Frauen in Syrien: “Die Syrerinnen bauen das Land auf und haben trotzdem kaum Rechte” | ABC-Z

Seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember ringen die Menschen in Syrien um die Zukunft ihres Landes. Eine der zentralen Fragen: Welche Rolle spielen künftig Frauen in Politik und Gesellschaft? Unter dem Despoten Baschar al-Assad wurden die Syrerinnen benachteiligt und von wirklicher Teilhabe ausgeschlossen. Viele Frauen hoffen, dass sich das nun ändert.
Der Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa, einst Chef der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), gibt sich bisher moderat und verspricht, die Position von Frauen zu stärken. In der von ihm im März unterzeichneten Verfassungserklärung sind auch Frauenrechte verankert. Und bei der Wahl für ein neues Übergangsparlament, die für Mitte September angesetzt ist, soll es eine Frauenquote geben. Viele Syrerinnen sehen das nur als Anfang. Sie wollen einen echten Wandel.
DIE ZEIT hat in Syrien mit drei Frauen über ihre Hoffnungen und Ängste gesprochen. Ihre Perspektiven sind so unterschiedlich wie ihre Herkunft und Erfahrungen. Sie erzählen von der Last des Kriegs, der Sorge um ihre Kinder – und warum sie für ihre Rechte kämpfen wollen. Ihre Nachnamen nennen wir nicht und zeigen sie auch nicht im Bild, zu ihrer eigenen Sicherheit.
“In Syrien denken viele, Feminismus sei aus dem Westen importiert und etwas Schlechtes”
Angela, 25, Journalistin, Suweida
Nach dem Sturz des Assad-Regimes dachte ich: Jetzt sind wir endlich frei. Unter der Diktatur hatten wir Syrerinnen und Syrer keine Rechte. Nicht als Bürger und nicht als Frauen. Ich fand das immer ungerecht und bin deswegen bei den Protesten gegen Assad mitgelaufen. Meine Eltern sahen meinen Aktivismus kritisch. Sie hatten Angst, über Politik zu sprechen, sie wollten nicht ins Visier des Regimes geraten. Ich fand ihre Passivität schwierig. Auch haderte ich mit meiner Religion. Ich komme aus einer christlichen Familie. Als Kind und Teenagerin war ich sehr religiös.
Als ich älter wurde, begann ich, die Kirche als Institution mehr zu hinterfragen. Einmal fragte ich den Priester meiner Kirche, ob auch ich als Frau Priesterin werden könnte. Er antwortete barsch: “Nein, aber du kannst Nonne werden.” Ich antwortete: “Ganz sicher nicht.” Ich fiel in eine Identitätskrise. Mit 19 bin ich von zu Hause ausgezogen. Seitdem lebe ich allein in Jaramana, einem Vorort von Damaskus. Als Syrerin breche ich damit viele Tabus. Für mich fühlt es sich wie eine Befreiung an.
Ich möchte, dass es den Frauen in meinem Land besser geht. Deswegen engagiere ich mich in einer Organisation, die sich für Gleichberechtigung einsetzt. Eine Freundin hat sie 2020 gegründet. Wir sind junge Frauen und Männer und diskutieren etwa darüber, wie wenig Mitsprache Frauen bei politischen Entscheidungen haben. Oder, inwieweit Frauen bei der medizinischen Versorgung benachteiligt werden. In Syrien ist es zum Beispiel schon ein Problem, wenn eine unverheiratete Frau sich beim Frauenarzt durchchecken lassen möchte. Aus Sicht der Ärzte und ihrer Familie hat sie dafür keinen Grund, sie hat ja keinen Mann, ist also sexuell nicht aktiv. Als ob die Gesundheit einer Frau ansonsten nicht zählt. So offen über den weiblichen Körper zu sprechen – das ist für viele Menschen in Syrien anstößig.
Unter dem Assad-Regime haben wir im Geheimen gearbeitet. Unsere Organisation war nicht bei den Behörden registriert. Und wir haben nur Menschen zu unseren Treffen eingeladen, die wir kannten und denen wir vertrauten. Wir fürchteten, dass uns sonst jemand bei den Behörden oder in der Nachbarschaft verpetzen könnte und wir dann unsere Arbeit einstellen müssten. Seit dem Machtwechsel können wir unsere Meinung sagen, ohne fürchten zu müssen, ins Gefängnis geworfen zu werden. Wir wollen unsere Organisation jetzt offiziell registrieren.
In Syrien gibt es neben den Sunniten auch Christen, Drusen, Alawiten, Kurden. Sie praktizieren ihren eigenen Glauben, pflegen ihre Traditionen. Doch Frauenrechte sind universell. Wir möchten die Menschen in allen Teilen des Landes und der Gesellschaft dafür sensibilisieren. Auch jene in den ländlichen und konservativen Regionen, die gar nicht wissen, dass Frauen überhaupt Rechte haben. In Syrien denken viele, Feminismus sei aus dem Westen importiert und etwas Schlechtes. Dass er Familienwerte zerstört, die Gesellschaft spaltet. Wir wollen den Menschen die Angst vor diesem Wort nehmen.
Wir brauchen einen Feminismus, der zu unserer Gesellschaft passt. Es ist zum Beispiel inakzeptabel, dass nur Väter ihre Nationalität an die Kinder weitergeben können. Oder, dass es keine rechtliche Handhabe gegen häusliche Gewalt gibt. Unsere Gesetze kommen allein den Männern zugute. Wir müssen das System von Grund auf ändern, um Frauen besserzustellen.
Ich bezweifle, dass das mit der neuen Regierung möglich ist. Vor einiger Zeit hat das Tourismusministerium eine neue Richtlinie erlassen: Frauen sollen an öffentlichen Stränden und in Schwimmbädern Burkinis oder andere Badeanzüge tragen, die den ganzen Körper bedecken. Nur an Privatstränden oder in Hotels mit mehr als vier Sternen soll das nicht gelten. Als ob sich die Syrerinnen Fünf-Sterne-Hotels leisten könnten! Ich finde es falsch. Frauen sollten selbst entscheiden können, was sie tragen.





















