. Wer eintritt, riecht sofort das Fichtenholz und sieht die Klaviere, die dicht an dicht stehen. Schwarze Gehäuse, poliert bis zum Spiegelglanz. Sie heißen Seiler, Sauter, Förster. Allesamt hochwertige Instrumente aus Deutschland, deren Klang man bis tief in den Bauch hinein spürt. Mal polternd, mal romantisch, aber immer stimmungsvoll. „Was gibt es Schöneres, als die Gefühle so auszudrücken?“, fragt Walter Thumann, während er eine Klangprobe gibt. Und doch befindet sich die Branche der Klavierbauer in einer veritablen Krise: Der Absatz von hiesigen Markenprodukten ist gesunken, der von günstigeren E-Pianos aus Asien nimmt dagegen zu.

Thumann kennt sich bestens aus: Als Klavierbauer ist er ein Experte auf dem Gebiet. Er justiert, poliert, stimmt. Im Landkreis Freising ist er der letzte seiner Zunft und stimmte schon für echte Weltstars die Tasteninstrumente, etwa für Elton John. Dankeskarten in seiner Werkstatt berichten von diesen Aufträgen – adressiert sind sie teilweise an „dearest Walter“, den liebsten Walter.

Aber Thumann ist besorgt. Denn die Klavierbranche befinde sich in einer Krise, erklärt er. Immer weniger der edlen Instrumente werden in Europa – oder gar in Deutschland – produziert. „Dadurch gehen Wissen und Erfahrung verloren.“ Das war nicht immer so.

Noch in den 1920-er Jahren habe es eine florierende Produktion von Klavieren in Deutschland gegeben, erzählt Thumann. Ohne Fernseher oder gar Smartphones sei das Klavierspiel damals für viele wohlhabende Familien oft die einzige Unterhaltungsquelle gewesen. Heute sieht das anders aus. „Früher hat man sich mehr Zeit genommen und genossen. Heute geschieht alles nebenbei“, findet Thumann. Das Instrument werde nicht gezielt genutzt, die Aufmerksamkeitsspanne sei oft erschreckend kurz und die Gesellschaft eher auf Schnelllebigkeit aus. Das sei äußert bedauerlich, findet Thumann, aber nicht der einzige Grund für die Krise.

E-Pianos aus Asien seien eine gewaltige Konkurrenz für die deutsche Produktion, erklärt der Klavierbauer. Preislich sind diese Instrumente natürlich um einiges günstiger als etwa ein Seiler oder Sauter. Klanglich seien sie aber nicht vergleichbar mit den Instrumenten berühmter Hersteller, sagt Thumann. Was fehle, sei ein guter Resonanzboden. Bei einem guten Instrument bestehe dieser aus massiver Fichte. Diese Holzart könne in asiatischen Ländern aber aufgrund der dort herrschenden klimatischen Verhältnisse leicht reißen, weswegen eher auf Schichtholz gesetzt werde. Der Ausdruck und die Emotionen würden beim Spielen darunter leiden oder gar fehlen. „Klanglich gibt es einfach einen Unterschied.“

Viel Fingerspitzengefühl bedarf es bei der Reperatur eines Instruments. (Foto: Marco Einfeldt)

Und irgendwie müssen die Pianos von Asien nach Europa gelangen. Meistens geschieht das mit großen Containerschiffen auf dem Seeweg. Eine ziemliche Umweltbelastung, findet Thumann. „Wenn man diese Strecken zusammenrechnet, tut man der Umwelt mit einem deutschen Klavier vielleicht einen Gefallen.“

Bei richtiger Pflege können diese Instrumente sehr alt werden. Bis zu 80 Jahre. Und teilweise sogar noch älter: Thumann zeigt auf ein hellbraunes Tafelklavier in seiner Werkstatt, das ihm einst angeboten wurde. In filigraner goldener Schrift ist die Jahreszahl 1786 auf dem Holz geschrieben. Ein Liebhaberstück sei es, sagt der Klavierbauer, da habe er einfach nicht nein sagen können. Er spielt gleich ein paar Takte. Das klingt trotz des stattlichen Alters von 250 Jahren erstaunlich gut. Damit ein Klavier so lange überlebt, müsse es nur regelmäßig gestimmt, gewartet und vielleicht mal repariert werden. Doch das sei kein Problem, sagt Thumann, denn Ersatzteile gebe es immer. „Das Innenleben eines Klaviers sieht heute genauso aus wie 1903.“

