Football-Trainerin Nadine Nurasyid bei den Tampa Bay Buccaneers in der NFL: Lernen ohne Druck – Sport | ABC-Z

Über die Trainer, mit denen Nadine Nurasyid in den kommenden Wochen zusammenarbeiten wird, sagt sie: „Sie haben mehr über Football vergessen, als ich je gelernt habe.“ Die 39-Jährige bezeichnet das, was in knapp drei Wochen im US-Bundesstaat Florida für sie ansteht, schon jetzt als Höhepunkt ihrer Karriere. Weil sie unheimlich viel dazulernen und das Ereignis nie vergessen wird.
In Deutschland hat die Sportwissenschaftlerin womöglich das Maximum schon recht schnell ausgereizt, was als Trainerin einer Randsportart möglich ist. Es ist erst zwölf Jahre her, dass sie selbst begann, Football zu spielen, schnell wurde sie zur Schlüsselfigur in der Defensive der Munich Cowboys Ladies, mit denen sie 2018 im Finale stand. Dann wurde sie Co-Trainerin des Münchner Männerteams und bald darauf erste Cheftrainerin im deutschen Football, drei Jahre lang auch Assistentin der deutschen Nationalmannschaft. Weil American Football zugleich großen Show-und Eventcharakter hat, landete sie schnell als TV-Expertin bei RTL Nitro und bei Dazn, aktuell ist sie Co-Trainerin der ELF-Mannschaft Stuttgart Surge. Dieses Team wird sie nach dem Auswärtsspiel bei den Frankfurt Galaxy am 12. Juli für eine viel weitere Reise vorübergehend verlassen.
Im Mai hatte sie schon einmal die Tampa Bay Buccaneers besuchen dürfen. Rein statistisch gesehen war dies der größere Erfolg gewesen, denn das NFL-Team kann aus einer vierstelligen Zahl an Bewerbungen aus der ganzen Welt aussuchen. Eine Woche lang konnte Nurasyid schon beim Training zusehen, sie saß in Vorträgen wie jenem des Super-Bowl-Siegers Tony Dungy über Trainer-Spieler-Beziehungen und beim Mittagessen in der Kantine an einem Tisch mit dem berühmten Ex-Spieler Larry Foote.
Aus den Teilnehmern wählten die Buccaneers jetzt aber noch einmal eine kleine Gruppe aus, die im Rahmen eines Fellowship-Programms sehr viel mehr tun darf, als an einer Fortbildung teilzunehmen: Nurasyid wird die Saisonvorbereitung miterleben. Sie wird bei zwei Vorbereitungsspielen, gegen die Tennessee Titans und die Buffalo Bills, am Seitenrand stehen und mitarbeiten, sie wird zu einem weiteren Spiel mitfliegen zu den Pittsburgh Steelers, allen Besprechungen der Defensiv-Abteilung beiwohnen und vieles mehr. Es ist ein wenig so, als ob der Fußballtrainer eines US-Colleges plötzlich zum Supercup des FC Bayern gegen den VfB Stuttgart mitgenommen wird.
Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist jetzt etwas stärker abgegrenzt
Welche Aufgaben Nurasyid während dieser Hospitanz übernimmt, ist noch nicht ganz klar. „Ich will mir keinen Druck machen und dort so viel lernen wie möglich“, sagt sie, sich zu viel Gedanken darüber machen, was alles sein könnte und was nicht, „das würde mir den Spaß nehmen“. Das werden sie bei den Buccaneers gerne hören. Denn so verbissen, wie man glauben könnte, geht es dort gar nicht zu, das hat Nurasyid bereits gelernt. Die besten Chancen, weit zu kommen, hat man, wenn man den Spaß in den Vordergrund stellt. Es handelt sich um ein Diversitäts-Programm, aber auch das dürfte nicht ohne Hintergedanken sein: Alle 32 NFL-Teams nehmen daran teil, und ein Ziel davon ist es sicherlich, die Football-Gemeinschaft auch auf der Ausbilder-Ebene weiter zu vernetzen und Trainerinnen zu finden, die einen anderen, noch nicht so verstellten Blick auf das alltägliche Training haben.
Aber gleichzeitig hat sie jetzt natürlich einen Fuß in der Tür, und in der wohl professionellsten Profiliga weltweit wäre zumindest niemand überrascht, wenn so jemand im nächsten Schritt versucht, die Tür aus den Angeln zu drücken und zu sagen: Ich will hier rein! In Nurasyids eigenem Podcast „Between the lines“ sagt der aktuelle Co-Trainer der Munich Cowboys, Simon Bramberger, der ebenfalls am Lehrgang im Mai teilgenommen hatte, über die wichtigste Erkenntnis aus jener Woche: „Es geht auch viel darum, wen du kennst, und ein bisschen, wer du bist.“
Es gibt eine ganze Handvoll deutscher Trainer, die mithilfe eines freiwilligen Jahres an einem US-College vor allem in solche Beziehungen investiert haben. Nicht erst seit dem großen Erfolg des zweifachen Super-Bowl-Gewinners Sebastian Vollmer wird viel darüber diskutiert, wie regelmäßig es deutsche Spieler nun in die NFL schaffen können. So wird Nurasyid zum Beispiel im August bei der Reise nach Pittsburgh in Julius Welschof einen „Steeler“ aus dem erweiterten Kader treffen, der aus Miesbach stammt und vier Jahre bei den Munich Cowboys spielte. Wäre es aber auch für Trainer möglich, das lange Undenkbare zu schaffen: eine Karriere in den USA zu machen?
Nurasyid glaubt erst einmal nicht daran, zunächst einmal aus einem ganz banalen Grund: Wer ein Arbeitsvisum für die USA erhalten will, muss nachweisen, dass er im jeweiligen Job besser ist als jeder US-Amerikaner. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist jetzt etwas stärker abgegrenzt. Ein vielleicht noch wichtigerer Grund, der sie daran zweifeln lässt, ist das Risiko. Ein Spieler kann gutes Geld verdienen, wenn er auch nur für ein Jahr in der NFL spielt, und dann in der Heimat einen neuen Job suchen. Ein Trainer müsste einen bestehenden Job aufgeben, „und den Schritt geht keiner“, glaubt sie. Auch in Deutschland, wo es zurzeit Teams in einer europäischen Liga wie auch eine Bundesliga gibt, seien die Stellen, an denen man mit Football Geld verdienen könne, sehr begrenzt. Jenseits ihrer medialen Präsenz ist auch immer noch die Arbeit als Projektmanagerin das wichtigste Standbein.
Schon sehr gut möglich, dass es sich bei den vier Wochen mit den Buccaneers um Nurasyids Football-Highlight handeln wird. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass dies nur ein weiterer Schritt einer unvergesslichen Karriere sein wird.