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Friedrich Merz bei Antrittsbesuch in Polen: Klartext mit Donald Tusk | ABC-Z

Die Wirkung von Distanz und Nähe ist am Mittwoch in der polnischen Staatskanzlei gut zu beobachten. Am Morgen hatte Deutschlands neuer Innenminister Alexander Dobrindt von Berlin aus verstärkte Grenzkontrollen und Zurückweisungen angekündigt, am Abend musste der neue Bundeskanzler Friedrich Merz das dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk erklären – und zwar von Angesicht zu Angesicht in Warschau. „Kontrollen der EU-Binnengrenzen sind immer mit größeren Problemen verknüpft“, sagte Tusk danach beim gemeinsamen Auftritt vor den Medien. Es gebe zehntausende Polen, die täglich die Grenze passierten, um in Deutschland zu arbeiten. Die bisher schon langen Wartezeiten seien hinderlich, sie müssten weg. „Da werde ich auch sehr hartnäckig bleiben“, sagte Tusk, der stattdessen für einen rigorosen Schutz der EU-Außengrenzen plädiert, damit das Problem im Inneren gar nicht erst auftaucht.

Merz steht neben Tusk und bleibt seinerseits beim Grenzschutz hartnäckig, pflichtet Tusk aber im letzten Punkt bei. „Wir überlassen den Schutz der Außengrenzen nicht nur den Staaten, die sie haben“, sagte er. Und erfüllte damit schon eine Forderung seines polnischen Pendants, der damit bei Vorgänger Olaf Scholz noch auf taube Ohren gestoßen war. So verläuft Merz‘ Besuch in Warschau auch nicht in Zerknirschung oder gar einem Zerwürfnis, sondern im Gegenteil in aller Freundschaft. „Es ist eine große Genugtuung, dass Du gleich an Deinem ersten Tag im Amt Zeit gefunden hast, nach Warschau zu kommen“, sagte Tusk zur Begrüßung. „Ich danke Dir sehr, sehr herzlich für den freundlichen Empfang“, entgegnete Merz. Beide Politiker kennen sich bereits seit vielen Jahren und pflegen auch eine persönliche Freundschaft.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (l) empfängt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in seinem Büro.dpa

Aus polnischer Sicht ist der Regierungswechsel in Deutschland ein Segen. Mit Scholz war Tusk nie so richtig warm geworden. Bei Merz aber wisse er, woran er sei, sagte Tusk. Sie beide hätten identische Ansichten und konkrete Vorstellungen zur Zukunft Europas, der Wiederbelegung des Weimarer Dreiecks, zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und zur Unterstützung der Ukraine. Und Merz ließ sofort erkennen, dass er die polnischen Befindlichkeiten verstanden hat. Er sprach zunächst über die gemeinsame Geschichte, die „für immer überschattet“ sei durch die deutsche Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg, die Ermordung von Millionen Polen und die nahezu totale Zerstörung Warschaus. Die Verantwortung für dieses „unermessliche Leid und die sehr schwere Schuld nehmen wir an“, sagte Merz. Deutschland werde die Millionen Opfer niemals vergessen. „Das ist mir auch ein persönliches Anliegen.“

Merz: „Wir werden Verkehrsverbindungen nach Osten so ausbauen wie nach Westen“

Und er beließ es nicht bei Worten, sondern kündigte an, den seit Jahren versprochenen, aber von deutscher Seite immer wieder verzögerten Bau eines Erinnerungsortes an die Besatzung Polens in Berlin jetzt anzugehen. „Ein temporäres Denkmal eröffnen wir in den nächsten Wochen“, sagte Merz, und erfüllte damit ein für Polen besonders wichtiges Anliegen. Auch das in Berlin als Erinnerungs- und Lernort geplante Deutsch-Polnische Haus werde er forcieren. Weiter ging es mit der ebenfalls von Polen immer wieder angemahnten Ertüchtigung der grenzübergreifenden Infrastruktur. „Wir werden Verkehrsverbindungen nach Osten so ausbauen wie nach Westen“, versprach Merz. Das sei im Koalitionsvertrag verabredet. Wie nach Paris und Brüssel müsse es endlich auch Schnellzüge nach Stettin, Warschau und Prag geben.

