Kultur

„Freaky Tales“ ist ein filmisches Mixtape der 1980er Jahre. Lohnt es sich das zu gucken? | ABC-Z

Berlin taz | Warum ausgerechnet Marvel Studios auf Filmemacher aus dem Independentbereich setzt, ist eine Frage, die Verehrer wie Verächter der Superheldenschmiede gleichermaßen umtreibt. Denn glücklich scheinen oftmals beide Gruppen mit der Wahl von Regisseurinnen und Regisseuren wie Taika Waititi, Nia DaCosta oder Chloé Zhao für die Inszenierung greller Megablockbuster nicht zu sein. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Immerhin muss die künstlerische Eigenständigkeit über gigantischen Einspielergebnissen und sonstigen Mainstream-Meriten des Marvel-Universums nicht verloren gehen. Das beweisen Anna Boden und Ryan Fleck gerade eindrucksvoll. Nach ihrer Arbeit an „Captain Marvel“ (2019) legt das Filmemacherpaar eine Anthologie vor, für die es sich wohl kaum einen größeren kommerziellen Erfolg ausgerechnet haben dürfte. Dafür ist ihr neuer Film in seiner Form zu verspielt, in seinem Fokus zu sperrig.

„Freaky Tales“ versteht sich zuerst als eine Ode an Oakland, genauer an ein spezielles Lebensgefühl, das gegen Ende der 1980er Jahre dort vorherrschte. Die zahlreichen Bezüge zur Sport-, Musik- und sonstigen Popkulturgeschichte der Stadt in der San Francisco Bay Area im Detail zu entschlüsseln, ist aber keineswegs Voraussetzung, um Freude an diesem Kuriosum zu haben.

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Die vier Kurzgeschichten, die titelgebenden „Freaky Tales“, werden durch ein übernatürliches Phänomen zusammengehalten – um eine authentische Stadtchronik geht es also ohnehin nicht. Ein ominöses grünes Licht ist es, das in allen Kapiteln aufleuchtet wie ein radioaktiver Blitz am Nachthimmel. Über seinen Ursprung ist nichts bekannt. Vielleicht ein Geschenk von Aliens – vielleicht ein unheilvolles Vorzeichen, das den Weltuntergang prophezeit.

Das Licht beeinflusst die Bewohner

Fest steht allerdings: Es hat Einfluss auf die Bewohner der Stadt. Anna Boden und Ryan Fleck, die sich vor ihrem Ausflug in das Marvel Cinematic Universe vor allem mit dem Sozialdrama „Half Nelson“ einen Namen gemacht haben, begehen glücklicherweise nicht den Fehler, die exakte Wirkung des mystischen Glühens reizlos zu vereindeutigen. Dass es im Zweifel auf der Seite der gutherzigen Underdogs steht und ihnen zu Gerechtigkeit verhilft, zeigt sich im Laufe der gut 100-minütigen Spielzeit auch so.

Beeindruckender als die Handlung selbst ist in „Freaky Tales“ die Art und Weise, wie sie sich entfaltet. Die raue Bild­ästhetik und ihre entsättigten Farben werden durch aufflackerndes Neon, krakelige Comic­zeichnungen und Szenen in flirrender VHS-Optik gebrochen. So entsteht ein visuelles Konzept, das wie die filmische Variante eines Zines wirkt – jene meist mit großer Detailverliebtheit selbstgemachten Heftchen, die vor allem in Gegenkulturen, etwa der Punkszene, weit verbreitet sind.

In den besten Momenten des Films geht die auffällige Ästhetik nahtlos ins Geschehen über und beschwört, vibrierend vor subkultureller Energie, eine halb surreale, halb nostalgische Atmosphäre herauf. In der Eröffnungsepisode etwa, die sowohl vom entschlossenen Widerstand eines Punkrockklubs gegen die örtliche rechtsradikale Schlägertruppe als auch von der schüchternen Annäherung zwischen den beiden Szenekids Tina (Ji-young Yoo) und Lucid (Jack Champion) erzählt.

Es wechselt sich die Leichtfüßigkeit absurder, schneller Komik mit extremem Gore ab

Dabei wechselt sich die Leichtfüßigkeit von absurder Komik in Schnittgeschwindigkeit mit extremem Gore und bis in die schwarzen Letterbox-Balken hineinspritzenden Blutfontänen ab. Eine Mischung, die bisweilen an Quentin Tarantino erinnert – allerdings ist sie hier von einem deutlich spürbaren (links-)politischen Subtext durchzogen. Anna Boden und Ryan Fleck verfallen jedoch weder in platte Monothematik noch legen sie das Geschehen stupide auf eine einzige Lesart fest.

Im dritten Kapitel erscheint Pedro Pascal

Nachdem sich die Episode darauf etwa um zwei Möchte­gernmusikerinnen (Normani Kordei Hamilton, Dominique Thorne) dreht, die sich in einem ­Rapbattle der lokalen Größe Too $hort (gespielt vom deutschen Künstler Symba) stellen, tritt Pedro Pascal im ­dritten ­Kapitel als Schuldeneintreiber auf, der seiner kriminellen Vergangenheit nach einem letzten Auftrag den Rücken kehren möchte.

Der finale ­Abstecher in das Hinterzimmer einer Videothek – begleitet von einem amüsanten Cameo-Auftritt von Tom Hanks – nimmt ­jedoch eine unerwartet tragische Wendung. Dennoch ist klar, wie die Sache ausgehen wird, wenn Basketballspieler Eric „Sleepy“ Floyd (Jay Ellis) im letzten Akt auf einen sadistischen Polizisten (Ben Mendelsohn) trifft, der zuvor seine Schergen zu einem Einbruch in dessen Villa entsandt hat.

Freaky Tales

Regie: Ryan Fleck und Anna Boden. Mit Pedro Pascal, Jay Ellis u. a. USA 2024, 107 Min.

Der Film endet schließlich in einer furios choreografierten Martial-Arts-Sequenz – und das scheint nur konsequent für ein Werk, dessen Gewicht vor allem in der Inszenierung liegt, die mit präzisem Gespür für Stimmung und Stil eine eigene, spaßig-überzeichnete Sprache der urbanen Subversion spricht.

Damit erweist sich „Freaky Tales“ nicht nur als Hommage an Oakland, sondern an die Stadt im Allgemeinen, ihre Gegensätze und vor allem ihre pulsierenden Mikrokosmen aus Wut und Widerstand, wie man sie auch andernorts finden kann.

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