Kultur

Freiburger Ausstellung zur Weimarer Republik | ABC-Z

Als der Maschinist das Tempo des Fließbandes mit einer Handbewegung erhöht, kann der neue Arbeiter – kleiner und schwächer als die anderen, aber erkennbar eifrig – das Soll nicht mehr erfüllen. Anfangs versucht er es, indem er den immer rascher vorbeischießenden Werkstücken hinterhereilt, irgendwann reicht auch das nicht mehr, und er wirft sich auf das Fließband, mit dem er im Getriebe der riesigen Maschine verschwindet. Der Kollege aber, der neben ihm arbeitete, ruft ihm hinterher: „He’s crazy!“

Dass die Kuratoren der Ausstellung „Modern Times“ zur Kunst der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts gerade diesen Ausschnitt aus Charlie Chaplins gleichnamigem Film an den Beginn des Rundgangs im Freiburger Museum für Neue Kunst stellen, leuchtet sofort ein. Nicht nur weil die Sequenz eine Arbeitswelt darstellt, in der sich der Mensch den Maschinen anpasst und nicht umgekehrt, was im Verlauf der Ausstellung noch mehrfach zum Sujet wird. Sondern auch weil durch den Ausruf des Kollegen ein Bogen zu einem anderen Phänomen gespannt wird, das einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt in der Kunst jener Jahre liefert.

Nicht weit davon entfernt, die Kontrolle zu verlieren

Denn so, wie die Zwanzigerjahre hier beleuchtet werden, von den unmittelbaren Kriegsfolgen in der Weimarer Republik über die oft elende Welt der Arbeiter, die politischen Spannungen, die beginnende Emanzipation und Teilhabe der Frauen bis hin zum rauschhaften Gehabe der Neureichen, stellt sich immer auch die Frage, was eigentlich aus jenen wird, die nicht mittun können oder wollen.

Was ist nur aus uns geworden? Max Beckmanns „Irrenhaus“ entstand 1919.Lindenau-Museum Altenburg

Einige der jetzt in Freiburg versammelten Künstler finden die Antwort darauf, indem sie sich den Insassen der psychiatrischen Kliniken zuwenden, etwa Conrad Felixmüller mit „Soldat im Irrenhaus“ von 1918 – der Mann, viel zu groß für die schmale Pritsche, auf der er kniet, hat blutrote Hände und ein ebenso eingefärbtes Eisernes Kreuz auf der Brust. Durch ein Fensterchen beobachtet ihn ein anderer Mann. Der Soldat wendet den Kopf in unmöglicher Drehung des Halses, sein Mund steht leicht offen, als ob er dem Betrachter draußen etwas zuruft. Dass der Mann jenseits der Mauern dem kraftstrotzenden Patienten die Tür zurück in die Welt öffnen wird, kann man kaum erwarten. Ob es sich der Soldat überhaupt wünscht?

Andere Künstler stellen genau das dar, etwa George Grosz mit seiner Zeichnung „Krawall der Irren“, der das Geschehen auf die Straße verlegt, und auf manchen Bildern dieser Ausstellung scheinen die Protagonisten mit ihrem regen Mienenspiel angesichts der Ungeheuerlichkeiten, deren Zeugen sie werden, nicht weit davon entfernt, die Kontrolle über sich zu verlieren – für Momente, vielleicht auch für länger. Es sind die grotesken Unterschiede zwischen Armut und obszönem Reichtum jener Jahre, der Hunger, der ungläubig den Reichtum in den Auslagen betrachtet, das Elend der Kriegskrüppel, die matten Gesichter der Arbeiter in den Kohlerevieren, die Conrad Felixmüller Anfang der Zwanzigerjahre zeichnete, als er sein Stipendium, das ihn nach Rom führen sollte, lieber für einen Aufenthalt im Ruhrgebiet einsetzte.

Rosa und Karl auf Himmelfahrt: Conrad Felixmüllers Grafik „Menschen über der Welt“ entstand 1919Bertram Kober/VG Bild-Kunst, Bon

Ein Herzstück dieser Ausstellung, die sich vor allem den reichen Leihgaben aus dem Lindenau-Museum in Altenburg verdankt, ist dann auch der vor genau hundert Jahren publizierte Radierungszyklus „Der Krieg“ von Otto Dix. Er wird vollständig in einem eigenen Raum präsentiert, fünfzig dicht gehängte Blätter, denen eine Triggerwarnung der Ausstellungsmacher vorausgeht, weil die verschiedenen Stadien der Verwesung, die hier dargestellt werden, tatsächlich grauenhaft intensiv sind. Dix wechselt dabei immer wieder die Perspektive, setzt Stillleben neben handlungsreiche Szenen wie die vom Angriff der mit Gasmasken versehenen Soldaten, die den Totenköpfen anderer Bilder erschreckend ähneln.

Nicht alles ist abgründig in dieser Ausstellung. Sie hat Momente des schönen Überschwangs ebenso wie Zeugnisse gesellschaftlichen Aufbruchs, etwa die künstlerische Heiligsprechung der ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die etwa Conrad Felixmüller eng umschlungen in den Himmel schweben lässt. Derselbe Maler, dessen Werke diese Ausstellung nicht wenig prägen, schuf 1923 mit „Arbeiterzug nachts“ ein Werk, dessen Farben und flächige Gestalten die ganze Ambivalenz der Zeit in sich tragen, schweres Gepäck und Zuversicht zugleich.

Nicht schummeln! Otto Dix’ „Kartenspieler“ von 1920Lindenau-Museum Altenburg/VG Bil

Schließlich gilt ein Fokus der Ausstellung den Kindern, die früh einer verstörenden Welt ausgesetzt sind, an der sie verzweifeln oder auch wachsen. Und gegen die sie protestieren wie Elisabeth Voigts „Kleine Trommler“ von 1926. Er sitzt in einem leeren Zimmer, schlägt die Trommel und schreit, vielleicht singt er auch, wiegt sich im Takt und wirft sein Haar. Auch so lässt sich dem Irrsinn der Zeit die Stirn bieten. Sein Publikum findet der Junge zuverlässig, spätestens heute.

Modern Times – Bilder der 1920er Jahre. Museum für Neue Kunst, Freiburg; bis 16. Februar. Der Katalog kostet 28 Euro.

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