Frauen-EM: Titelverteidiger England feiert Comeback und Lucy Bronze | ABC-Z

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Titelverteidigerinnen leben länger: England schien im Viertelfinale gegen Schweden schon so gut wie ausgeschieden. Aber das Team von Trainer Sarina Wiegman bewies beeindruckende Comeback-Qualitäten und steht dank des 3:2 (2:2, 0:2)-Erfolgs im Elfmeterschießen im Halbfinale – auch weil Lucy Bronze sich von nichts stoppen ließ.
Aufgeben und vor Spielende den Platz verlassen? Das kam für Lucy Bronze nicht infrage! Kurz vor dem Ende der Verlängerung behandelte die 33-Jährige ihren lädierten Oberschenkel sogar selbst – um ihrem Team auch im nahenden Elfmeterschießen helfen zu können.
Die FIFA-Weltfußballerin von 2020 setzte sich auf den Rasen im Stadion Letzigrund in Zürich und bandagierte sich den rechten Oberschenkel. Es war fast schon zu kitschig, dass die Verteidigerin kurz darauf zum entscheidenden Elfmeter für England antrat – und verwandelte. Mit rechts und mit voller Wucht jagte die Führungsspielerin den Ball in die Maschen und schrie mit Blick Richtung britische Fankurve ihre Freude heraus.
England-Verteidigerin Bronze: “Verlassen sich auf mich”
“Ich musste im Elfmeterschießen viel Verantwortung übernehmen”, sagte sie danach im ARD-Interview. “Wir hatten viele junge Spielerinnen auf dem Platz und einige enttäuschende Elfmeter. Als ältere und erfahrene Spielerin verlassen sich andere auf mich.” Sie habe gewusst, “dass ich den anderen Selbstvertrauen geben muss. Das einzige, was ich tun konnte, war den Elfmeter reinzuschießen.”
Schweden hätte zwar noch einmal ausgleichen können, aber Smilla Holmberg schoss über das Tor und machte so ein fast schon europameisterliches Comeback für das Wiegman-Team perfekt. Im Halbfinale trifft England am kommenden Dienstag (21 Uhr) in Genf auf Außenseiter Italien.
Diskussionen um Wiegman hatten schon begonnen
Dabei hatten in der ersten Hälfte, als die Schwedinnen den Engländerinnen noch deutlich überlegen waren und mit 2:0 führten, schon einige britische Journalisten auf der Tribüne darüber spekuliert, ob die Partie die letzte der Erfolgstrainerin für den Verband sein würde.
Die Niederländerin hatte die “Lionesses” zwar vor drei Jahren bei der Heim-EM zum ersten Titel geführt. Zuletzt verpasste England jedoch das Final Four der Nations League. Und auch in der EM-Vorrunde hatten sie gegen Frankreich (1:2) alles andere als gut ausgesehen.
Einzig der jungen Torhüterin Hannah Hampton war es zu verdanken gewesen, dass kurz vor der Pause nicht auch noch das 0:3 gefallen war. Die Parade gegen Fridolina Rolfö hielt die Titelverteidigerinnen im Spiel (45.+1).
Fehler von Schwedens Torhüterin Falk bringt England zurück
Zur Wahrheit gehört aber auch: Obwohl England in der zweiten Hälfte deutlich besser spielte, fiel der Anschlusstreffer erst nach einem klaren Fehler von Schwedens Jennifer Falk. Die bisher so starke Torhüterin unterlief eine Flanke – Bronze traf am langen Pfosten per Kopf zum 1:2 ins leere Tor (79.).
“Wir hatten wirklich Probleme, in die Partie zu kommen. Wir brauchten die Auswechslungen, um das Bild zu verändern. Es ist eine große Qualität des Teams, das es sich zurückkämpfen kann.”
Wiegman hatte da schon alle Register gezogen: Ihren Spielerinnen mehrere Positionswechsel verordnet, das System umgestellt und schon viermal gewechselt.
Jokerin Chloe Kelly, die als Einwechselspielerin 2022 im Finale gegen Deutschland das entscheidende Tor geschossen hatte, bereitete Bronzes Tor mit der Flanke vor. Beim Ausgleich waren dann gleich drei kurz zuvor gekommene Spielerinnen beteiligt. Wieder brachte Kelly den Ball in die Mitte. Dort prallte er von Beth Mead zu Michelle Agyemang, und die kräftige Mittelstürmerin schob eiskalt zum 2:2 ein (81.).
Elfmeterschießen wird zum Fehlschuss-Festival
Das Elfmeterschießen war dann noch mal ein Drama für sich. Von insgesamt 14 Schützinnen trafen nur fünf – ein historischer Negativrekord bei einer EM. Viermal scheiterten die Engländerinnen an Falk. Hampton, die sich kurz zuvor noch eine blutige Nase geholt hatte, hielt zwar nur zweimal, verhinderte aber mit der starken Parade gegen Sofia Jakobsson das Aus.
Dann kamen Bronze – und der Fehlschuss von Holmberg. Der Rest war englischer Jubel.
“Ich bin müde, aber auch sehr glücklich, dass wir gewonnen haben”, sagte Hampton, die zur Spielerin des Spiels erklärt wurde. “Wir haben in der Halbzeit gesagt, dass wir noch nicht nach Hause fahren wollen. Wir wollten das Spiel drehen – und das haben wir geschafft.”
Sogar Wiegman von Bronze begeistert
Wiegman lobte die Torhüterin in den höchsten Tönen – fast sprachlos gemacht hatte die Trainerin allerdings Lucy Bronze. “Ich habe noch nie eine Spielerin wie sie gesehen – und ich kenne viele Spielerinnen”, sagte die 55-Jährige. “Was sie gemacht hat, die Mentalität, die sie gezeigt und wie sie den Elfmeter geschossen hat. Ich glaube, der einzige Weg, wie sie den Platz verlassen würde, wäre in einem Rollstuhl.”