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Forschern gelingt spektakuläres Video: Ratten fangen Fledermäuse aus der Luft – Wissen | ABC-Z

Wenn es für Ratten so etwas wie das Schlaraffenland gibt, dann liegt das in der Nähe von Bad Segeberg. Dort, am Eingang zu einer Höhle in den berühmten Kalkbergen müssen sie sich nur hinsetzen und warten, bis ihnen das Futter ins Maul fliegt. Videos zeigen, wie bequem sich die Tiere dort versorgen können.

Ratte fängt Fledermaus (Video: Gloza-Rausch et al.)

Florian Gloza-Rausch gerät ins Schwärmen, wenn er die Geschicklichkeit der Ratten beschreibt, „mit der sie Fledermäuse aus der Luft greifen“ – in kompletter Dunkelheit. Wie die Nagetiere das Gleichgewicht halten, sich mit dem Hinterbein festhalten, mit dem Schwanz ausbalancieren, während sie vorn ein Beutetier greifen.

Es war im ersten Jahr der Pandemie, als der Fledermausfachmann mit zwei Kolleginnen eine Videoanlage samt Lichtschranke am Eingang der Höhle montierte. In der Region sind Höhlen selten, weswegen sich in den Bad Segeberger Kalkfelsen viele Fledermäuse sammeln. Um die Tiere vor Räubern zu schützen, baute man einen kleinen Turm über den Eingang, sodass die Fledermäuse geschützt – zum Beispiel vor Katzen – ein- und ausfliegen können.

Das Filmequipment sollte das Schwarmverhalten der Fledertiere aufzeichnen. Um der Kamera einen guten Kontrast zu bieten, spannten Gloza-Rausch und seine Kolleginnen schwarzen Theaterstoff hinter die Einflug-Plattform. Genau das wurde den Fledermäusen zum Verhängnis. Die dort heimischen Ratten benutzten das Tuch als Kletterhilfe und erklommen darüber die Plattform, über die die Fledertiere in den Unterschlupf gleiten – praktisch am geöffneten Maul der Ratten vorbei.

Der Verdacht, dass Ratten Fledermäuse fangen, bestehe schon lange. Ratten können im Ultraschallbereich hören und registrieren entsprechend die Ortungsrufe der Fledermäuse. Mit ihren feinen und langen Schnurrhaaren registrieren sie außerdem jeden noch so sachten Lufthauch, sagt Gloza-Rausch.

Im Fachjournal Global Ecology and Conservation haben Florian Gloza-Rausch, Anja Bergmann und Mirjam Knörnschild vom Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung Museum für Naturkunde in Berlin jetzt ihre Beobachtungen veröffentlicht. Nun aber sei ein solches systematisches Jagdverhalten zum ersten Mal dokumentiert worden, schreibt das Trio.

Zwischen Ende August und Anfang Oktober 2020 zeichnete die Infrarotkamera 30 versuchte Attacken und 13 „confirmed kills“ auf, wie es in dem Fachartikel heißt. Per Überschlagsrechnung bestimmen die Forscherinnen und der Forscher, dass die in Bad Segeberg heimische Rattengruppe gut und gerne zwischen 2000 und 8000 der gut 30 000 dort überwinternden Fledermäuse verspeist haben könnte.

Am Telefon beeilt sich Gloza-Rausch klarzustellen, dass dies keine gemessenen Zahlen sind und ohnedies das Klettertuch längst entfernt wurde. Die Fledermäuse können nunmehr wieder sicher ihr Quartier beziehen. Es sei ihnen darum gegangen, eine Größenordnung für ein Extremszenario aufzuzeigen. Womöglich habe man bislang die Jagd durch Ratten unterschätzt, könnte sie doch gefährdete Fledermausarten weiter in Bedrängnis bringen.

Kein Hinweis auf Krankheitserreger

Die Forschenden beschreiben in ihrem Aufsatz eine weitere Gefahr: Ratten könnten sich Krankheitserreger von Fledermäusen einfangen. Im Gespräch betont Gloza-Rausch, dass dies nur ein Szenario sei, eine Übertragung aber keineswegs nachgewiesen wurde. „Wir haben keinen Hinweis auf eine Übertragung von Krankheitserregern gefunden“, betont der Fledermaus-Experte. Die Fledertiere sind bekannt als Reservoir von Viren aller Art, zumindest denkbar wäre, dass Ratten diese Erreger in Siedlungen zu Menschen tragen, argumentiert das Trio.

Gloza-Rausch war beeindruckt davon, wie schnell die Ratten lernten, von der neuen Jagdmöglichkeit Gebrauch zu machen und wie geschickt sie dabei vorgingen, wenngleich nicht jede Attacke ein Erfolg war. Als sie ihr Manuskript zur Beurteilung beim Fachjournal eingereicht hatten, hätten sich manche Gutachter skeptisch geäußert, sagt der Biologe, schließlich seien Ratten Nagetiere und mithin tendenziell Vegetarier. Dass sie systematisch auf so proteinreiche Kost wie Fledermäuse Jagd machen, schien zunächst fragwürdig.

Doch Gloza-Rausch und seine Kolleginnen fanden in der Fachliteratur einen Bericht aus dem Jahr 1979 über den Mageninhalt von Ratten, die in der Nachbarschaft eines Fischmarkts in Tokio lebten. In den Mägen der „Sushi-Ratten“ hatten die Forscher damals bis zu 86 Prozent Fisch gefunden. Auch von „Pizza-Ratten“ wird berichtet. Die großen Nagetiere können demnach nicht nur ihr Jagdverhalten rasch an neue Bedingungen anpassen, sondern auch ihre Ernährungsgewohnheiten. „Das zeigt“, sagt Gloza-Rausch, „wie unglaublich anpassungsfähig die Tiere sind.“

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