„Frauen haben keine Lust auf verbales Masturbieren“ | ABC-Z
Berlin. Die Journalistin setzte sich in einer von Männern dominierten Nachrichtenwelt durch. Doch vieles geht Doğan dabei massiv auf die Nerven.
Sie kommen aus Bremen (Böhmermann), Mönchengladbach (Winterscheidt) oder Detmold (Schmitt). Sie lernten beim Musiksender Viva (Heufer-Umlauf, auch Raab, Opdenhövel, Pocher) oder der Konkurrenz von MTV (Winterscheidt, Heufer-Umlauf). Und sie haben eines gemeinsam: Sie sind deutschstämmige Männer mittleren Alters aus Westdeutschland. Mögen die Stars des gesellschaftspolitischen Entertainments auch Vielfalt einfordern und artig auf geschlechtergerechte Sprache achten – das Angebot ist so undivers wie zu den Zeiten von Nowottny, Bednarz und Gottschalk. „Wir würden ja wirklich gerne was mit Frauen machen“, raunen Podcast- und Showproduzenten im Vertrauen. „Aber es gibt leider keine.“
Wirklich nicht? Alev Doğan ist eine überwiegend freundliche Person. Aber derlei gönnerhafte Kommentare machen sie wütend. Vielleicht, sinniert sie über ihrem Ingwer-Zitrone-Tee, „haben viele Frauen gar keine Lust auf diese Grauzone aus journalistischer Unterhaltung, dieses Herumkrakeelen und Quatschmachen, das verbale Masturbieren in diesen endlosen, oft schmerzhaften Laberpodcasts“. Rumms. Ach, und noch was. „Zufall, dass der ernsthafte Journalismus inzwischen stark in weiblicher Hand ist, ob Illner, Maischberger, Miosga im Fernsehen plus Print-Frauen wie Melanie Amann, Mariam Lau und Ulrike Herrmann?“ Sind die Jungs einfach nur intellektuell in der Umkleidekabine kleben geblieben?
Auch interessant
Alev Doğan über Frauennetzwerke und Rollenbilder
Alev Doğan, wenige Tage vor dem Mauerfall in Bad Honnef geboren, ist Podcasterin und stellvertretende Chefredakteurin der Medienfirma Pioneer, deren Chef Gabor Steingart das morgendliche Podcast-Briefing aus den USA nach Deutschland brachte und populär machte. Aus der früheren One-Man-Show ist das weiblichste Informationsangebot des politischen Berlins geworden, mit Doğan und Dagmar Rosenfeld, Chelsea Spieker und Karina Mößbauer. Die Personalstrategie wird auch von der Chefin vorangetrieben, die ein feines Gespür für die Macht- und Mackerströme im politischen Berlin entwickelt hat.
Zwar reden alle sehr engagiert von Gleichstellung. Aber wie sieht die Realität aus? „Geht so“, findet Doğan. Ein Bestreben sei allerorten spürbar. Aber historisch gewachsene Männerbünde verschwinden nicht einfach. „Ohne das Glück, dass mich zwei Männer gefördert haben, wäre ich nicht so weit gekommen“, sagt sie. Der zweite, neben Steingart, war übrigens Michael Bröcker, der das Start-up tablemedia leitet, gemeinsam mit Helene Bubrowski. Zwar hätten sich die Rollenbilder mächtig fortentwickelt, auch dank wachsender Frauennetzwerke. Doğan etwa überlässt ihren Podcast während des Urlaubs einer Volontärin. Wer gefördert wurde, fördert selbst großzügiger.
„Seilschaften und Netzwerke unter Frauen sind immer noch im Entstehen begriffen“, weiß Doğan, „Männerbünde sind dagegen sehr stabil.“ Banal, aber immer noch wahr: Deutschlands gesellschaftspolitisch relevante Entertainer sind sich verdammt ähnlich. Viele stammen aus dem Musikfernsehen der Nullerjahre, können sich auf Bier und Fußball verständigen und haben sich in zwei Jahrzehnten des Mit- und Gegeneinanders eine Handvoll Stämme gebildet, mit eigenen Regeln und Ritualen, Produktionsfirma inklusive.
Auch interessant
Sie teilen ähnliche Herkünfte und Haltungen, juxen Angst und Zweifel gemeinsam nieder. So speist sich dieses freche Selbstbewusstsein, das halt nötig ist, wenn man wie Böhmermann zwanzig Minuten Stand-up zwischen Skandal und Flachwitz hinlegt. Wohin zu viel Ähnlichkeit führt, war gerade erst im US-Wahlkampf zu besichtigen. Ziehen alle Late-Night-Moderatoren über den Kandidaten Trump her, verpuffen die Provokationen. Gleichgesinnte juxen für Gleichgesinnte. Auch keine Hilfe für den demokratischen Diskurs.
Frauen, so Doğan, fehlt der Halt einer gewachsenen Anhängerschar. Wo bei Männern oft ein Ausrufezeichen steht, herrsche bei Frauen das Fragezeichen vor. Werden derbe Scherze bei Männern immer noch als mutig wahrgenommen, gelten sie bei Frauen als unangemessen. Während die Herren sich bisweilen mit Plattheiten übertreffen, überlegt Doğan, ob sie gelegentlich ein Modefoto auf Instagram posten kann, ohne gleich als unseriös zu gelten.
Alev Doğan: Deshalb feiert sie Rapperin Shirin David
Derlei Zweifel sind Männern fremd. „Diese Kühnheit, die Welt erklären zu wollen, müssen sich andere gesellschaftliche Gruppen noch erarbeiten.“ Als einzige Frau wagt sich derzeit die fröhlich polarisierende NDR-Moderatorin Anja Reschke mit ihrem „Reschke Fernsehen“ aufs rutschige Spielfeld von unterhaltendem Journalismus. Das Format mit Anleihen an Böhmermanns Show ist Geschmacksache, aber immerhin mutig.
Derzeit beschäftigt sich Alev Doğan mit dem Phänomen, dass Protestbewegungen hierzulande bislang kaum von migrantischen Menschen getragen wurden. Von Punk bis Fridays for Future – oft entstammen die Protagonisten dem urdeutschen Bildungsbürgertum. „Man muss sich in einer Gesellschaft zunächst fest verwurzelt fühlen, wirklich drin sein, um selbstbewusst etwas verändern zu wollen und als Stimme auch akzeptiert zu werden.“
Als türkischstämmige Frau weiß Alev Doğan, wovon sie redet, wie lange solche Prozesse dauern und wie wichtig furchtlose Protagonistinnen sind. Die Rapperin Shirin David („Bauch, Beine, Po“) betrachtet sie als „Pionierin, die eine ganz eigene Farbe in die Pavianwelt des Rap trägt“. Wobei auch hier die alten Stereotype wirken: Werden Männer mit Goldketten und fetten Autos als cool wahrgenommen, gelten Frauen mit Bling-Bling schnell als indiskutabel.
Auch interessant
Am Ende entscheidet über Diversität der Markt, also die Nachfrage des Publikums. Und dessen Votum ist eindeutig. Seit das Pioneer-Angebot weiblicher wurde, haben sich die Abrufzahlen ausgesprochen erfreulich entwickelt. Dennoch, so Doğan, bleibe das Gefühl, „immer noch erst am Anfang einer Entwicklung zu stehen“.
Das könnte Sie auch interessieren: Beziehung – Schümann fühlt sich „bereit“ für wichtigen Schritt