Fühlen sich Frauen hier sicher? | ABC-Z

Frau Geih, Sie arbeiten in einem Frauenhaus, das ein Türschild hat und dessen Adresse im Internet steht. Warum wagen Sie sich aus der Anonymität?
Einerseits macht die Digitalisierung es schwieriger, die Anonymität des Frauenhauses zu wahren. Es gibt Täter, die gezielt eine App auf dem Smartphone der Partnerin installieren, um sie in Echtzeit zu überwachen. Andererseits haben wir gemerkt, dass nicht alle Frauen und Kinder die Anonymität brauchen. Es geht ihnen nicht darum, sich zu verstecken, sondern darum, die Gewalt zu beenden. Wenn sie Kinder haben, müssen sich die Frauen trotz der häuslichen Gewalt mit den Vätern verständigen. Das war ein Grund für die Öffnung.
Wie viele Plätze bietet das offene Frauen- und Kinderschutzhaus?
Es gibt drei Wohngemeinschaften mit sechs Plätzen für Frauen, die dort allein oder mit ihren Kindern einziehen.
Sie haben das „Open House“ im August 2023 eröffnet. Fühlen die Bewohnerinnen sich hier sicher?
Ja, die Frauen sagen uns, dass sie sich hier sicher und wohl fühlen. Für viele bringt es Erleichterung, sich nicht verstecken zu müssen und das Umfeld miteinbeziehen zu können. Natürlich sorgen wir durch Maßnahmen für ihre Sicherheit.
Der Eingangsbereich des Hauses ist videoüberwacht. In allen Räumen gibt es Notfallknöpfe. Wenn etwas passiert, wenn zum Beispiel ein Täter auftaucht, können die Frauen darüber Alarm auslösen. Telefonisch sind Mitarbeiterinnen rund um die Uhr für sie erreichbar.
Welche Gefahr entsteht dadurch, dass der Standort bekannt ist?
Natürlich besteht die Gefahr, dass der Täter hier auftaucht. Das kennen wir aber auch von der anonymen Unterbringung. Auch dort kommt es vor, dass Täter die Frauen ausfindig machen. Deshalb stehen wir immer vor der Frage: Wie schützen wir die Bewohnerinnen? Ich empfinde die Öffentlichkeit als Hilfe. Dadurch, dass „Frauenhaus“ am Tor angeschrieben ist, wissen alle, die vorbeilaufen, Bescheid. Das heißt, Außenstehende können eingreifen, wenn sie etwas mitbekommen. Die Nachbarn wissen, wie sie uns Mitarbeiterinnen erreichen können. Und natürlich auch, dass sie die Polizei rufen können, wenn es eskaliert.
Frauen im anonymen Frauenhaus fühlen sich, so beschreiben Sie es, als würden sie sich verstecken. Wie belastend ist der Aufenthalt für sie?
Die Aufenthalte ziehen sich teils in die Länge, weil der Wohnungsmarkt angespannt ist. Wenn Frauen monatelang im Frauenhaus leben, kann Anonymität zur Last werden. Die Frauen können zwar mit der Familie telefonieren, aber nicht sagen, wo sie sind. Bei der Arbeit oder im Deutschkurs müssen sich die Frauen eine Geschichte ausdenken, die sie Kolleginnen oder Mitschülerinnen erzählen. Wenn sie nach Hause gehen, müssen sie ständig aufpassen und woanders abzweigen. Meine Kolleginnen und ich üben mit den Kindern, in der Schule zu lügen, damit sie nicht verraten, wo sie wohnen. Sich so zu verstecken, kann sehr belastend sein.
Auf welche Arten können Frauen im „Open House“ ihr Umfeld einbeziehen?
Angehörige und Freunde helfen beim Ein- oder Auszug, was in anonymen Frauenhäusern nicht geht. Ins Haus kommen dürfen sie jedoch nicht. Nur weil dieses Frauenhaus nicht anonym ist, ist es deshalb nicht offen für alle. Direkt vor dem Frauenhaus können sich die Bewohnerinnen mit Freunden oder Familie treffen, was viele als unterstützend und Sicherheit gebend empfinden. Treffen mit Kooperationspartnern wie dem Jugendamt können in einem Besprechungsraum in der Beratungsstelle, die im gleichen Haus ist, stattfinden.

