Geopolitik

Freie Sachsen: Wenn die Kommunalpolitik nach rechts kippt | ABC-Z

Seit Wochen sind die Freien Sachsen in Aue-Bad Schlema im Aufwind.
Sie feiern die “Implosion der Brandmauer auf kommunaler Ebene”. Und das allen
Versuchen der lokalen CDU zum Trotz, den Vorfall im Stadtrat im Nachhinein herunterzuspielen. Mittlerweile haben die
Rechtsextremen sogar eine Bürgerwehr gegründet, die bald die Auer Innenstadt
bestreifen soll.

Denn am Abend des 29. April war schließlich eingetreten, was
sich bereits Tage zuvor in einer Ausschusssitzung angekündigt hatte: Als der von
der Stadtverwaltung nur leicht modifizierte Antrag mit dem Titel “Maßnahmen zur Erhöhung
der Sicherheit und Bewältigung der Migrationssituation in Aue-Bad Schlema”, ursprünglich eingebracht von den rechtsextremen Freien Sachsen,
zur Abstimmung steht,
gibt es keine einzige Gegenstimme. Der Antrag aus der Feder einer von Neonazis
dominierten Partei ist damit beschlossen – ein entscheidender Kipppunkt in der
fortschreitenden Normalisierung rechtsextremer Akteure in der sächsischen
Kommunalpolitik.

Eine rechtsextreme Partei wird normalisiert

Mit Blick auf den Wahlkampf der Freien Sachsen und ihre lokalen Fraktionsvorsitzenden zeigt sich erst das Ausmaß dieses Vorganges: Stefan Hartung ist seit über einem
Jahrzehnt einer der umtriebigsten Neonazis im sächsischen Erzgebirge. Vor
seinem Engagement bei den Freien Sachsen war er jahrelang für die NPD (heute:
Die Heimat) aktiv. 2014 organisierte er migrationsfeindliche Fackelumzüge, bei
denen teilweise über Tausend Rechtsextreme vor Geflüchtetenunterkünfte zogen.
Später saß er für die NPD im Stadtrat von Aue-Bad Schlema. Als sich die Freien
Sachsen während der Coronapandemie als neue Kraft im rechtsextremen
Parteienspektrum gründeten, trat Stefan Hartung wie viele NPD-Kader in die Partei
ein.    

Nachdem er für die Freien Sachsen überwiegend als
Organisator und Anmelder von Coronaprotesten und anderen rechtsextremen
Demonstrationen aufgefallen war, trat er 2024 als Spitzenkandidat zur Stadtratswahl in
Aue-Bad Schlema an. Im Kommunalwahlkampf fielen die Freien Sachsen mit einer
Strategie auf, die
in Sprache und Taktik radikalisiert ist
: Sie setzten Kopfgelder auf Menschen
aus, die ihre Plakate abrissen, sprachen davon, “den Filz der Blockparteien
auch auf den untersten Ebenen mit dem eisernen Besen auszukehren” und kündigten
an, politische Gegner durch Bedrohungen zum Aufgeben zu zwingen
. Auch
Stefan Hartung fantasierte vom “Systemwechsel”. Eine Strategie, die aufging: In
Aue-Bad Schlema zogen die Freien Sachsen mit 12 Prozent der Stimmen in den
Stadtrat ein, und das, obwohl mit der AfD eine weitere rechtsextreme Partei
über 20 Prozent erreichte. Hartung erhielt mit 2.700 Stimmen sogar die meisten Stimmen
aller Kandidierenden.

Seit ihrem Einzug in die sächsischen Räte versuchen die
Freien Sachsen, ihre radikale Strategie im kommunalpolitischen Alltag
umzusetzen. Auch hierbei spielt Hartung eine besondere Rolle. Das Thema
Migrationsfeindschaft ist bei ihm omnipräsent, er spricht abwertend vom “Auer
Migranten-Moloch” und bezeichnet Migrantinnen pauschal
als “tickende Zeitbomben” und “Messerjungs”. Er zeichnet das Bild einer durch
Migration “überfremdeten” Stadt und fällt durch öffentlichkeitswirksame
Inszenierungen auf: So trug er einmal einen Sarg durch die Auer Innenstadt, womit
er auf die Gefahr angeblich mit Messern mordender Migranten aufmerksam machen
wollte.