Heute werden in Deutschland etwa 3000 Klaviere im Jahr gebaut, die Branche ist überschaubar. Zum Vergleich: 1925 waren es etwa 135 000 Klaviere. Steinway ist mittlerweile geschlossen, Schimmel hat die Hälfte seiner Mitarbeitenden entlassen und Sauter steht ebenfalls vor dem Aus. Die Zahl der Beschäftigten bei den Klavierherstellern schrumpft rapide. „Im letzten Jahr haben nur 30 in ganz Deutschland die Ausbildung begonnen“, sagt Thumann. Tendenz sinkend. „Die Kunst geht verloren.“

Walter Thuman baut Tasten in ein Klavier ein.
Walter Thuman baut Tasten in ein Klavier ein. (Foto: Marco Einfeldt)

Dabei seien deutsche Klavierbauer weltweit sehr gefragt, die Ausbildung genieße eine besonders hohe Wertschätzung. Denn sie vereint Kenntnisse über Physik, Akustik und Holzverarbeitung. Vor allem aber sei dieser Beruf eins: Kundenarbeit. „Es ist nicht so wie bei Meister Eder“, sagt Thumann. Er selbst schnitzt keine Einzelteile, sondern justiert, poliert, stimmt und berät.

Ein deutsches Klavier von einem Markenhersteller ist nicht gerade günstig, fängt doch der Preis oft bei 25 000 Euro an. Zudem ist das Instrument recht groß und braucht viel Platz und Zuwendung. Und sein Besitzer braucht das nötige Kleingeld für etwaige Reparaturen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist dies für viele Familien ein ernstes Problem. Mit diesen sieht sich Sebastian Brand, Musiklehrer am musischen Camerloher-Gymnasiums in Freising, in Beratungsgesprächen konfrontiert. Natürlich sei ein echtes, ein hochwertiges Instrument besser für den Musikunterricht. Aber: „Mit einem E-Piano ist es auch möglich, die Erfordernisse zu erfüllen“, sagt Brand. Die Anschläge seien mittlerweile fast genauso gut, wie bei einem echten Klavier. Und klanglich seien die heutigen Exemplare nicht mehr mit denen aus den Achtzigerjahren vergleichbar, die mit ihrem Synthesizer-Sound eher an Pink Floyd als an Bach erinnerten. Mit einem elektrischen Klavier ans Camerloher? „Gar kein Problem“, sagt Brand daher. Auch gebe es die Möglichkeit, hochwertige Klaviere zu mieten, ergänzt Thumann.

Der Branche gehe es so schlecht wie nie, sagt der Klavierbauer. In Zeiten der Corona-Pandemie habe es einen kleinen Aufschwung gegeben, doch der sei mittlerweile wieder abgeebbt. Krieg und Krisen beeinflussen die Kaufkraft der Menschen und damit das Geschäft. „Dabei ist Musik wichtig fürs Leben. Kunst und Kultur machen uns aus“, sagt Thumann.

Das Werkzeug, mit denen Walter Thumann Klaviere repariert.
Das Werkzeug, mit denen Walter Thumann Klaviere repariert. (Foto: Marco Einfeldt)

In diesem Jahr feiert seine Werkstatt ihr 25-jähriges Bestehen, 2000 hatte er sich selbständig gemacht. Kein einfacher Weg: Halbtags arbeitete Thumann bei UPS und lieferte Container aus, mittags empfing er eigene Kundschaft. Zuvor hatte er nämlich alle Schulen und Pfarrämter im näheren Umkreis von Giggenhausen angeschrieben, die ein Klavier besaßen. Ob sie jemanden bräuchten, der die Instrumente stimme? Das Echo war groß und es dauerte dann nicht lange, bis die ersten Prominenten ihre Instrumente von ihm stimmen ließen. „Man lernt viele Menschen kennen“, sagt der Klavierbauer.

Und so arbeitet Thumann weiter, ruhig und konzentriert, zwischen Fichtenholz und alten Mechaniken. Er weiß, dass seine Branche schrumpft und dass sich vieles verändert hat. Doch für ihn gilt etwas anderes: Ein gutes Instrument braucht Zeit – und jemanden, der sie ihm gibt.

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