FPÖ: Extrem rechts und womöglich bald Kanzler | ABC-Z

Auf
Seite 32 fällt Herbert Kickls Name zum ersten Mal. Am Ende wird der FPÖ-Chef im offiziellen österreichischen
Rechtsextremismusbericht auf ganze 40 Namensnennungen kommen. Der Bericht wurde am Freitag veröffentlicht – ein heikler Zeitpunkt, steht doch genau jener Herbert Kickl kurz davor, ins
Wiener Kanzleramt einzuziehen. Und mit ihm eine Partei, die einst von
SS-Männern gegründet und dann von Jörg Haider zu einem Modell für
Rechtspopulisten aller Herren Länder gemacht wurde.
Die
Aussicht auf einen Kanzler Kickl löst bei vielen Menschen im In- und Ausland
Entsetzen aus. Zuletzt hat CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die mögliche
Koalition seiner Schwesterpartei ÖVP mit den Rechtsaußen als „Desaster“
bezeichnet. Österreich steht unter Beobachtung.
Ein
Blick in den Rechtsextremismusbericht zeigt, was sich da anbahnen könnte. Auf
den 196 Seiten werden unter anderem die neurechten Identitären behandelt, die
strammrechten Burschenschaften und, ein immer wichtigerer Faktor, Medien mit
rechtsextremen Inhalten. Und eben immer wieder die FPÖ, der „maßgebliche
parteipolitische Bezugspunkt“ der Szene, wie es im Bericht heißt. Die
Identitären nennen die FPÖ sogar ihren „parlamentarischen Arm“. Und die
Begeisterung ist gegenseitig. Für Kickl sind etwa die Identitären
eine „NGO von rechts“. Egal, um welche Teilbereiche und Gruppen es geht, das
Urteil ähnelt sich: Die FPÖ hat die Distanz zum rechten Rand fast völlig
aufgegeben.
Allen
voran Kickl, der besonders die Identitären lobt und ihre Kampfbegriffe
wie „Remigration“ übernommen hat. Auch das Video seiner Parteijugend, in dem
einige Junge Freiheitliche sehnsuchtsvoll auf den Balkon blicken, auf dem Adolf
Hitler im März 1938 den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich
verkündete, fand seine Zustimmung. Genau wie die Corona-Demonstrationen, an
deren Spitze Neonazis und Führungsfiguren der Verschwörungsszene
mitmarschieren und vor denen Kickl spricht. Er ist ein Fixpunkt für all diese
Bewegungen, und ein Hoffnungsträger, der sie bisher nicht enttäuscht hat.
Darf diese Partei wirklich Teil einer Regierung sein?
Das
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstand, kurz DÖW, hat den Bericht
für das Innen- und das Justizministerium erstellt. Das DÖW beschreibt Österreichs rechtsextreme Szene als ein Mosaik, bestehend aus Aktivisten, Medien und Parteien – oder, genauer gesagt: einer Partei, der FPÖ. Die Freiheitlichen hätten ihre
Rolle in diesem Mosaik „völlig akzeptiert“, wie DÖW-Chef Andreas Kranebitter
ZEIT ONLINE sagt.
Er sieht die extreme Rechte in Österreich im Aufwind, was
allein schon die harten Zahlen zeigten: Bei den Straftaten gehen 1.200 auf das
Konto des Rechtsaußenspektrums, beim Islamismus sind es 150, bei Linksextremen
100. „Das sind ganz andere Dimensionen“, sagt Kranebitter, der eine „mangelnde
Aufmerksamkeit“ für den Rechtsextremismus in Österreich sieht.
Das
könnte sich mit dem Bericht ändern, der die zentrale Rolle Kickls und seiner
Partei im rechtsextremen Mosaik bis ins Detail untersucht. Und damit eine
Frage neu aufwirft, die seit Wochen vor allem über der konservativen ÖVP
kreist, die mit der FPÖ über eine Koalition verhandelt: Kann und darf diese
Partei wirklich Teil einer Regierung sein – und einen Kanzler Kickl
stellen?
Den
aktuellen Bericht hat sich die ÖVP quasi selbst bestellt, noch unter der Ägide
von Sebastian Kurz. 2019, im Koalitionsabkommen mit den Grünen, wurde die
Erstellung beschlossen. Die Idee: Der jährliche Verfassungsschutzbericht sollte
ergänzt und vertieft werden, um einen detaillierten Blick nach Rechtsaußen.
Schon bis 2002 gab es einen jährlichen Rechtsextremismusbericht, doch er wurde
abgeschafft, nicht zufällig unter der ersten schwarz-blauen Koalition, als
ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel sich von der FPÖ Jörg Haiders ins Kanzleramt
hieven ließ.