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Flirt oder Schwärmerei: Wann beginnt Untreue? Forscher suchen nach Antworten – Wissen | ABC-Z

Es fängt mit der schwierigen Frage nach der Definition an. Zählt ein intensiver Flirt mit der Kollegin bereits dazu? Fällt die ständige Schwärmerei von den Vorzügen eines anderen unter das Delikt? Oder sollte doch erst dann von Untreue die Rede sein, wenn Sex im Spiel ist? Letztlich können nur die beiden Partner entscheiden, wann die Grenze überschritten ist und wie groß die Verletzungen sind, die daraus resultieren. Gerne wird Untreue auch bagatellisiert, die klassische Vorlage dazu liefert der Film „Harry und Sally“ aus dem Jahr 1989. Hier versucht sie ihn davon zu überzeugen, dass die meisten Ehen nicht an Untreue zerbrechen, sondern diese „nur ein Symptom“ sei, dass etwas nicht in Ordnung ist. Er ist nicht wirklich überzeugt und entgegnet: „Was du nicht sagst. Dieses Symptom vögelt gerade meine Frau!“

Die Wissenschaft versucht gelegentlich Ordnung in den Beziehungsdschungel zu bringen, etwa in einer kürzlich im Fachmagazin Personal Relationships erschienenen Meta-Analyse, für die 305 Studien zum Thema ausgewertet wurden. Psychiater und Psychologen um Benjamin Warach haben Daten von mehr als 500 000 Teilnehmern aus 47 Ländern herangezogen – wenig überraschend gingen auch hier die Einschätzungen auseinander, was unter Untreue überhaupt zu verstehen ist. Eindeutig war, dass neben der sexuellen auch die emotionale Untreue eine große Rolle spielt. Bemerkenswert auch, dass immer öfter „elektronische Untreue“ beklagt wird, also das Anbandeln mit anderen online oder in digitalen Medien, ohne dass es zum direkten Kontakt kommt.

Aber selbst innerhalb dieser drei Kategorien ist die Abgrenzung schwierig. Beginnt sexuelle Untreue schon mit einer Umarmung zur Begrüßung, die für den Geschmack des unbeteiligten Partners eine Spur zu lange anhält? Mit der Hand, die sich auffällig oft auf dem Arm eines Dritten wiederfindet? Oder ist es die Fremd-Knutscherei nach durchzechter Nacht? Ähnliches gilt für emotionale Untreue. Die Gedanken mögen zwar frei sein, aber in Partnerschaften, die sich als monogam verstehen, sollten sie bitte schön nicht zu oft bei anderen verweilen.

Menschen reagieren unterschiedlich auf die verschiedenen Spielarten der Untreue. So haben Psychologen aus Bielefeld schon vor Jahren festgestellt, dass Frauen besonders eifersüchtig werden, wenn sie emotionale Untreue bei ihrem Partner vermuten. Bei Männern ist der Eifersuchtsmechanismus hingegen darauf spezialisiert, Hinweise auf sexuelle Untreue wahrzunehmen. Die Forscher hatten 121 Probanden Beziehungsszenen vorgespielt und untersucht, an welche beiläufig gefallenen Sätze zu möglicher Untreue sich Männer und Frauen besonders gut erinnerten.

Auch Pornokonsum in Abwesenheit des Partners wird von manchen als Untreue aufgefasst

Mischformen gibt es natürlich auch. Was ist beispielsweise mit offensivem Antanzen – gehört das zur körperlichen, zur emotionalen oder gar zur elektronischen Untreue; besonders wenn gerade Elektropop gespielt wird? „Die Vorstellungen von dem, was Untreue bedeutet, sind individuell extrem unterschiedlich“, sagte Studienleiter Benjamin Warach kürzlich der BBC. „Das gilt besonders für die nicht-sexuellen Formen.“ Auch Pornokonsum in Abwesenheit des Partners wird von manchen Menschen als Untreue aufgefasst.

