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FSV Mainz 05: Bo Henriksen – Mehr als ein Einpeitscher | ABC-Z

Bo Henriksen hat Mainz 05 vor dem Abstieg gerettet und die Angst aus der Kabine verscheucht. Der Däne ist aber mehr als nur ein Feuerwehrmann, sagt Christian Heidel und vergleicht ihn mit Jürgen Klopp. Mit Trainern kennt sich der Mainzer Vorstand aus.

Das Ritual erinnert ein wenig an Wacken. Wenn Bo Henriksen eine Dreiviertelstunde vor dem Anpfiff die Mainzer Arena betritt, führt sein erster Weg häufig zur Fankurve. Dann peitscht er die Anhänger auf, packt die Säge aus oder klatscht mit den Armen über dem Kopf in die Hände. Fehlt eigentlich nur noch ein „Are you ready?“

Keine Frage: Der 1. FSV Mainz 05 war in der Rückrunde der vergangenen Saison mehr als bereit – dank Henriksen. Als der dänische Trainer Mitte Februar kam, sah es stark danach aus, als sollte sich der Klub nach 15 Jahren Erstklassigkeit wieder in die zweite Liga verabschieden: Die Mannschaft stand auf einem Abstiegsplatz – mit zwölf Zählern aus 13 Spielen. Mit Henriksen drehte sich alles auf scheinbar wundersame Weise: Der Däne, ein Motivator par excellence, holte 23 Punkte aus 13 Spielen – eine Bilanz, die auf ein komplettes Spieljahr hochgerechnet für eine Europapokalteilnahme gereicht hätte. So war es am Ende der Klassenverbleib.

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„Bo Henriksen war unsere einzige Chance“, sagt Christian Heidel. Der 61-Jährige muss es wissen: Niemand kennt den Klub besser – und kaum ein Bundesliga-Manager kennt sich besser mit Trainern aus. Heidel weiß, welchen Typ eine Mannschaft in welcher Situation braucht. Im vergangenen Februar war es jedoch keine Kunst, um darauf zu kommen. „Wenn ein Team nur ein einziges Spiel gewonnen hat, wenn es nur mit der Angst auf den Platz gegangen ist, bloß nicht wieder zu verlieren, hilft nur ein komplett unbelasteter Trainer“, erklärt der FSV-Vorstand gegenüber WELT AM SONNTAG.

Henriksens Verpflichtung war durchdacht: Dem Coach eilte der Ruf der Unerschrockenheit voraus. Er brachte wieder die Denkweise zurück in die Mannschaft, die Jürgen Klopp, der prominenteste Mainzer Trainer überhaupt, einmal so formuliert hatte: „Nicht die Angst vorm Verlieren, sondern die Lust auf das Gewinnen macht dich zum Sieger.“

Henriksens realistische Selbstwahrnehmung

Heidel kann viele Geschichten erzählen, wie Henriksen die Angst aus der Mainzer Kabine verscheuchte: „Bo ist jemand, der der Mannschaft den Glauben an sich selbst zurückgibt. Die Jungs sind in der Überzeugung auf das Feld gegangen, dass sie gegen Bayern München gewinnen können – und haben es dann auch getan“, sagt er. Er berichtet, wie während der Saisonvorbereitung plötzlich die Scheiben seines Vorstandsbüros gewackelt haben, als Henriksen in der Kabine einen Neuzugang vorgestellt habe.

Aber ergibt es Sinn, einen Feuerwehrmann weiterzubeschäftigen, wenn der Brand gelöscht ist? Ja, das tut es, sagt Heidel – vorausgesetzt, der Feuerwehrmann kann nicht nur löschen, sondern auch dauerhaften Brandschutz gewährleisten. Henriksen sei zwar ein Motivator, allerdings auch ein Trainer, der deutlich mehr im Köcher hat, als eine Mannschaft nur aufzuputschen. Der 49-Jährige mit der charakteristischen Langhaarfrisur hat einst den FC Zürich in einer ähnlichen schwierigen Lage übernommen, dann erst den Klassenerhalt geschafft und den Schweizer Traditionsklub dann in die Spitzengruppe der Liga geführt.

