Frachtschiff in der Nordsee sinkt – Neue Details zur Ladung | ABC-Z

Berlin/ London. Nach der Schiffskollision vor Englands Nordseeküste bleibt vieles unklar. Die Regierung hofft, den Frachter „Solong“ abschleppen zu können.
Noch am Dienstagmorgen stieg dicker schwarzer Rauch aus den zwei Wracks, die fast vierundzwanzig Stunden zuvor kollidiert waren. Am Montagvormittag kurz vor zehn Uhr Ortszeit prallte das Frachtschiff „Solong“ gegen den Tanker „Stena Immaculate“, der etwa zwanzig Kilometer vor der Küste Nordenglands vor Anker lag, nahe der Stadt Hull.
Ein Matrose des US-Tankers „Stena“, der Treibstoff für amerikanische Jets transportierte, berichtete, das Frachtschiff sei „wie aus dem Nichts“ gekommen und habe den Tanker gerammt. Die Geschwindigkeit soll etwa 16 Knoten betragen haben, also rund 30 Kilometer pro Stunde. Nach dem Aufprall seien umgehend Feuer ausgebrochen, mehrere Explosionen waren zu hören.
Tanker-Unglück: Vermisste Person wird aufgegeben
Die Mannschaften beider Schiffe gingen von Bord und brachten sich mit Rettungsbooten in Sicherheit. Dabei seien sie den Flammen so nah gekommen, dass sich manche Seeleute die Haare versengten. Die britische Küstenwache konnte am Montag 36 Besatzungsmitglieder bergen, von denen eine verletzt ins Krankenhaus gebracht wurde. Ein weiteres Besatzungsmitglied von der „Solong“ wird jedoch weiterhin vermisst; die britische Regierung hat verlauten lassen, dass die Suchaktion am Montagabend eingestellt wurde. Sie geht davon aus, dass die Person tot ist.
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Die Rettungskräfte konnten den Brand auf der „Stena“ am Dienstag weitgehend unter Kontrolle bringen. Auf der „Solong“ hingegen brannte am frühen Nachmittag noch immer ein Feuer, das Schiff trieb in südlicher Richtung. Zunächst gab es seitens der Regierung die Befürchtung, dass es sinken könnte. Verkehrsministerin Heidi Alexander teilte jedoch am Dienstagabend mit, dass der Frachter vertäut und von der Küste weggeschleppt werden könnte. Ein Schlepptau sei bereits angebracht worden.
„Stena“: Wie konnte es zu der Kollision kommen?
Viele Fragen zum Unglück bleiben offen. Vor allem ist der Grund für die Kollision unklar. Besatzungsmitglieder der „Stena“ sagen, sie hätten ihre präzise Ankerposition gemeldet. Alle Schiffe hätten also wissen müssen, wo sie lag. Menschliches Versagen könnte ein Grund sein, sagte Stavros Karamperidis, Dozent an der Plymouth Business School und Experte für Seetransport, gegenüber Sky News. Mittlerweile wurde ein 59-jähriger Mann wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung festgenommen. Wie die Humberside Police mitteilte, wurden strafrechtliche Ermittlungen zur Ursache der Kollision eingeleitet.
Eine andere Möglichkeit sei ein technischer Fehler – die „Solong“, die der Hamburger Reederei Ernst Russ gehört und unter portugiesischer Flagge segelt, ist fast zwanzig Jahre alt. Laut der britischen Regierung gibt es keine Hinweise, dass hinter der Kollision Absicht steckt.
Umwelt: Auslaufendes Kerosin könnte zur Katastrophe führen
Die möglichen Umweltschäden des Unglücks geben Anlass zu großer Sorge. Die Küste von Yorkshire ist ein wichtiger Lebensraum für größere Fisch- und Vogelpopulationen, weite Teile stehen unter Naturschutz. Insbesondere im Wattenmeer an der Mündung des Humber überwintern zehntausende Zugvögel. Der Vogelschutzverband Royal Society for the Protection of Birds sagte, die Kollision habe sich in der Nähe der größten Kolonie von Tölpeln in England ereignet. Auch Schweinswale halten sich zur Paarung hier auf.
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Der Tanker hatte laut der britischen Küstenwache etwa 220.000 Fass Kerosin geladen, von dem offenbar ein Teil bereits ausgelaufen ist. Kerosin ist nicht zähflüssig wie Rohöl, es besteht also keine Gefahr, dass Seevögel verklebt werden, wie bei anderen Tankerunfällen. Aber Kerosin ist weit toxischer als Rohöl, sagt Meeresforscher Simon Boxall von der University of Southampton gegenüber dem Guardian. Ein größerer Ausfluss hätte „verheerende“ Folgen.

Die «Stena Immaculate» kollidierte am Vormittag mit dem Frachtschiff «Solong» und fing Feuer.
© DPA Images | –
Tanker: Ladung nicht so gefährlich wie angeommen
Zunächst zirkulierten Berichte, wonach die „Solong“ 15 Container mit giftigem Natriumcyanid transportierte. Aber am Dienstagmittag dementierte Schiffsbesitzer Ernst Russ: „Es gibt keine Container mit Natriumcyanid an Bord, wie fälschlicherweise berichtet wurde.“ Der Frachter habe vier leere Container transportiert, die zuvor mit gefährlichen Chemikalien gefüllt waren.
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Ein größeres Umweltproblem wäre ein Ausfluss von Schiffstreibstoff. Dieser ist dickflüssig und klebrig und sehr schwer zu beseitigen. Auch hierzu fehlen bislang Details. Ebenso unklar ist, welcher Staat die Untersuchung zum Unglück leiten wird.