Auch im Stadtrat kennen die Freien Sachsen kaum ein anderes
Thema.

Antrag auf “Asylnotstand”

Die Kampagne der Freien Sachsen gegen Migrantinnen gipfelte in dem Antrag von Ende April, den sogenannten Asylnotstand in Aue-Bad Schlema auszurufen.
Inhaltlich beschließt der Stadtrat damit die Feststellung einer Notlage, die
mit der nicht näher definierten “Migrationssituation” und daraus folgenden “gesellschaftlichen Transformationen” begründet wird. Die Freien Sachsen
sprechen im Kontext der Aufnahme von Geflüchteten von einem “Überfremdungsproblem”
und fordern die “sofortige Beendigung der gegenwärtigen Asylpraxis”. Gleichzeitig
verpflichtet der Stadtrat den CDU-Oberbürgermeister Heinrich Kohl
mit dem Beschluss, sich beim Bundesland Sachsen dafür einzusetzen, bestimmte Asylsuchende nicht mehr in Aue-Bad Schlema unterzubringen.

Die nahezu einstimmige Annahme dieses Antrags auf Initiative
einer rechtsextremen Partei stellt ein bisher undenkbares Ereignis dar. Die
Partei gilt seit 2021 als
gesichert rechtsextrem, ihre Protagonisten stammen überwiegend aus der früheren
NPD, selbst ein verurteilter Rechtsterrorist der Gruppe Freital kandidierte auf
den Listen der Partei zur Kommunalwahl. Dazu bedroht sie immer wieder
Vertreterinnen demokratischer Parteien, was im letzten Jahr bereits zum
Rücktritt eines sächsischen Landrates führte. Dass ein Stadtrat einer Partei
von Neonazis das Geschenk macht, ihrem Antrag zuzustimmen, und das ohne Gegenstimme,
ist in Anbetracht der Herausforderungen, die das Erstarken Rechtsextremer
kommunalpolitisch mit sich bringt, strategisch unklug.

Die Zustimmung zu einem Antrag aus der Feder rechtsextremer
Parteien bedeutet, diese als normale Partnerin in der Politik anzuerkennen. Auf
diese Weise können sich die Freien Sachsen als Partei mit Sachkompetenz inszenieren
und realpolitische Erfolge vorweisen, wodurch ihre systemfeindlichen Ziele in
den Hintergrund rücken.

Wie rechts zum neuen Normal wird

Diese Einschätzung deckt sich mit neuesten
Forschungsergebnissen zur AfD. So zeigt Dr. Valentin Domann
in einer Studie am Beispiel Brandenburgs
unter anderem, wie auch scheinbar
sachliche Politik – wie das Leiten eines Ausschusses durch rechtsextreme
Politiker – dazu führen kann, dass diese im Laufe der Jahre als normaler Teil
der lokalen politischen Landschaft anerkannt werden. Von Außenseitern werden sie
zur neuen lokalen Elite, während all diejenigen, die sich gegen sie stellen, zu
neuen Außenseiterinnen werden.

Das Beispiel von Aue-Bad Schlema zeigt, wie hilflos
demokratische Parteien ihren rechtsextremen Gegnern häufig gegenüberstehen. Im
Versuch, den Abstimmungserfolg der Freien Sachsen zu verhindern, sorgte der
CDU-Oberbürgermeister dafür, dass der rechtsextreme Antrag in sprachlich leicht
entschärfter Version von der Stadt übernommen und offiziell als Antrag der
Verwaltung in den Stadtrat eingebracht wurde. Dieser formale Kniff änderte
jedoch nichts daran, dass es sich immer noch um einen von den Freien Sachsen
geschriebenen Antrag handelte. Dieser wurde durch das Label als offizieller städtischer
Antrag nur noch aufgewertet.

Nun jubeln die Freien Sachsen und wollen den Rückenwind
ihres erfolgreichen Stadtratsbeschlusses dafür nutzen, ihre Bürgerwehr
aufzubauen. Für Stefan Hartung die “praktische Umsetzung” seines Stadtratsbeschlusses.

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