Sport

Frauenfußball: Endlich mit Allüren | DIE ZEIT | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich
und Christian Spiller über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil
von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 30/2025. 

Chloe Kelly ist eine der auffälligsten
Spielerinnen dieser EM. Das liegt nicht nur an der Art und Weise, wie die
Engländerin Fußball spielt, sehr gut nämlich. Auch an ihrem Jubel.

Als Kelly in der Verlängerung des Halbfinals
gegen Italien ihren Elfmeter im Nachschuss verwandelte, startete sie gleich
eine doppelte Jubelshow. Sie lief mit einem lässigen Grinsen zu ihren Fans und
gestikulierte mit ihren Händen, als wollte sie sagen: Entspannt euch, alles gut.
Danach, ihre Kolleginnen waren nach der Gratulation schon wieder abgezogen,
stützte sie sich mit dem Ellenbogen auf die Eckfahne und posierte noch einmal:
War doch klar, ich, wer sonst? Wohl eine Hommage an die Arsenal-Legende Thierry
Henry, der auch einst so jubelte.

Diese Szenen waren deshalb so besonders, weil
Fußballerinnen solch Poserei bislang meist abgeht. Im Gegensatz zu den Männern,
bei denen so gut wie jeder Torjubel einstudiert wirkt, sieht man bei den Frauen
oft nur Freude. Intuition statt Kalkulation. Chloe Kelly ändert das nun.
Frauenfußball gibt es nun auch mit Allüren, die mitunter etwas abgehoben wirken. Und
das ist gut so. 

Denn die Dimensionen der Showeffekte sind
auch immer ein Gradmesser für die Wertigkeit des Spiels. Ich spiele in der
Medienliga, Kleinfeld, Freizeit, überschaubares Niveau. Würde hier beim
Torjubel jemand den Affen machen, wäre das furchtbar lächerlich. Doch um je
mehr es geht, desto exaltierter wird der Gestus. Allüren bedeuten
damit auch, dass das Spiel sich professionalisiert. Arroganz als nächster Schritt.

Der Fußball der Frauen steckt nämlich in einer
Romantikfallle. Er ist derzeit so beliebt, weil die Spielerinnen frisch, nah
und anders daherkommen als die Männer, vor deren Folie die Frauen nun einmal fast
immer spielen. Es sind Frauen, mit denen man sich identifizieren kann, weil sie
sich für ihre Geburtstage weder Kleinwüchsige einladen noch
komplette Vergnügungsparks bauen lassen

Die Frauen tragen ohne jede Diskussion die
Regenbogenbinde. Sie spielen immer auch ein wenig für eine größere Sache,
nämlich dafür, dass es selbstverständlich ist, dass Frauen und Mädchen Fußball
spielen. Eine Botschaft, die ich als Vater einer Tochter gar nicht hoch genug
schätzen kann. 

Dazu wirken die Fußballerinnen einfach
furchtbar nett. Trotz aller Diskussion um Equal Pay sagen viele selbst, dass
sie auf keinen Fall so viel verdienen wollen würden wie die Männer. Weil
ihnen das zu viel von allem sei: Geld, Kommerz, Brimborium. 

Doch je größer der Sport wird, je mehr Leute
zuschauen, je mehr Geld ins Spiel kommt, desto weniger romantisch könnte es
demnächst zugehen. Frauenfußball boomt. Zu wachsen, ohne kommerzieller und
damit auch überzogener zu werden, ist wie der Versuch, ein Fußballspiel zu
gewinnen, ohne den Ball zu haben. Es ist unmöglich. 

So wunderten sich viele bereits im Finale des
letzten Turniers (Siegtorschützin gegen Deutschland: Chloe Kelly), wie die
Engländerinnen plötzlich zu Meisterinnen des Zeitspiels wurden, indem sie den
Ball minutenlang an der gegnerischen Eckfahne eingeklemmt hatten. Und vom
Klischee, dass Frauen weniger foulen, war zumindest rund um die Spiele der
deutschen Elf kaum etwas zu sehen. Die DFB-Spielerinnen traten und kämpften
sich vor allem im Viertelfinale gegen Frankreich ganz nonchalant in die Herzen
ihres Landes. 

Und Chloe Kelly? Die jubelt nicht nur extravagant.
Sie hat auch eine ganz eigene Elfmeterroutine entwickelt. Im Viertelfinale
gegen Schweden trampelte sie erst auf dem Elfmeterpunkt herum, ließ den Ball
dann fünfmal über den Elfmeterpunkt rollen, stellte sich dann wie ein Cowgirl
über den Ball, lief lächelnd rückwärts und machte dann im ersten Schritt Anlauf
einen galoppartigen Hopser. Nichts an dieser Routine ist sportlich notwendig,
alles ist exzentrisch. Genau das Gegenteil dessen, wofür der Fußball der Frauen
bisher stand. Jetzt: Equal Pose.

Kelly, die mit sechs Brüdern in Westlondon
aufwuchs, ist das, was die Engländer “sassy” nennen, grob übersetzt bedeutet
das “frech” oder “aufmüpfig”. Das steht im Kontrast zu den Fußballerinnen der
Vergangenheit, denen man höchstens ansah, froh zu sein, überhaupt spielen zu
dürfen. Mit Medien und der Öffentlichkeit fremdelten viele, die legendäre
deutsche Stürmerin Birgit Prinz zum Beispiel wollte eigentlich nur einen Fußball
am Fuß haben und sonst ihre Ruhe. Interviews gab sie nur, wenn sie sich nicht
vermeiden ließen. 

Die neue Generation ist anders. Sie sucht die
Öffentlichkeit und hat erkannt, dass sie, soll der Sport weiter wachsen, die
Spielchen der Aufmerksamkeitsökonomie mitmachen müssen. Als Chloe Kelly auf der
Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Italien gefragt wurde, woher ihre
Zuversicht komme, antwortete sie: “Aus mir selbst.”

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