Als ob das nicht genügend methodische Einschränkungen wären, sind die bisher erhobenen Daten nicht weltweit repräsentativ. In den meisten Studien geht es um die Einstellung und die Erfahrungen von weißen, heterosexuellen Paaren in Nordamerika. Innerhalb dieser Gruppe gaben 17,5 Prozent der Befragten an, dass sie schon einmal sexuell untreu waren; 27,2 Prozent berichteten von emotionalem Betrug. Zu aushäusigen Tendenzen wie Händchenhalten oder flirtendem Fremdtanzen, die vom Partner als illoyal wahrgenommen werden könnten, bekannten sich sogar 35,2 Prozent.

Hinzu kommt: Studien zum Thema beruhen größtenteils auf Selbstauskünften der Probanden – und hier neigen Männer dazu, mit ihren Affären zu prahlen und zu übertreiben, während Frauen sich sittsamer geben als sie sind. Zu sexueller Untreue bekannten sich in der aktuellen Metaanalyse demnach 25,2 Prozent der Männer und nur 14,2 Prozent der Frauen; bei emotionaler Untreue lag der Vorsprung der betrügenden Männer immerhin noch bei 35,3 zu 30 Prozent. Ähnliche Differenzen finden sich, wenn Männer und Frauen – unabhängig davon, ob sie Partner haben oder nicht – nach ihren bisherigen sexuellen Erfahrungen gefragt werden. Die Angaben der Männer scheinen eher potenzpralle Wunschlisten zu sein als der Realität zu entsprechen. Frauen vermitteln hingegen tendenziell klösterliche Enthaltsamkeit, wollen jedenfalls unbedingt den Eindruck vermeiden, „leicht zu haben“ zu sein.

Forscher kennen diese geschlechtertypischen Verzerrungen und versuchen sie in ihren Analysen zu umgehen, indem sie den Teilnehmern absolute Anonymität zusichern. Je mehr die Probanden darauf vertrauen, dass ihre Angaben geheim bleiben, desto stärker gleichen sich die Zahlen an: Männer haben dann doch ein paar Affären weniger gehabt, Frauen ein paar mehr. Und beide Geschlechter geben weniger Momente der Untreue an, wenn sie von Wissenschaftlern im direkten Gespräch gefragt werden. Füllen sie Fragebögen aus, sind es plötzlich wieder mehr.

Trotz aller Ungereimtheiten sind immerhin die gesundheitlichen Spätfolgen von Untreue klar. Fühlt sich einer der beiden Partner betrogen, steigt bei ihm das Risiko für Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen – immerhin wird hier Vertrauen verletzt und die Stabilität der Bindung massiv infrage gestellt. „Für 25 bis 50 Prozent aller Paare ist Untreue der Grund, warum sie therapeutische Hilfe aufsuchen“, schreiben die Autoren um Warach.

Um das zu vermeiden und Paartherapeuten nicht zu überlasten, sollten sich die Partner womöglich noch in der Phase ihrer rosaroten Verliebtheit darüber abstimmen, wo sie ihre Grenzen ziehen. Ist der Anspruch auf Exklusivität realistisch und halten sie es wie manche Unterarten der Clownfische, die ihr Leben lang monogam durch die Ozeane schwänzeln? Oder wird doch die Bergwühlmaus zum Rollenmodell auserkoren, die sich mit allem durcheinander paart, was nicht bei drei auf dem nächsten Felsvorsprung ist? Eine Lösung wäre die offene Zweierbeziehung. Doch auch die kann elendig schiefgehen, wie das gleichnamige Theaterstück der italienischen Autoren Dario Fo und Franca Rame zeigt: Der Mann versteht dieses Modell als eindeutig nur zu einer, nämlich seiner Seite hin geöffnet. Als die Frau sich später auch die entsprechenden Freiheiten nimmt, reagiert er entrüstet – eine Öffnung der Partnerschaft zu beiden Seiten ginge ja nun gar nicht. Dann gebe es schließlich Durchzug.

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