Geopolitik

Friedrich Merz: An entscheidender Stelle duckt er sich weg | ABC-Z

Nice try, Herr Bundeskanzler. Gleich am Anfang seines letzten großen Auftritts vor der Sommerpause versucht Friedrich Merz direkt, ein Problem wegzumoderieren. Die erste Frage, die ihm aus dem Saal der Bundespressekonferenz gestellt wird, dreht sich um die gescheiterte Wahl von Verfassungsrichtern, und Merz schaut direkt zur Moderatorin: Will man nicht erst mal ein paar Fragen sammeln? Geht nicht. Dann ja vielleicht so: “Zu der Richterwahl am letzten Freitag ist alles gesagt worden.” So beginnt der Kanzler tatsächlich seine Antwort.

Man kann’s ja mal versuchen.  

Es folgt dann allerdings ein gutes Dutzend weiterer Fragen zu dieser Angelegenheit, und der Kanzler schaut irgendwann doch etwas verdattert, seine Mundwinkel senken sich von Frage zu Frage etwas mehr, das Lächeln wirkt gequälter. Ja, Friedrich Merz, dem die gescheiterte Richterwahl eine Koalitionskrise beschert hat, wirkt bei der traditionellen Sommerpressekonferenz des Bundeskanzlers tatsächlich erstaunt, wie viele Fragen nach der Richterin Frauke Brosius-Gersdorf auf ihn einprasseln. Was wiederum den Beobachter deshalb erstaunt, weil Merz ja bereits vom Widerstand innerhalb seiner eigenen Fraktion überrumpelt war, der die Wahl von drei Verfassungsrichtern schließlich scheitern ließ. Die Sache bleibt zum Staunen.

Merz hält sich bedeckt: Er rügt die Attacken auf die Richterin ausdrücklich, schließt sich nicht den Forderungen nach einem Rückzug der Kandidatin an. Doch er blockt ab, sobald es um den Kern der Sache geht, dessen Bedeutung für die Koalition, einen möglichen Ausweg daraus und seine eigene Verantwortung dafür. Auf die Frage nach seiner Rolle bei einer Lösung für die Richterwahl duckt sich Merz kurzerhand weg, er, der Kanzler, der CDU-Chef, sagt: “Ich bin Mitglied dieser Bundestagsfraktion. In dieser Funktion werde ich mich natürlich auch an der Vorbereitung einer Wahl zum Bundesverfassungsgericht beteiligen.” Auf eine Frage, ob Brosius-Gersdorf denn nun seine Maßstäbe an eine gute Verfassungsrichterin erfülle, antwortet er: “Sie erwarten, glaube ich, nicht, dass ich jetzt hier über Frau Brosius-Gersdorf ausführlich Stellung nehme.”

Führung und Verantwortung? In dieser Frage eher nicht. Merz stellt sich so eher wie ein Analyst der politischen Lage dar, statt als das, was er ist: einer der zentralen Akteure. Merz sagt: “Es ist eine Sache der Bundestagsfraktionen.” Und Merz sagt auch: “Es ist keine Krise, es ist eine Situation, die besser sein könnte.”

Der Angreifer muss Defensive lernen

Die Situation, die besser sein könnte, geht nun in die zweite Woche. Sie ist für den Kanzler sehr wohl von großer Bedeutung, weil sie einerseits die Koalition erschüttert hat und andererseits an einem seiner zentralen Versprechen kräftig rüttelt: das Versprechen eines guten, geräuschloseren Regierens. Merz konnte als CDU-Chef lange die dankbare Aufgabe auskosten, eine zerstrittene Ampelregierung zu attackieren. Jetzt muss Merz nach Jahren im Angriff Defensive lernen – beim Komplex Verfassungsrichter gelingt ihm das nicht, ohne die Sache kleinzureden.

In Bredouille bringt ihn dabei allerdings keine der Fragen der Journalisten. Merz lässt sich nicht aus der Reserve locken, der Preis dafür ist das Wegducken. Und in der Sache? Nichts Neues.

Als die Fragen zu Brosius-Gersdorf überstanden sind, wirkt Merz gleich präsenter, entschiedener, ja leichtfüßiger, auch wenn die Themen – etwa Israels Gazakrieg – schwer sind. Merz macht klar, warum seine Bundesregierung gegen Israel keine Sanktionen verhängen werde, aber er betont, dass die Kriegsführung in Gaza “nicht mehr akzeptabel” sei und man dies gegenüber der israelischen Regierung immer wieder deutlich mache. Dann wird es interessant wie vage: Deutschland konditioniere seine Hilfe nun, sagt Merz, ohne Details zu nennen. 

Die Ambitionen des Kanzlers

Viel geht es um eines seiner Kernanliegen, Europa. Drei Stunden vor seinem Auftritt hat ihm die EU eine Vorlage geliefert: Nach Wochen des Streits einigten sich die Staaten nun doch auf das viel zitierte 18. Sanktionspaket gegen Russland. Merz hatte die Strafmaßnahmen in den ersten Tagen seiner Kanzlerschaft offensiv angedroht und mehrfach angekündigt. Jetzt erst, zwei Monate später, ist das Paket doch noch beschlossen. Und Merz? Der brüstet sich nicht, er nimmt den Ablauf vielmehr als Beispiel für die schwerfälligen Prozesse in Europa, die er reformieren will. “Wir müssen besser werden.”

Da ist sie also wieder, die Ambition des Kanzlers, große Reformen anzugehen, möglichst an vielen Fronten gleichzeitig. Sie durchzieht den zweiten Teil des Auftritts an diesem Freitag. Die zunächst vertagten Kommissionen, die die Finanzmisere der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung lösen sollen? Sie mögen bitte schneller vorankommen, sagt der Kanzler. Die Umwandlung des Bürgergelds in eine abgespeckte Grundsicherung solle noch im Herbst beschlossen werden, zum Jahreswechsel in Kraft treten. Auch das eine Herausforderung für die Koalition mit einer verunsicherten, seit der vergeigten Richterwahl zusätzlich irritierten SPD.

Im Laufe der 90-minütigen Pressekonferenz tritt also immer mehr der Kanzler, der Großes einfordert, neben den Kanzler, der Schwierigkeiten hat, das Versprechen eines guten Regierens im Alltag einzulösen: Politische Ambition und politisches Handwerk. Einfordern und Einlösen. Das ist das Spannungsfeld, auf dem Merz in seine erste Sommerpause als Bundeskanzler schreitet.

Und auch: Außen und Innen. Das Bild eines Außenkanzlers, der sich nicht genügend in der Innenpolitik engagiere, hat für den Moment verfangen. In einer Forsa-Umfrage dieser Woche gaben nur 27 Prozent der Befragten an, sie hätten den Eindruck, dass sich der Bundeskanzler ausreichend um die Lösung der Probleme in Deutschland kümmere. Das ist ein erschreckender Wert für jemanden, der die Lösung der Probleme in Deutschland zu einer zentralen Arbeitsgrundlage seiner Regierung gemacht hat. 

Merz selbst arbeitet noch zwei Wochen, dann macht er Urlaub. Zurückkehren wolle er im “festen Willen, Deutschland gut zu regieren”. Es ist allerdings nicht sein Wille, der nach dem Richterdebakel infrage steht.

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