Führung zu weiblichen Häftlingen im KZ Dachau – Dachau | ABC-Z

Das Schicksal weiblicher Gefangener im KZ Dachau stand heuer im Mittelpunkt eines vom Dachauer Forum initiierten Kreuzwegs in der KZ-Gedenkstätte am „Palmfreitag“, also kurz vor Beginn der Karwoche. Der Kreuzweg ist eine alte katholische Tradition, die in meist 14 Stationen an den Weg Christi von dessen Verurteilung durch Pontius Pilatus bis zur Grablege erinnert. Seit einigen Jahren gibt es diesen Brauch in abgewandelter Form auch in der Gedenkstätte, bei dem beispielsweise ukrainische Häftlinge, Geistliche im Lager oder jüdische und muslimische Häftlinge im Fokus standen. Mit kurzen Bibellesungen, Gebeten, Biografien und Meditationen spannte Judith Einsiedel, Leiterin der katholischen Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte, einen weiten Bogen vom Leiden der etwa 8000 Frauen, die in Dachau und seinen Außenlagern mit Zwangsarbeit – auch im Lagerbordell – mit pseudomedizinischen Versuchen und anderen Grausamkeiten gequält wurden, hin zu Tröstlichem und Hoffnungsfrohem, das Christen in den Evangelien finden.
Jedes dieser Frauenschicksale wühlt auf, eröffnet einen ganz anderen Blick auf die frauenaffinen Passagen aus den Evangelien – und wirkt nach. Wie beispielsweise das Leben der Niederländerin Mary Vaders, das vor dem sogenannten Bunker, dem Lagergefängnis, zu hören war. Die Sekretärin der NS-Amtsdirektion in Den Haag nutzte die Chancen dieser Behörde zur Unterstützung von Widerstandsgruppen und war selbst aktives Mitglied einer Gruppe. Im Juni 1944 wurde sie von der Gestapo verhaftet. Sie galt als politischer Häftling, die Nazi-Schergen merkten glücklicherweise nicht, dass sie lesbisch war. Mary Vaders wurde in verschiedene Konzentrationslager deportiert, bis sie schließlich im Oktober 1944 nach Dachau gelangte und dort im Außenlager Agfa-Kamerawerke in München-Giesing Zwangsarbeit leisten und Zeitzünder für Flakgranaten herstellen musste.
Die Gemeinschaft von 200 weiteren Niederländerinnen und etlichen Sloweninnen nahm ihr Schicksal aber nicht widerspruchslos hin. Am 12. Januar 1945 streikten sie – fast unvorstellbar angesichts der drohenden Repressalien – und erkämpften sich eine bessere Verpflegung. Für das NS-Personal war Mary Vaders die Rädelsführerin. Sieben Wochen verbrachte sie in Einzelhaft im Bunker, Nahrungsentzug, Dunkelheit, Misshandlungen und Krankheit inbegriffen. Am 30. April 1945 wurden sie und ihre Leidensgenossinnen bei ihrem – erzwungenen – Marsch nahe Wolfratshausen von amerikanischen Truppen befreit. Mary Vaders wurde zur Mitbegründerin und Generalsekretärin der Stiftung Frauenkomitee Dachau und organisierte bis in die 1990er-Jahre regelmäßige Treffen für die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen. Sie starb 1996. Ihre Gedichte machen noch immer ihre grauenvollen Erlebnisse sichtbar.
„Aufwärmversuche mit animalischer Wärme“
Ganz anders verlief das Leben von Ursula Krause, die am Internationalen Mahnmal wieder eine Stimme bekommt. Sie wuchs in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad in einem sogenannten Fürsorgeheim auf. Es braucht keine große Fantasie, um sich die Bedingungen dieser Kindheit und Jugend vorzustellen. Sie wird Damenschneiderin und 1941 in das Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt. Der Grund: Sie sei als unverheiratete Frau zweimal „geschlechtskrank“ gewesen, schreiben die Nazis in ihren Akten. Damit ist sie als Prostituierte abgestempelt, kommt in den sogenannten Hurenblock und wurde vermutlich auch noch mit dem schwarzen Wimpel als „Asoziale“ gebrandmarkt. Ursula Krause sieht nur einen Ausweg, um dieser Tortur zu entkommen: Sie meldet sich für eine Verlegung in ein sogenanntes Häftlingsbordell in einem KZ. Dafür werden ihr bessere Haftbedingungen und eine Entlassung nach sechs Monaten versprochen. Sie und drei weitere Frauen werden im Oktober 1942 nach Dachau geschickt, wo sie dem SS-Arzt Sigmund Rascher in die Hände fallen.
Rascher hatte sich auf „Aufwärmversuche mit animalischer Wärme“ spezialisiert. Um dieses völlig unsinnige, gruselige Menschenexperiment durchzuführen, hatte er vier antiziganistisch verfolgte Frauen „angefordert“. Doch Ursula Krause hatte „einwandfrei nordische Rassemerkmale“: blonde Haare, blaue Augen und eine entsprechende Kopfform. Sie war damit nach dem abartigen Verständnis der Nazis für die Menschenversuche nicht geeignet. Diese sahen vor, dass sowjetische Kriegsgefangene bis zur Bewusstlosigkeit in Eiswasser unterkühlt und zwischen nackten Frauen wieder aufgewärmt werden sollten. Zur Aufwärmphase gehörte auch Geschlechtsverkehr. Ursula Krause entging dieser Prozedur und wurde im Dezember 1942 aus der dem Dachauer KZ entlassen. Von da an verliert sich ihre Spur. Forschende gehen davon aus, dass sie die NS-Zeit überlebt hat. Und dass sie nach 1945 keine Anerkennung als Verfolgte des Nationalsozialismus erlangt hat. Denn erst 2020 beschloss der Bundestag, dass Menschen, die als „Asoziale“ unter dem NS-Regime verfolgt worden waren, grundsätzlich diese Anerkennung erhalten.
Was bleibt von diesem aufwühlenden Kreuzweg, bei dem noch das Leben von Ella Lingens, Miriam Rosenthal und Ruth Westheimer schlaglichtartig beleuchtet wurde? Der dringende Wunsch, dass die Biografien von Frauen im KZ viel stärker ins Bewusstsein gelangen. Denn sie könnten gerade für junge Mädchen und Frauen Vorbilder und Leitfiguren sein, wenn die Gefahr besteht, in die rechte Szene abzurutschen. Was noch bleibt? Die Gewissheit, dass es – auch und gerade in diesen verwirrenden Zeiten – Mitgefühl, Trost, Mut und Zuversicht braucht. Und das hat dieser Kreuzweg auch gegeben.