Wie fühlt es sich für Kinder an, plötzlich im Frauenhaus unterzukommen?
Es kommt vor, dass die Mama die Kinder früher von der Schule abholt und mit ihnen plötzlich hierher flüchtet. Die Kinder wissen meist, dass etwas in der Familie nicht gut läuft, aber der Ortswechsel kommt völlig überraschend. Er kann mit sich bringen, dass sie am nächsten oder übernächsten Tag in eine neue Schule gehen. Das hängt davon ab, ob Mutter und Kinder aus der Gegend oder von weiter weg kommen. Die neue Situation ist belastend, ein neues Umfeld mit Abstand von der Gewaltsituation kann ihnen aber auch guttun.
Wie sieht der Alltag von Kindern im Frauenhaus aus?
Zwei Häuser weiter haben wir als Mitternachtsmission eine Kinder- und Jugendarbeit. Dort versuchen wir, die Kinder zu integrieren. Zur Gewaltaufarbeitung haben sie eine eigene Ansprechperson, die sie einmal pro Woche treffen. Am Wochenende versuchen wir, ihnen ein paar unbeschwerte Stunden zu ermöglichen, etwa durch einen Ausflug in den Zoo.
Hat die gewaltbetroffene Frau ein Kind mit dem Gewalttäter, sind oft Absprachen notwendig. Können die Partner der Frauen für ein Gespräch oder eine Beratung ins offene Frauenhaus kommen?
Im Moment noch nicht. Perspektivisch können wir uns das vorstellen. Wir haben vor, ein Besucherkonzept zu erarbeiten. Eine Idee ist, Umgangskontakte der Kinder mit den Vätern oder die Übergabe zum Umgangskontakt hier stattfinden zu lassen – in Absprache mit uns als Team und wenn es für beide Eltern gut ist.
Bisher arbeiten Frauenhäuser in der Regel nicht mit gewaltausübenden Männern zusammen. Würden diese in Ihr Frauenhaus kommen, wäre das ein deutlicher Wandel in Ihrer Arbeitsweise.
Ja, ein Stück weit. Wir wollen uns zwar weiterhin parteilich für die Frauen und Kinder einsetzen, aber tatsächlich ist unser Ansatz, den Blick zu weiten und das Familiensystem zu betrachten. Wie haben sich Beziehungen gestaltet? Welche sind dysfunktional? Wie sind sie veränderbar? Wir erarbeiten mit den Frauen, wie sie sich zukünftig vor Gewalt schützen können. Was die Frauen sich wünschen, ist unterschiedlich: Manche wollen, dass die Gewalt endet, aber die Beziehung fortführen. Andere wollen sich trennen und mit dem Partner nichts mehr zu tun haben. Und manche wissen noch nicht, was sie wollen. In diesem Prozess begleiten wir sie.
Wie entscheiden Sie, welche Frauen im „Open House“ untergebracht werden?
Wir machen eine Gefährdungseinschätzung. Dann stellen wir ihr das anonyme und das nicht-anonyme Konzept vor und überlegen, welches infrage kommt. Eine Frau, deren Partner ihr nachstellt und sie bedroht, braucht den Schutz des anonymen Frauenhauses. Die Sicherheit der Frauen steht immer an höchster Stelle.
Bisher haben in Deutschland wenige Frauenhäuser ein offenes Konzept. Was hat bei Ihnen dazu geführt?
Wir haben 2015 angefangen, im Team darüber zu sprechen. Jede durfte ihre Gedanken und Befürchtungen äußern. Wir haben uns fachlichen Input geholt, eine Supervisorin mit Frauenhauserfahrung hat uns begleitet. Im Jahr 2017 haben wir uns für die Öffnung entschieden. Das heißt nicht, dass dieses Konzept das einzig wahre ist. Im Gegenteil. Ein Teil der Frauen braucht weiterhin die Anonymität: diejenigen, die hoch gefährdet sind. Für uns stand immer fest, dass wir auch sie weiter begleiten. Gleichzeitig macht das „Open House“ nach außen hin sichtbar, dass häusliche Gewalt leider eine Realität ist. Wir hoffen, die Gesellschaft so zu sensibilisieren für die Gewalt, die Frauen und Kinder im sozialen Nahraum erleben.