Frankfurt-Marathon mit Papagei: Warum am Sonntag auch ein Vogel startet | ABC-Z

8. Oktober 2025 · Daniel Wranik und die Ara-Dame Jacqueline sind unzertrennlich. Beim Einkaufen, beim Friseur, im Urlaub. Doch wie lebt es sich damit? Die Geschichte einer schrägen Freundschaft.
Miau“, schallt es von oben aus dem Walnussbaum. Es folgt ein theatralisches „Kuckuck, Kuckuck“. Und dann noch ein gekrächztes „Okay, Google“. Drei Graupapageien, Paco, Filou und Lola, sitzen plappernd auf Ästen und schauen hinab in den prachtvollen Garten. Auf die Buddhastatuen und Stupas, auf die im Wind wehenden Gebetsfahnen, auf die sprudelnde Quelle, die kleinen Brücken, die hochgewachsenen Pflanzen und Gräser, den Teich mit den Koikarpfen und die anderen diversen Blickfänger. Auftritt von Jacqueline. Ein kurzer Flug von der Stange vor dem Haus auf den Boden. Den Rest legt sie majestätisch langsam zu Fuß zurück, erklimmt die Loungemöbel und nimmt auf der Lehne Platz. Nicht ohne sich zuvor noch eine Salzstange vom Tisch stibitzt zu haben. Jacqueline ist eine stattliche Ara-Dame, etwa 20 Jahre alt, mit leuchtend rotem Gefieder – und eigentlich immer da, wo ihr Partner auch gerade ist. Daniel Wranik, 48 Jahre alt, an diesem Vormittag mit blauem T-Shirt. Die beiden sind seit Jahren unzertrennlich.
Im Supermarkt sitzt Jacqueline auf seinem Einkaufswagen, bei der Gartenarbeit (auch bei lauter Motorsäge) auf seiner Schulter, beim Zahnarzt im Wartezimmer, beim Friseur am Waschbeckenrand, zu Hause ist sie sowieso immer in seiner Nähe. Und auf der Fahrt in den Urlaub: sitzt sie mit im Auto. Wenn Jacqueline Daniel am Ohr knibbelt, ist das das Zeichen, dass sie mal „auf die Toilette“ muss. Dann fährt Daniel Wranik rechts ran.
„Das Schöne ist“, sagt Wranik, „dass 99 Prozent der Menschen lächeln, wenn sie Jacqueline und mich sehen. Ohne dass wir ein Wort gewechselt haben.“ Viele Kinder schauten genau hin, ob Jacqueline sich wirklich bewege, also echt und keine Puppe sei. Wenn sie sich bewege, sei die Freude groß. Nur ungefragt angefasst werden möchte Jacqueline nicht. Das mag sie nicht. Im heimischen Egelsbach sind die beiden, nun ja, bekannt wie bunte Vögel.
Älter als 80, ja sogar bis 100 Jahre alt können diese großen, treuen, intelligenten Papageien werden, die in der Natur monogam leben. Der Beziehungsstatus zwischen den beiden? „Bis dass der Tod uns scheidet“, sagt Wranik und lacht. Seine Ehefrau Renata macht ganz schön was mit. Denn Jacqueline geht abends wie selbstverständlich mit ihnen schlafen. Liegt Wranik auf dem Rücken, ruht Jacqueline auf seiner Brust, liegt er auf der Seite, thront sie auf seiner Hüfte. Renata nimmt es längst mit Humor. Es bleibt ihr auch nicht viel anderes übrig, denn Jacqueline ist manchmal so eifersüchtig, dass sie Renata mitunter mit Schnabel und Krallen aus dem gemeinsamen Ehebett vertreibt.
Doch Renata kann sich dafür der Liebe anderer prächtig gefiederter Mitbewohner sicher sein. Der rot-blaue Edelpapagei namens Koko oder die Blaustirnamazone Lili, die so herrlich ein gekünsteltes Weinen imitieren kann, sind absolut auf Renata fixiert. Ebenso Samantha, ein etwa 20 Jahre alter Ara mit blau-gelbem Gefieder. Es ist ein Leben für und mit diesen faszinierenden Vögeln. Immer krächzt, kreischt, schnalzt, singt oder pfeift es bei den Wraniks irgendwo.
„Wie Kinder wollen die Papageien unsere Aufmerksamkeit. Und überbieten sich nicht selten darin, diese auch zu bekommen.“
DANIEL WRANIK
Die Graupapageien imitieren sogar Daniels Handyklingelton. Täuschend echt. Und manchmal legen sie ihn damit sogar noch herein. „Wie Kinder wollen die Papageien unsere Aufmerksamkeit. Und überbieten sich nicht selten darin, diese auch zu bekommen“, sagt er.
Alle Papageien haben gemeinsam, dass sie über Umwege in Egelsbach bei den Vogelflüsterern Wranik gelandet sind. Weil sie zuvor falsch (beispielsweise allein oder in zu engen Käfigen) gehalten wurden, mitunter sogar komplett verwahrlost waren oder entflogen sind. Wenn die Behörden in der Gegend einen Papagei in schlechtem Zustand entdecken oder einfangen, landet er nicht selten übergangsweise oder gleich für immer bei den Wraniks. So hat es auch mit Jacqueline angefangen.
