Frauke Brosius-Gersdorf bei Lanz: „Wir haben Drohungen bekommen“ | ABC-Z

Berlin. Die Verfassungsrichterkandidatin kämpft bei Lanz um ihren Ruf – die Union stoppte überraschend ihre Wahl. Was steckt dahinter?
„Aus einer angesehenen Jura-Professorin wird eine linke Aktivistin“ – Markus Lanz eröffnet die Diskussion an diesem Dienstagabend mit einer provokanten These, die den Kern einer gesellschaftlichen Debatte trifft. Im Zentrum steht Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin und gescheiterte SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Ihre Wahl scheiterte jüngst überraschend am Widerstand innerhalb der Unionsfraktion.
„Es geht mir den Umständen entsprechend“, sagt Brosius-Gersdorf zu Lanz, sichtbar gezeichnet von den Ereignissen der letzten Tage. Der öffentlich ausgetragene Streit habe nicht nur sie, sondern auch ihr direktes Umfeld massiv belastet. „Ich möchte einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten“, erklärt sie ruhig und bestimmt. Brosius-Gersdorf beklagt, die mediale Berichterstattung sei teilweise „unvollständig oder sogar falsch“ gewesen – eine Erfahrung, die sie als „infam“ bezeichnet.
Eskalation der Debatte: Brosius-Gersdorf erhält Drohungen
Die Debatte sei auf eine Art und Weise eskaliert, die selbst sie, als erfahrene Juristin, überrascht habe: „Das hätte man sich in den schlimmsten Träumen nicht vorstellen können.“ Die öffentliche Zuspitzung rund um die Wahl einer Verfassungsrichterin – „ich halte das für brandgefährlich.“ Persönliche Drohungen hätten die Situation zusätzlich verschärft: „Wir haben Drohungen bekommen, per E-Mail, Poststücke mit verdächtigem Inhalt. Ich musste vorsorglich Mitarbeitende an meinem Lehrstuhl bitten, nicht mehr dort zu arbeiten.“
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Brosius-Gersdorf bemängelt, dass einzelne Medien unreflektiert anonyme Quellen aufgegriffen hätten und sich auf eine unvollständige Faktenlage stützten: „Ich finde, dass die Bevölkerung ein Recht auf Erklärung hat.“ Sie wirkt in der Sendung entschlossen, ihre Positionen klarzustellen und Missverständnisse auszuräumen. Ihr zentraler Satz des Abends – „Ich vertrete gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft.“
Nie für eine generelle Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
Besonders getroffen habe sie die Aussage des Bamberger Erzbischofs Herwig Gössl. Er hatte am Sonntag in seiner Predigt gesagt: Er wolle sich nicht vorstellen können, „in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet.“
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Kritisiert wurden vor allem ihre Aussagen zu sensiblen Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Kopftuchverbot im Staatsdienst und einem möglichen Verbot der AfD. In Bezug auf Letzteres räumt sie eine „unglückliche Formulierung“ ein. Bei ihrem vergangenen „Lanz“-Auftritt sagte sie, dass mit einem Parteiverbot nicht das Problem der Anhängerschaft gelöst sei. Diese Formulierung sei unglücklich gewesen. „Ich bin kein Medienprofi, das ist mir leider passiert, das ist bedauerlich“, so Brosius-Gersdorf. Und sie stellt noch einmal klar: Ein Parteiverbot sei nur bei ausreichender Beweislage gerechtfertigt.
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Die Kontroverse um ihre Haltung zum Schwangerschaftsabbruch präzisiert sie deutlich: „Ich bin nie für eine Legalisierung bis zur Geburt eingetreten.“ Vielmehr plädiert sie dafür, dass Abbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig sein sollten. Ihre Argumentation beruhe auf einer Abwägung zwischen den Grundrechten der Frau und den Grundrechten des Embryos – eine Abwägung, die „der Mehrheitswille der Bevölkerung“ unterstütze, so Brosius-Gersdorf.
