Führerscheinprüfung: Mach dich zu besetzen, park rückwärts ein! | ABC-Z

In der Reihe “Die Pflichtverteidigung”
ergreifen wir das Wort für Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten,
die von vielen kritisiert und abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil
von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 15/2025.
Im Lexikon der Psychologie findet man zum
Thema “Initiationsritus” Folgendes: Dabei wird der Erwachsenenstatus von
Jugendlichen geprüft, indem man sie an Körperverletzung erinnernde
Selbstbeherrschungsproben unterzieht. In Äthiopien etwa müssen die Jungmänner der
Hamar viermal nackt über einen wilden Bullen springen, um als Erwachsene akzeptiert
zu werden. Und auf der kanadischen Baffininsel lassen sich Inuit-Jungen ab elf
Jahren in der arktischen Wildnis aussetzen, weil sie den Vätern so ihre
Überlebensfähigkeit demonstrieren.
Wer so etwas hierzulande nun naserümpfend als
antiquiert einstufen möchte, sollte sich lieber zurücknehmen. Wir Deutschen
haben einige, auf Außenstehende wohl nicht minder archaisch wirkenden Initiationsrituale.
Eines der wichtigsten: die theoretische wie praktische Führerscheinprüfung.
Formal berechtigt sie zwar lediglich zur Führung eines Kraftfahrzeugs im
deutschen Straßenverkehr, doch die symbolische Bedeutung ist ungleich größer.
Ganz besonders auf dem Land: Wer dort die
Fahrprüfung im Alter von 18 oder 19 Jahren besteht, macht sich unabhängig vom
(oft nicht existenten) Nahverkehr sowie vom elterlichen Taxidienst. Der muss auch
nicht rot anlaufen vor Scham, wenn die eigene Peer-Group auf dem Parkplatz vor
McDonald’s ihre Motorisierungen vergleicht wie kurz zuvor noch die Panini-Sticker
auf dem Grundschulpausenhof. Der gehört nun vollberechtigt zur deutschen Straßenverkehrsordnung
dazu, und nirgends ist Deutschland deutscher als dort, wo es heißt: “Wer am
Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt,
gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder
belästigt wird.” Selbst Immanuel Kant hätte das nicht schöner formulieren können.
Umso mehr muss es Deutschland beunruhigen,
dass, wie jüngst bekannt wurde, immer mehr Prüflinge durch die Fahrprüfung
rasseln. Fast jeder Zweite scheiterte 2024 an der theoretischen, mehr als jeder Dritte an der praktischen Fahrprüfung. Sind die Prüflinge heute schlapper oder
die Prüfer härter als früher? Oder ist womöglich der Straßenverkehr so rau
und unbarmherzig geworden, dass immer weniger angehende Autofahrer seinen Regeln
genügen können? Umso wichtiger wäre da die Fahrprüfung. Doch eine Prüfung, die von
keinem mehr bestanden wird, verliert die gesellschaftliche Akzeptanz und damit den
Sinn. Und das wäre schade. Schließlich geht es konkret nicht nur um die leidige
Voraussetzung zur Führung eines (klimapolitisch hochproblematischen) Kraftfahrzeugs.
Denn eine Fahrprüfung ist auch (und so viel Kfz-Pathos sei an dieser Stelle gestattet)
Lebensprüfung. Und das nicht obwohl, sondern weil so viele Fahranfänger wohl lieber
viermal nackt über einen wilden Bullen springen würden, als ein mittleres Vermögen
dafür auszugeben, über Wochen mit einem zum Fahrlehrer umgeschulten
Bundeswehr-Feldwebel in ein Auto gesperrt, gegängelt, gedemütigt und –
vielleicht – zur Prüfung zugelassen zu werden. Denn das vergisst man leicht:
Vor der Prüfung kommt der Unterricht, der gehört zum Ritual dazu. Und der Unterricht
ist eine größere Tortur, als eine Autobahnfahrt mit Prüfer auf der Rückbank je
sein könnte.
Die fahrende Erniedrigungsmühle
Als Fahranfänger fährt man, weil der
Fahrlehrer einen anbrüllt, dass man fahren soll. Man versucht, alles richtig
zu machen, und macht genau deshalb alles falsch. Bis irgendwann der Moment
kommt, ab dem einem alles egal ist. Man wünscht den beifahrenden Feldwebel
gedanklich in eine Wehrsportübung nach Timbuktu und fährt plötzlich nicht mehr
wegen, sondern trotz ihm. Man verinnerlicht mit jeder Überlandfahrt nicht nur die
Regeln der Straßenverkehrsordnung, sondern gewinnt innerlich Distanz zu ihren Wächtern und fragt sich selbst: Was für ein Fahrer will ich sein?
Der Drängler und Schimpfer, für den jede Unzulänglichkeit der anderen bestraft
gehört? Oder der Fahrer, der nur fährt, weil er muss und mit allen mitfühlt,
denen es genauso geht. Denn das bedeutet Fahrtüchtigkeit wirklich. Der Führerschein
ist nur die Beglaubigung der erlangten inneren Reife vor der Welt. Und die Möglichkeit
des Durchfallens erhöht den Status derer, die der Erniedrigungsmühle bereits
zuvor entkommen sind.
Letztlich befindet nicht der Fahrprüfer,
sondern man selbst darüber, wann der befreiende Moment der Wurschtigkeit
gekommen ist. In der Prüfung will der Prüfer nur einen Haken hinter
Rückwärts-Einparken und Am-Stoppschild-Anhalten setzen und dann möglichst
zeitig Mittag machen. Viel wichtiger als er ist der Feldwebel, der bei der
Prüfung mit im Auto sitzt. Meiner brachte mich in der letzten Stunde vor der
Prüfung noch mal so richtig auf die Palme. Gott, was haben wir geschrien! Als
dann der Prüfer zustieg, bemerkte ich das unscheinbare Männchen kaum. So groß
war mein Wunsch, mich zu rächen und regelkonform wie selbstbestimmt zu fahren.
Irgendwann saß das Männchen still auf der Rückbank und wollte nur noch raus.
Zum Mittagessen. Dem habe ich es gegeben: Noch mal um den Block und dann
Anfahren am Berg. Mit Handbremse! Nimm das Führerschein-Deutschland!