Fraktionen, Bundesrat, Karlsruhe: So könnte Merz‘ Milliardenpaket noch scheitern | ABC-Z

Fraktionen, Bundesrat, Karlsruhe
So könnte Merz‘ Milliardenpaket noch scheitern
07.03.2025, 10:11 Uhr
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Union und SPD haben mit ihrer Einigung auf ein riesiges, kreditfinanziertes Investitionspaket in Verteidigung und Infrastruktur weltweit für Furore gesorgt. Aber auch wenn man sich nun auf einen Zeitplan zur Umsetzung geeinigt hat, ist noch keinesfalls sicher, dass die Pläne alle umgesetzt werden können. Hürden lauern an mindestens drei Stellen.
Mehrheit im Bundestag: Was machen die Fraktionen?
Weil sowohl für die Verabschiedung des sogenannten Sondervermögens Infrastruktur mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro als auch für die Schuldenbremsen-Ausnahmen für Verteidigungsausgaben eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag nötig ist, werden derzeit mit Grünen und FDP Gespräche geführt, um diese in dem noch amtierenden alten Bundestag zu sichern. Sollte nicht wenigstens eine dieser Fraktionen zustimmen, wären die beabsichtigten Grundgesetzänderungen gescheitert.
Aber auch die Fraktionen von SPD und CDU/CSU müssen mitstimmen, ohne dass es viele Abweichler geben darf. Die SPD gilt dabei nicht als Problem. Aber in der am Dienstagabend anberaumten Sonderfraktionssitzung der Union gab es nach Teilnehmerangaben nicht nur Zustimmung. Zwei zentrale Einwände gab es gegen die Verabredung, die CDU-Chef Friedrich Merz und der CSU-Vorsitzende Markus Söder mit der SPD getroffen hatten: Zum einen hatte die Union bis zur Bundestagswahl erklärt, dass sie genau dies nicht tun würde, weil das Öffnen der Schulden-Schleusen genau falsch sei. Innerhalb von nur zehn Tagen nach der Wahl beschlossen die Unions-Spitzen aber das Gegenteil. Zum anderen gab es Kritik, dass man der SPD bei der Schuldenbremse sehr entgegengekommen sei, ohne etwas dafür erhalten zu haben.
Nach Reuters-Gesprächen mit mehreren Abgeordneten scheint das Risiko, dass Merz an der eigenen Truppe scheitern könnte, aber begrenzt. Zum einen hatte der konservative Flügel mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn fleißig mitverhandelt, sodass sie nun für eine Zustimmung werben. Zum anderen wüssten alle, was auf dem Spiel stehe, heißt es in der Fraktion: ohne Finanzpaket keine Koalition, keine neuen Jobs, dafür aber mögliche Neuwahlen.
Bundesrat: Kippen Linke, FDP und Freie Wähler die Reform?
Haben die Grundgesetzänderungen den Bundestag erfolgreich passiert, wartet am 21. März die nächste Hürde: der Bundesrat. Denn in der Länderkammer braucht es ebenfalls eine Zweidrittel-Mehrheit. Aber Linke, FDP, BSW und Freie Wähler sind an etlichen Landesregierungen beteiligt. Diese Parteien haben bereits Kritik an unterschiedlichen Teilen der Vereinbarung geäußert. In den meisten Ländern gilt die Regel, dass sich Landesregierungen im Bundesrat enthalten müssen, wenn Koalitionen sich nicht auf eine Position einigen können.
Rechnerisch könnte so eine komplizierte Gemengelage entstehen. Im Bundesrat bei insgesamt 69 Stimmen ist eine Zweidrittel-Mehrheit mit 46 Stimmen erreicht. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Für eine Sperrminorität braucht es mindestens 24 Stimmen. Die Linken könnten dafür sorgen, dass Bremen (3 Stimmen) und Mecklenburg-Vorpommern (3 Stimmen) nicht mitstimmen könnten. Die FDP regiert in Rheinland-Pfalz (4 Stimmen) und Sachsen-Anhalt (4 Stimmen) mit. Das BSW ist an den Regierungen in Thüringen (4 Stimmen) und Brandenburg (4 Stimmen) beteiligt. Das BSW hat auch einen Einfluss auf die Minderheitsregierung in Sachsen (4 Stimmen) – aber Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU ist freier in der Abstimmung in der Länderkammer.
Das entscheidende Problem könnte ausgerechnet in Bayern (6 Stimmen) entstehen, wo Söder zusammen mit den Freien Wählern (FW) regiert. Sollten sich diese querstellen, könnten die Reformen am Freistaat scheitern. Eine Festlegung gebe es noch nicht, heißt es im Umfeld von FW-Chef Hubert Aiwanger, der stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister ist. Eine Sprecherin der Freie-Wähler-Fraktion im bayerischen Landtag lehnte eine Stellungnahme ab.
Allerdings: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD hatte im November 2024 im Bundesrat gerade vorgemacht, dass er sich bei der Krankenhausreform nicht an eine Vereinbarung mit dem Koalitionspartner Grüne hielt und deshalb die zuständige Gesundheitsministerium entließ. Daran zerbrach die Regierung. In der Union gilt als unvorstellbar, dass die Milliarden-Pakete ausgerechnet an Söders Regierung scheitern könnten, der das Paket mit ausgehandelt hatte.
Gang zum Bundesverfassungsgericht?
Gerade während der Ampel-Regierung hat sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sehr massiv in die Haushaltspolitik des Bundes eingemischt – und die Koalition aus SPD, Grünen und FDP letztlich mit zu Fall gebracht. Denn ein Urteil im November 2023 begrenzte die Möglichkeiten von Bundesregierungen sehr stark, Sondertöpfe neben dem Haushalt einzurichten und zu nutzen. Zudem pocht Karlsruhe in Urteilen immer wieder darauf, dass das Parlament ausreichend Beratungszeiten haben müsse.
Und diesmal geht es um eine sehr grundlegende Reform, die etwa die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben de facto aushebeln soll. Diese soll zudem in aller Eile noch mit den Stimmen des alten Parlaments beschlossen werden. Sowohl die Linkspartei als auch die AfD haben sich den Gang nach Karlsruhe bereits vorbehalten.
Das formale Argument von Merz, Söder und den SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil lautet: Die internationale Lage hat sich durch Äußerungen von US-Präsident Donald Trump zur Ukraine, Russland und Nato so schnell so stark verschärft, dass unverzüglich gehandelt werden müsse. Dahinter steht auch die Sorge, dass AfD und Linke mit ihrer Sperrminorität im künftigen Parlament Reformen verhindern könnten, für die eine Zweidrittel-Mehrheit nötig sei.
Ob Karlsruhe angesichts der enormen Auswirkungen allerdings wirklich wagen würde, die dann von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Grundgesetzänderungen zu kippen, gilt in der Unions- und SPD-Führung als zumindest eher unwahrscheinlich.