Plagiatsvorwürfe: Stellungnahme des Rechtsanwalts erwartet

Brosius-Gersdorf berichtet im ZDF-Talk mit Markus Lanz von Drohungen.
© ZDF/dpa | Markus Hertrich
Zu den kurz vor der Wahl aufgetauchten Plagiatsvorwürfen äußert sie sich nur indirekt und verweist auf eine anstehende Stellungnahme ihres Rechtsanwalts. Sie habe davon im „Tagesspiegel“ gelesen – und im ersten Moment gedacht: Das jetzt auch noch? „Es hat mich auch irgendwo aus der Bahn geworfen. An dem Tag hatte ich überhaupt keine andere Chance als zu überleben“, schildert sie emotional die Situation.
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Anna Lehmann, Leiterin des „taz“-Parlamentsbüros, zeigt Verständnis für die Juristin und fordert von der Union Professionalität: „Bei Herrn Harbarth hat es doch funktioniert, wieso sollte es bei einer Frau nicht funktionieren?“ Der frühere CDU-Politiker Stephan Harbarth ist mittlerweile Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Verfassungsrichter müssen „über jeden Zweifel erhaben“ sein
Marc Felix Serrao, Chef des Berliner „NZZ“-Büros, hingegen bleibt skeptisch: Er kritisiert die SPD, Brosius-Gersdorf möglicherweise gezielt für ein AfD-Verbotsverfahren vorgeschlagen zu haben. „Schon der Verdacht beschädigt das Gericht“, so Serrao. Er fordert Verfassungsrichterinnen und -richter, „über jeden Zweifel erhaben“ zu sein, und hält Brosius-Gersdorf ihre ungewöhnlich deutliche AfD-Verbots-Diskussion vor.
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Der NZZ-Journalist argumentiert juristisch sauber, aber sein unablässiger Verweis auf religiös-konservative Werte mit der wiederholten Erwähnung, dass sie dem Embryo die Menschenwürde absprechen wolle, lässt erahnen, dass auch er das wissenschaftliche Schriftstück von Brosius-Gersdorf nicht vollends durchdrungen hat.
Brosius-Gersdorf: „Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land“
Jens Spahn, Unions-Fraktionschef, hatte zuvor signalisiert, dass die Union Brosius-Gersdorf mittragen würde. Dass der Rückzug nun überraschend erfolgte, wertet Lehmann als Ausdruck interner Zerwürfnisse in der Union. Mit dem speziellen Konfliktthema Abtreibungen. „Das geht an die DNA der CDU“, sagt Markus Lanz. Ob sie die Reaktion verstehen könne, will Lanz von Brosius-Gersdorf wissen. „Ehrlich gesagt: Nein. Es stand ja alles schwarz auf weiß geschrieben. Ich war ja auch im Wahlausschuss und habe mich dem gestellt“, antwortet sie.
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Doch wie geht es jetzt weiter, will Markus Lanz wissen. „Das ist für mich nicht einfach zu antworten“, so Brosius-Gersdorf. „Es geht nicht mehr nur um mich. Es geht auch darum, was passiert, wenn sich solch eine Kampagne durchsetzt.“ Was mache das mit der Demokratie? Wie könne das Verfassungsrecht in Ruhe arbeiten?
„Da ist wieder dieses Dilemma“, erwidert Lanz und fragt, ob das Verfassungsrecht gerade Schaden nimmt. „Sobald das nur droht, würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten. Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land“, antwortet die Juristin.
Die Sendung lässt deutlich werden, dass hinter der gescheiterten Richterwahl eine tieferliegende Krise politischer Kommunikation und Verantwortung steckt. Und zeigt: Wir sollten an unserer Debattenkultur arbeiten. Es kann nicht sein, dass die Demokratie gefährdet sein soll durch die Wahl oder Nicht-Wahl einer Verfassungsrichterkandidatin.