Elf Jahre ist das nun her. Damals hatten die Eheleute nur ein paar Königssittiche in einer Voliere. Daniel ist mit Tierhaltung- und pflege bestens vertraut, arbeitet er doch in der „Animal Lounge“ von Lufthansa, wo er täglich mit Mustangs aus den USA, Hundewelpen aus der Ukraine oder auch Krokodilen, Hyänen, Affen, Skorpionen aus aller Herren Länder zu tun hat, die via Luftfracht unterwegs sind. Und eben auch mit Papageien, für die er sich immer schon begeisterte. Jacqueline war damals irgendwo entflogen und in einem schlechten Zustand, als die Feuerwehr sie einfing. Der Vogel reagierte auf Menschen aggressiv und ist auf sie losgegangen. Und was machte Wranik? Zwängte sich zu ihr in eine Voliere und ließ sich beißen. Immer wieder. Der Beginn dieser besonderen Liaison, die wie ein Bund fürs Leben geworden ist. Jacquelines Urvertrauen geht so weit, dass sie sich rücklings auf Daniels Bauch legt, damit dieser Krallen und Schnabel mit einer Feile pflegen kann.
Nun verlässt auch Samantha ihre Sitzstange vor dem Haus und sucht die Nähe Wraniks. Etwas unbeholfen flattert sie los. In ihrem Rücken machen sich sofort ein paar Spatzen über die Futterreste her, später versucht noch ein Eichhörnchen sein Glück. Samantha hat viele Jahre in einem zu kleinen Käfig verbracht, hat die so wichtige Gefiederpflege nie richtig lernen können, und so ist ihre Flugfähigkeit verkümmert. Doch seit ihrer Ankunft bei den Wraniks trainiert Daniel sie ausdauernd. Kleine Kratzspuren sind auf seinen Armen zu sehen. Die rühren davon, dass die beiden fast zwei Kilogramm schweren Aras ständig an ihm herumklettern.
An diesem Nachmittag ist nun Zeit für Kaffee und Kuchen. Mit Jacqueline auf der rechten und Samantha auf der linken Schulter schließt Wranik die Gartentür hinter sich und geht auf die Bäckereifiliale auf der anderen Straßenseite zu. Das Personal dort kennt das Trio längst. Auch die anderen Kunden wirken nicht sonderlich überrascht, zwei kunterbunte Aras hier zu sehen. Wieder daheim stößt der Zwetschgenkuchen auch auf Jacquelines Interesse. Gekonnt knibbelt sie sich ein Stück des süßen Teigs ab, die Früchte verschmäht sie. „Wie Kinder halt“, sagt Wranik lachend.
Auch Kuchen sind vor den Vögeln nicht sicher. Ara Samantha hat ein Stück für sich entdeckt.
Was den Wraniks wichtig ist zu betonen: Keinem ihrer Papageien sind je die Flügel gestutzt worden. „Ein Verbrechen wäre das“, sagt der Achtundvierzigjährige, und die Miene des sonst so gelassen-freundlichen Mannes verfinstert sich. Das heißt, Jacqueline, Samantha und die anderen Vögel könnten jederzeit wegfliegen – tun es aber nicht.
Frisch gestärkt nimmt Wranik die beiden Vögel mit zum Joggen. Ganz in der Nähe seines Hauses verläuft ein hübscher Weg entlang von Wiesen und Weiden und durch ein Wäldchen. Jacqueline ist seit Jahren schon seine Laufpartnerin. Auch bei Lauftreffs in der Region wie beispielsweise montagabends am Frankfurter Mainufer ist sie (auch in der Dunkelheit, wo Aras kaum etwas sehen können) mit dabei. Wenn der passionierte Läufer Wranik antrabt, präsentiert Jacqueline kurz ihre fast ein Meter Spannweite, ehe sie fortan die ihr so bekannten Schritte locker ausbalanciert – auf Wraniks Schultern oder einem Arm sitzend. Ende Oktober nehmen die beiden beim Frankfurt Marathon an einer Staffel teil, wollen zusammen ins Ziel in die Festhalle einlaufen. Und die laute Musik und blitzenden Scheinwerfer? Um Jacqueline aus der Ruhe zu kriegen, müsse weit mehr passieren, sagt Wranik.
Daniel Wranik mit seinen beiden Aras Jacqueline (links) und Samantha (rechts) beim Joggen im Wald in Egelsbach.
Samantha ist noch nicht so weit, sie muss noch üben. Sie schwankt etwas, während Wranik mit ihr joggt. Und plötzlich kippt sie einfach von seiner Schulter und landet rücklings in einem Brombeergestrüpp am Wegesrand. Kurze Schrecksekunde, dann pult Wranik den Vogel aus dem Dickicht, begutachtet ihn kurz von allen Seiten – und weiter geht es.
Noch lieber als rennend mag Jacqueline auf dem Fahrrad mitgenommen zu werden. „Da kann ich für sie gar nicht schnell genug in die Pedale treten“, berichtet Wranik. Samantha dagegen sitzt auch mal gern mit den Graupapageien im Walnussbaum. Sie hat Freude an Motorrollern, wenn sie mit lautem Getöse vorbeifahren. Noch draußen vor der Gartentür bekommt der Besuch von Paco, Filou und Lola aus dem Baum abermals ein herzliches „Miau“ und kerniges „Kuckuck“ hinterhergerufen. Dann herrscht wieder Ruhe. Aber bei den Wraniks nie lange.





















