Politik

Frankreich: Das Vertrauen in die Demokratie schwindet | ABC-Z

Das neue Jahr beginnt in Frankreich genau so, wie das alte aufgehört hatte: mit einem Misstrauensvotum gegen die Regierung. Sechs Wochen ist es her, seit Michel Barnier, der damalige Premierminister, im Parlament gestürzt wurde. Schon laufen in Paris die Wetten, wie lange sein Nachfolger, François Bayrou, sich im Amt wird halten können. Zwei Monate? Drei Monate? Oder doch länger? 

Bayrou ist seit Mitte Dezember Premierminister. Am Dienstagnachmittag verkündete er vor der Nationalversammlung sein Regierungsprogramm. Gleich zu Beginn zitierte er eine Umfrage: 84 Prozent der Französinnen und Franzosen glauben demnach nicht, dass seine Regierung dieses Jahr überstehen werde. Er frage sich, so Bayrou, woher die anderen 16 Prozent ihren Optimismus nähmen. 

Galgenhumor ist gut, noch besser wäre eine stabile Regierung. Aber Stabilität ist ein rares politisches Gut geworden, nicht nur in Frankreich

In Paris haben im vergangenen Jahr, 2024, vier verschiedene Premierminister regiert. Dreimal hat der Präsident innerhalb von zwölf Monaten ein neues Kabinett ernannt. Im Bildungsressort haben sich gleich fünf Ministerinnen und Minister abgewechselt. Dabei ist dieses Ministerium besonders wichtig, denn über Schulpolitik wird – wie über vieles andere in Frankreich – zentral entschieden.  

Die Schulden sind stark gestiegen

Insgesamt hat Emmanuel Macron in seinen siebeneinhalb Jahren als Präsident schon fünf Regierungschefs verschlissen, Bayrou ist der sechste. Je kürzer die Amtszeiten dauern, desto kurzatmiger wird die Politik. Frankreich hat noch immer keinen Haushalt für 2025, dafür sind die öffentlichen Schulden stark gestiegen. Das einzige ernsthafte Gesetz, das in den vergangenen Monaten verabschiedet wurde, war die Fortschreibung des laufenden Haushalts. 

Kein Wunder, dass die Französinnen und Franzosen nicht nur den Glauben an ihren Präsidenten verloren haben. Das Misstrauen in die politischen Akteure und Institutionen ist so groß wie seit Langem nicht. Drei Viertel der Bevölkerung haben laut einer Untersuchung, die Anfang Dezember veröffentlicht wurde, kein Vertrauen mehr in ihre Abgeordneten und in das Parlament. Noch mehr, nämlich 78 Prozent der Befragten, finden, dass die Demokratie in Frankreich “eher schlecht” funktioniert. 

Wenn es stimmt, dass Extremisten vor allem von den Unzulänglichkeiten der Etablierten profitieren, liefert Frankreich hierfür ein besonders krasses Beispiel. 

Emmanuel Macron hat in seiner Neujahrsansprache zum ersten Mal eingeräumt, dass es wahrscheinlich keine gute Idee war, im vergangenen Sommer unvorbereitet das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Er habe “Klarheit” schaffen und eine “drohende Blockade” vermeiden wollen, so der Präsident. “Aber die Bescheidenheit gebietet es zuzugeben, dass diese Entscheidung mehr Instabilität als Ausgeglichenheit erzeugt hat. Dafür trage ich die Verantwortung.” Tatsächlich ist das Parlament seither zersplittert. Schon vorher war es schwierig, dort politische Mehrheiten zu finden; nun ist es fast unmöglich geworden. 

Auch moderate Sozialisten und Grüne stimmten mit Le Pen ab

Der Präsident ist jedoch nicht der Einzige, der für die gegenwärtige Blockade Verantwortung trägt. Barnier, der frühere Premierminister, war im Dezember gestürzt, weil nicht nur die Abgeordneten der radikal linken Partei La France insoumise (“Unbeugsames Frankreich”) gemeinsam mit Marine Le Pen gestimmt hatten, sondern auch die gemäßigten Sozialisten und Grünen. Ohne ihre Stimmen wäre der Misstrauensantrag damals gescheitert. Bayrou, ein Mann des Ausgleichs und Zentrist, hat sich deshalb bislang vor allem um die Sozialisten bemüht. Genau wie Barnier verfügt auch seine Regierung im Parlament über keine Mehrheit. 

Doch die Sozialisten haben bereits ausgeschlossen, den neuen Premierminister zu unterstützen. Allenfalls können sie sich vorstellen, ihn nicht zu stürzen. Dafür fordern sie allerdings einen hohen Preis: die Aussetzung der umstrittenen Rentenreform. Vor zwei Jahren hatte die damalige Regierung beschlossen, das Mindestalter für den Renteneintritt schrittweise von 62 auf 64 Jahre heraufzusetzen – die einzige nennenswerte Reform, die in Macrons zweiter Amtszeit überhaupt umgesetzt wurde. Bayrou hat in seiner Regierungserklärung jede Festlegung vermieden, aber neue Verhandlungen mit den Sozialpartnern über die Alterssicherung versprochen.

Auch sonst ist vieles, was der neue Premierminister vorhat, im Ungefähren geblieben. Die Vagheit hat Methode, ist aber endlich. In den kommenden Wochen muss Bayrous Regierung einen Haushalt für das laufende Jahr verabschieden – und sich damit festlegen. So lange will ein Teil der Opposition nicht warten: Die radikale Linke hat unmittelbar nach Bayrous Regierungserklärung erneut ein Misstrauensvotum im Parlament beantragt. An diesem Donnerstag wird darüber abgestimmt.

Back to top button