Tusk blickte währenddessen immer wieder erfreut zu Merz hinüber, und der lieferte weiter: Zwar erteilte er der Frage nach Reparationen, die nicht von Tusk, sondern von einem Journalisten kam, eine Absage, erklärte aber zugleich, dass die gemeinsame Stärkung – sprich Finanzierung – der Verteidigungsfähigkeit eine in die Zukunft gerichtete Art der Wiedergutmachung sei. Auch das ist etwas, was Tusk sich seit langem etwa bei der Sicherung der Ostgrenze, die zugleich EU-Außengrenze ist, wünscht. „Polen nimmt hier bisher die ganze Last auf sich“, sagte er, und dass es nicht einfach sei, „unsere europäischen Partner vom Schutz der Ostgrenze zu überzeugen“. Via Belarus versuchen immer wieder Migranten, illegal in die EU zu gelangen. Polen baut die Grenze zu einem „Schutzschild Ost“ auch gegen militärische Angriffe aus und erwarte dafür „nicht nur Verständnis, sondern auch Unterstützung“, so Tusk.

Zugleich kündigte er an, Polens wirtschaftliches und militärisches Gewicht zum Wohle der EU einzubringen. Polen plant dieses Jahr mit rund drei Prozent Wirtschaftswachstum (an dieser Stelle erlaubte er sich ein Grinsen zu Merz, der wohl nicht mal ein Viertel so viel verkünden kann) sowie einer Steigerung seiner Verteidigungsausgaben von 4,7 auf 5 Prozent. „Wir haben bereits die größte Armee in der EU und werden sie in den kommenden fünf Jahren auch zur stärksten machen“, sagte der polnische Premier. Es gehe dabei nicht um Großmachtphantasien, sondern weil man an einem gefährlichen Ort – also in der Nähe Russlands – lebe. „Und wir möchten deshalb sehr, dass auch Deutschland schneller und intensiver aufrüstet.“ Das sei in Polen zwar nicht populär, aber in diesen Zeiten eben notwendig.

Merz erklärte, dass er sich zum Ausbau der Verteidigungsfähigkeit der EU eine ähnliche Regelung wie in Deutschland vorstellen könne, nämlich die Schuldengrenze für über ein Prozent des BIP hinausgehenden Verteidigungsausgaben zu lockern. Geld sei aber nicht alles, sagte der Kanzler, die EU-Länder müssten hier vor allem effizient werden. „Wir brauchen deutliche größere Stückzahlen, geringere Standards, und wir müssen die Anzahl verschiedener Waffensysteme drastisch reduzieren.“ Auch da sind sich beide Politiker einig, die schließlich noch ankündigten, das ziemlich eingeschlafene „Weimarer Dreieck“, also die politische Kooperation zwischen Frankreich, Deutschland und Polen, wiederzubeleben und um Großbritannien zu erweitern. Inoffiziell war zu hören, dass die Staatschefs dieser Länder als erstes gemeinsames Projekt am Samstag zu viert nach Kiew reisen werden.

Nach der Pressebegegnung zogen sich beide Politiker abermals zum Vieraugengespräch zurück. Bereits zuvor hatte Merz angekündigt, sich mit Polen künftig auch auf Regierungsebene häufiger zu sehen. Schon jetzt aber sei „ein neues Kapitel zwischen unseren Ländern aufgeschlagen“, sagte er, während Tusk nickte. Immerhin brauchte es 35 Jahre, bis ein Bundeskanzler unmittelbar nach Amtsübernahme nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten reiste. Das sollte man nach Ansicht Warschaus auch künftig beibehalten. Und was die Grenzkontrollen anbelangt, schob Merz noch nach, dass er Dobrindt schon angewiesen habe, diese „auf eine Art und Weise zu regeln, die für unsere Nachbarn erträglich ist“.

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