Friedensnobelpreis geht nach Japan – Politik | ABC-Z
Im Februar 2022 gab es zum Beispiel einen Moment, in dem sich die japanischen Atombomben-Überlebenden des Verbandes Nihon Hidankyo erhoben und entschlossen ihre Weisheit teilten. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte gerade mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine begonnen. Er hatte die USA und deren Verbündete gewarnt davor, sich in den Konflikt einzumischen, indem er gezielt daran erinnerte, dass Russland ein Land mit Atomwaffen sei. Die Russland-Gegner erschraken. Und aus dem fernen Japan kam die Antwort, die zur schrecklichen Drohung passte. Ein Chor aus alten Kennern verurteilte Putin für sein Spiel mit der nuklearen Stärke. Terumi Tanaka, Nihon Hidankyos Co-Vorsitzender, sagte zum Beispiel: „Es ist unverzeihlich, dass Putin Atomwaffen als Werkzeug benutzt, um anderen zu drohen.“
Und nun bekommt Nihon Hidankyo also den Friedensnobelpreis „für seine Bemühungen, eine Welt ohne Atomwaffen zu erreichen und mit Zeugenberichten zu demonstrieren, dass Atomwaffen nie mehr verwendet werden dürfen“, wie das Nobelpreis-Komitee in Oslo am Freitag erklärte. Das ist ein starkes Zeichen in diesen Zeiten, in denen einzelne Staatsleute viel zu leichtfertig mit der tödlichsten Waffe der Menschheit hantieren.
Vor allem Wladimir Putin. Seitdem er in die Ukraine eingedrungen ist, hat er seine Atomwaffendrohung mehrmals wiederholt. Kürzlich erst hat er eine Erklärung abgegeben, wonach er seine Regeln für den Gebrauch russischer Atomwaffen gelockert hat. Aber auch andere fallen auf: Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un, ein Partner Putins, arbeitet eilig am Ausbau seines atomwaffenfähigen Arsenals, um die Feinde seiner Parteidiktatur abzuschrecken. Zuletzt ließ er sich von seinen Staatsmedien dabei zeigen, wie er eine Fabrik besichtigt, in der nach nordkoreanischen Angaben Uran für Atomwaffen angereichert wird.
Überlebende organisieren sich 1956, als die USA Wasserstoffbomben testen
Selbst in freiheitlichen Ländern laufen gedankenlose Debatten. Verschiedene konservative Politiker in Südkorea sind ausdrücklich dafür, ihren Tigerstaat mit Atomwaffen auszustatten – auch wenn das gegen den internationalen Atomwaffensperrvertrag verstößt. Zu den sicherheitspolitischen Ideen, die Japans neuer Premierminister Shigeru Ishiba vor seinem Amtsantritt vertrat, gehörte ein Atomwaffen-Sharing mit den USA. Atomwaffen gelten als eine Art Lebensversicherung gegen die Macht-Avancen anderer, in gewisser Weise als der perfekte Schutz.
Der Gedanke, wie die Welt aussieht, wenn es wirklich mal ein atomares Wettschießen geben sollte, kommt zu kurz. Den Zweiten Weltkrieg haben die meisten eben nicht mehr erlebt. Und schon gar nicht die Atombombenabwürfe der Amerikaner 1945 auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Bis zum Ende des letzten Kriegsjahres starben über 210 000 Menschen allein an diesen beiden Bomben. Es waren die ersten und bis heute letzten Atomwaffen-Einsätze der Menschheitsgeschichte.
Umso wichtiger ist, dass jetzt das Rampenlicht auf Nihon Hidankyo fällt. Der Verband, gegründet 1956 nach den Wasserstoffbombentests der USA am Bikini-Atoll im Pazifik, ist Japans einzige landesweite Organisation der Atombomben-Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Sie hat Mitgliedsorganisationen in allen 47 japanischen Präfekturen. Sie vertritt so gut wie alle, die das Gedenken an die Folgen des nuklearen Angriffs aktiv bewahren wollen.
Die Hibakusha sind nun alt, ihr stiller Aktivismus wird eine große Kraftanstrengung.
Ihr wichtigstes Werkzeug ist das Wort, die Erzählung von den schlimmsten Tagen der japanischen Geschichte und von ihren Folgen. Vor allem von ihren Folgen. Hidankyo-Mitglieder können bezeugen, wie die Jahrzehnte nach den Bomben waren. Wie Landsleute mit wuchernden Brandnarben leben mussten, mit einer anfälligen Gesundheit, weil die Strahlung ihr Immunsystem angegriffen hatte, und mit Diskriminierung beim Heiraten, bei der Jobsuche.
Für die Hibakusha, so heißen die Atombomben-Überlebenden auf Japanisch, wird dieser stille Aktivismus eine immer größere Kraftanstrengung. Denn natürlich werden auch sie nicht jünger. Sie schonen sich nicht. Sie reisen, sie stellen sich zur Verfügung. Es ist, als wollten sie ihre Botschaft bis zum letzten Atemzug verbreiten. Der Co-Vorsitzende Terumi Tanaka zum Beispiel ist mittlerweile 92. In diesem Jahr nahm er bereitwillig das Angebot der Non-Profit-Organisation Peace Boat an, auf einer Kreuzfahrt von Yokohama nach Kapstadt in kleinen Runden über die Verheerungen der Atombombenangriffe zu reden. Vor allem junge Leute wollte er dabei erreichen. „Denn wenn es kein Interesse an diesem Thema gibt, wird die Welt wieder zu einem Ort, an dem Atomwaffen eingesetzt werden“, sagte er der Zeitung Mainichi.
Aber die Zeitzeugen werden weniger. Erst vergangenes Jahr starb Iwao Nakanishi aus Hiroshima, der noch 2020 der SZ von seinem Kampf um ein altes Lagergebäude aus Backstein im Stadtteil Deshio erzählt hatte. Er war 15, als die Atombombe fiel. Er überlebte, weil die Mauern des massiven Bauwerks ihn schützten. Jetzt wollte er das Bauwerk vor dem Abriss schützen. Er war ruhig und bestimmt, kein Aktivist, der sich irgendwo ankleben muss. Er überzeugte mit seiner Geschichte. Er wurde 93 Jahre alt.
Ein bisschen zu spät kommt die große Auszeichnung also schon. Aber besser spät als nie. Für Japan ist es der zweite Friedensnobelpreis. 1974 bekam ihn der ehemalige Premierminister Eisaku Sato dafür, dass er die drei Prinzipien Japans einführte, keine Atomwaffen zu besitzen, herzustellen oder deren Herstellung auf japanischem Territorium zu erlauben. Das Thema ist also das gleiche geblieben, 50 Jahre später erscheint es dem Nobelpreiskomitee allerdings etwas dringlicher. „Die außerordentlichen Bemühungen von Nihon Hidankyo und anderen Vertretern der Hibakusha haben wesentlich zur Etablierung des nuklearen Tabus beigetragen“, sagte es in der Laudatio, „es ist deshalb alarmierend, dass dieses Tabu gegen den Einsatz von Atomwaffen heute unter Druck gerät.“