Für die Mainzer verlief der Auftakt in die neue Saison mit zwei Unentschieden zwar durchwachsen, doch die Energie bei den Auftritten war ähnlich wie in der vergangenen Rückrunde. Beim 3:3 in Stuttgart kämpfte sich das Team nach einem 0:2- und 2:3-Rückstand gleich zweimal zurück. Vor dem Heimspiel am Sonntag gegen Werder Bremen (17.30 Uhr/DAZN) ist Mainz seit zwölf Spielen ungeschlagen.

„Wenn die reine Motivation das einzige Mittel eines Trainers wäre, wäre der Effekt schon nach vier Wochen verpufft“, sagt Heidel. Die Behauptung, Henriksen sei ein eindimensionaler Coach, sei ein Vorurteil. Es sei zwar seine persönliche Stärke, Spieler positiv zu emotionalisieren, doch Henkriksen verfüge noch über eine weitere Fähigkeit: Aufgaben zu delegieren.

Bei der Zusammenstellung seines Trainerteams lege er Wert darauf, Bereiche wie Athletik, Taktik und Strategie durch Fachleute abzudecken. „Wir haben ein Trainerteam mit einem Anführer – und der heißt Bo Henriksen“, so Heidel. Henriksen verfügt über eine realistische Selbstwahrnehmung: Was ihm selbst nicht so liegt, holt er sich von anderen. Tatsächlich wurde der Trainerstab im Sommer noch einmal durch eine wichtige Personalie ergänzt. Mit Mikkel Jespersen kam ein Experte für Standardsituationen und taktische Analyse dazu.

Wie wichtig das Team rund um den Chefcoach ist, weiß Heidel aus der Vergangenheit. Auch Klopp war zu Beginn seiner Tätigkeit Vorwürfen ausgesetzt, außer Motivation nicht viel drauf zu haben. „Er wurde damals halt so wahrgenommen, wie ihn die Leute erlebt haben“, so Heidel: als aufgedrehter Einpeitscher, der Sprüche klopft und auf Zäune klettert. Seine Akribie und Lernfähigkeit wurde damals noch nicht wahrgenommen.

Das Mainzer Problem: Substanzverlust

Heidel ist zuversichtlich, mit Henriksen noch eine lange Wegstrecke gehen zu können. Was die Trainerauswahl angeht, kann sich der Manager meist auf sein Näschen verlassen: Ob Wolfgang Frank, Klopp, Thomas Tuchel, Martin Schmidt, Bo Svensson oder nun Henriksen – die meisten der von ihm ausgewählten Übungsleiter passten zum Klub und zur jeweiligen Mannschaft. „Ich habe irgendwann in den 1990er-Jahren gelernt, was einen guten Trainer ausmacht“, so Heidel: „Wenn ich die Wahl habe, einen Torjäger oder einen guten Trainer zu holen – ich würde mich immer für den guten Trainer entscheiden.“

Hier könnte allerdings auch die Sollbruchstelle liegen. Denn durch die Abgänge von Spielern wie Brajan Gruda, Sepp van den Berg und Leandro Barreiro hat die Mannschaft einen erheblichen Substanzverlust zu verzeichnen. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte: Ein Verein mit unserer Wirtschaftskraft gibt nun mal Jahr für Jahr die besten Spieler ab“, sagt Heidel.

Das sei halt so, denn nur dank guter Transfererlöse konnte sich der Verein überhaupt so lange in der Bundesliga halten. Das Geld wurde in Infrastruktur investiert. Die 27,5 Millionen Euro, die im letzten Transfersommer eingenommen wurden, dürften größtenteils in den Bau einer neuen Geschäftsstelle fließen. Es werden Voraussetzungen geschaffen – für noch viele weitere Jahre Bundesliga.

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