Frontex vermeldet für 2024 deutlich weniger irreguläre Einreisen in die EU | ABC-Z
Drei Jahre in Folge war die Zahl der irregulären Grenzübertritte an den Außengrenzen der Europäischen Union kontinuierlich gestiegen – bis auf 385.000 im Jahr 2023. Die Zahlen spiegelten wider, wie nach dem Ende der Pandemie und dem Ende der Einreisebeschränkungen, insbesondere im Flugverkehr, der Migrationsdruck wieder zunahm.
Umso bedeutsamer ist es, dass sich der Trend nun umgekehrt zu haben scheint. Im gesamten Jahr 2024 verzeichnete die EU-Grenzschutzbehörde Frontex rund 239.000 Grenzübertritte, das sind 38 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Umschwung ist vor allem eine Folge der Kooperation der Europäischen Union mit den Partnerländern auf der anderen Seite des Mittelmeers.
Insbesondere auf der zentralen Mittelmeerroute – damit sind Ankünfte über See aus Tunesien und Libyen in Italien gemeint – hat sich einiges geändert. Hier sanken die Zahlen sehr stark, von 163.000 auf 67.000, das entspricht einem Rückgang von 59 Prozent. Dies sei „auf eine bessere Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Ländern, insbesondere Tunesien, zurückzuführen“, erläutert der Exekutivdirektor von Frontex, Hans Leijtens, der F.A.Z. „Die Zusammenarbeit mit Tunesien ist ein wichtiger Faktor für die Zerschlagung der Schleusernetze.“ In den Jahren zuvor war diese Verbindung zum wichtigsten Weg in die EU geworden. Schlepper waren nach Tunesien ausgewichen und verfrachteten dort massenhaft Menschen in kaum seetaugliche Boote, die aus Seenot gerettet werden mussten.
Auch geänderte Visa-Politik
Mitte 2023 schloss die EU dann mit Tunesien eine strategische Partnerschaft, zu der auch eine engere Zusammenarbeit bei der Eindämmung der Migration gehört, etwa durch die Unterstützung der Küstenwache. Das ging vor allem auf die Initiative der italienischen Regierung von Giorgia Meloni zurück. Wirkung zeigte die Initiative erst im vorigen Jahr. In Brüssel ist sie umstritten, weil Menschenrechtsorganisationen dem tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed schwere Menschenrechtsverstöße vorwerfen. Die meisten Migranten auf dieser Verbindung kamen 2024 aus Bangladesch, Syrien und Tunesien. Die Migranten nutzen aus, dass sie visumfrei in die Region kommen. Syrer gelangen so nach Libyen und setzen von dort aus über.
Die östliche Mittelmeerroute ist wegen eines leichten Anstiegs der Zahlen um 14 Prozent nun wieder zum wichtigsten Weg in die EU geworden. Erfasst werden sämtliche Ankünfte aus dem östlichen Mittelmeerraum. Während die Hauptverbindung weiter von der Türkei auf griechische Inseln in der östlichen Ägäis verläuft, haben Schlepper ihre Routen bis ins östliche Libyen ausgeweitet, wo die Miliz von Chalifa Haftar das Sagen hat. Auf diesem Weg kommen vor allem Ägypter in die EU, sie sind die drittgrößte Gruppe auf dieser Route. Mit Ägypten selbst hat die EU im Frühjahr 2024 eine umfassende Partnerschaft vereinbart, wie auch mit Libanon. Seinerzeit war die Sorge in Nikosia groß, dass sich eine neue Fluchtroute aus Libanon nach Zypern eröffnet – doch wurden die Ankünfte von dort rasch eingedämmt.
Über die östliche Route kamen vor allem Syrer und Afghanen, wie schon seit Jahren. Auch hier gab es aber eine bemerkenswerte Veränderung. Insgesamt hat sich die Zahl der entdeckten Syrer mehr als halbiert, auf rund 45.000, während die Zahl der Afghanen mit 18.000 weniger gesunken ist. Diese Werte spiegeln noch nicht den politischen Umbruch in Damaskus wider, man darf aber auf die Entwicklung in den nächsten Monaten gespannt sein.
Der stärkste prozentuale Rückgang wurde auf der Westbalkanroute verzeichnet, die bis nach Ungarn reicht: 78 Prozent. Frontex-Direktor Leijtens führt dies „zum großen Teil auf die verschärfte Visumpolitik und die enge Zusammenarbeit mit Frontex zurück“. Die Länder der Region seien bestrebt, sich an die EU-Standards anzupassen, einschließlich strengerer Grenzkontrollen und eines besseren Migrationsmanagements. Das betrifft insbesondere die Vergabe von Visa. Auf Brüsseler Druck hin haben die Staaten eine Visumpflicht für einige Länder eingeführt, deren Bürger auch für die EU ein Visum benötigen. Das gilt vor allem für Serbien, nachdem sich der Flughafen Belgrad zu einem Einfallstor für Menschen entwickelt hatte, die versuchten, illegal weiter in die EU zu reisen.
Ukrainer versuchen sich dem Kriegseinsatz zu entziehen
Allerdings gibt es in allen Ländern der Region eine Ausnahme für Türken. Sie dürfen dort ohne Visum einreisen, obwohl sie für die EU eines benötigen. Das führt im Ergebnis dazu, dass Türken auf dieser Route die zweitgrößte Gruppe sind, neben Syrern und Afghanen. Insgesamt ist ihre Zahl um ein Viertel auf 9300 gesunken.
Stabil geblieben ist die Lage auf der westlichen Mittelmeerroute von Marokko und Algerien nach Spanien. Dagegen sind die Ankünfte auf den Kanarischen Inseln aus dem westlichen Afrika auf hohem Niveau weiter gestiegen. Neben Maliern und Senegalesen versuchten auch Marokkaner, so spanischen Boden zu erreichen. Leicht gestiegen ist die Zahl der Ausreisen über den Ärmelkanal nach England; Frontex gibt sie mit 67.600 an. Das bezieht sich sowohl auf versuchte als auch auf tatsächliche Überfahrten.
Auffällig ist der starke Anstieg an den nordöstlichen Landgrenzen der EU zu Belarus und Russland: Hier haben sich die Zahlen auf 17.000 irreguläre Grenzübertritte verdreifacht. Allerdings geht davon nur ein kleiner Teil – rund 20 Prozent – auf die gezielte, von den Regierungen unterstützte Schleusung von Migranten aus Afrika, oftmals Äthiopien und Somalia, zurück.
„Die Zunahme der irregulären Grenzübertritte an der östlichen Landgrenze ist in erster Linie auf ukrainische Männer zurückzuführen, die sich der Wehrpflicht entziehen, indem sie zwischen den offiziellen Kontrollpunkten hindurchgehen“, erklärt Leijtens. Zwar genießen Ukrainer in der EU einen besonderen Schutzstatus, doch kommen die Betreffenden nur irregulär über die Grenze, weil sie sonst von ukrainischen Beamten aufgehalten würden.
Freilich bilden die Frontex-Zahlen nicht das gesamte irreguläre Migrationsgeschehen ab. Ein Teil der Asylbewerber gelangt unerkannt in die EU, ein weiterer Teil, vor allem aus Südamerika, ganz legal ohne Visum. Insgesamt wurden 2024 nach vorläufigen Zahlen rund eine Million Erstanträge auf Asyl in der EU gestellt, 140.000 weniger als 2023.