FIS disqualifiziert alle Norweger nach Anzug-Chaos | ABC-Z

Am vorletzten Tag ist es bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften zu einem Skandal gekommen. Etwa eine halbe Stunde nach dem Skisprung-Wettkampf von der Großschanze gab es eine wegweisende Entscheidung des Ski-Weltverbandes FIS: Er disqualifizierte alle vier norwegischen Springer. Und damit auch Marius Lindvik, der den Wettkampf zuvor als Zweiter beendet hatte.
Der Grund dafür ist ein von Norwegen initiiertes Anzugchaos, das noch lange nachwirken dürfte und das einen großen Schatten auf diese WM in Mittelnorwegen wirft. Weltmeister wurde letztlich der Slowene Domen Prevc. Platz zwei ging nach der Jury-Entscheidung an den Österreicher Jan Hörl, Bronze gewann Ryoyu Kobayashi aus Japan.
„Nicht ohne dass ich das gemerkt hätte“
Schon während des ersten Durchgangs lief ein Protest, den die Teams aus Österreich, Polen und Slowenien bei der FIS lanciert hatten. Zuvor war ein Video aufgetaucht, in dem Norwegens Trainer Magnus Brevik vor einem Kollegen an der Nähmaschine sitzend zu sehen ist, der dabei war, einen Sprunganzug komplett auseinanderzunehmen und ihn wieder neu zusammenzunähen. Österreichische Medien nennen als Quelle einen polnischen Journalisten.
Die Protestierenden gingen von einer Manipulation aus, die wiederum der Anzugkontrolleur der FIS, der Österreicher Christian Kathol, in einem TV-Interview ausschloss: „Sie dürfen die Anzüge öffnen und wieder vernähen.“ Wichtig sei, dass der Normchip enthalten sei, und das sei der Fall gewesen, der sei nicht auszubauen und wieder einzusetzen, „ohne dass ich das gemerkt hätte“.
Gleichwohl wurden die Anzüge vor allem der Norweger vor und während des Wettkampfs sehr genau überprüft – und siehe da: ein Springer des Gastgeberlandes fiel schon während des ersten Durchgangs durch die Kontrolle und wurde disqualifiziert. Kristoffer Eriksen Sundal wurde aus dem Wettkampf genommen. Ein Zufall, dass es tatsächlich einen Norweger erwischte?
Die FIS jedenfalls wies den eingegangenen Protest zunächst ab – und entschied dann doch die drei noch verbliebenen Norweger aus dem Wettbewerb zu nehmen, darunter war auch der Fünftplatzierte Johann André Forfang. Der Grund für die ursprüngliche Abweisung dürfte in der Formulierung des Einspruchs liegen: Das Nationentrio wollte offenbar eine Annullierung aller WM-Ergebnisse erreichen, bei denen in Trondheim norwegische Skispringerinnen und Skispringer beteiligt waren.
Ein vor allem im Schritt zu weit geschnittener Anzug kann die Tragfläche eines Skispringers entscheidend erhöhen und ihn zu großen Weiten tragen. Lindvik jedenfalls fiel vor dieser WM eher nicht als Siegspringer auf – und gehörte dort plötzlich zur absoluten Weltspitze.
Diese große Verwirrung, dieses Verhalten des norwegischen Teams und der Umgang mit dem Protest dürften ein Nachspiel haben. Darauf deuten die aufgewühlten Stellungnahmen der anderen Nationen hin. Bundestrainer Stefan Horngacher sagte: „Es sind ein paar Dinge passiert, die völlig inakzeptabel sind. Es gibt Limits, die sind hier überschritten worden. Eine Nation macht hier wilde Dinge.“ Es war klar, welche Nation er damit ansprach.
Auch Horst Hüttel, der Sportdirektor für Skispringen und Nordische Kombination im Deutschen Ski-Verband (DSV) ist der Meinung, dass es „erheblichen Aufarbeitungsbedarf“ gibt. Der DSV habe sich zwar nicht am österreichisch-polnisch-slowenischen Protest beteiligt, aber seinerseits der FIS noch während des ersten Durchgangs ein Schreiben zugestellt, in dem Aufklärung und „ein Aufdecken der Situation“ gefordert wird, wie Hüttel ausführte. Schließlich sagte er noch: „Ich tue mich schwer, mit der Situation umzugehen.“ Denn: Die Argumente der Norweger würden „von allen führenden Anzugsexperten zerlegt – komplett“.
Ob er noch Vertrauen in die Messarbeit der FIS besitze, wurde Horngacher nach dem Wettkampf gefragt. Seine Antwort: „Schwer zu sagen. Ich muss mich ja darauf verlassen.“ Aber, so ist zwischen den Zeilen zu lesen – gerade das fällt ihm gerade derzeit offenbar schwer. Und so endeten die Skisprungwettbewerbe mit heftigen Tumulten.
Horngachers Springer wiederum zeigten sich im Vergleich zu den jüngsten Weltcup-Springen von der Großschanze deutlich verbessert. Vor allem Philipp Raimund vom SC Oberstdorf überzeugte als nachträglicher Fünfter. Nach dem ersten Durchgang lag er bei geringen Abständen zu Rang drei noch aussichtsreich im Rennen um Bronze, vergab seine Chance aber mit einem zwar soliden, aber nicht überragenden finalen Sprung. Und war dennoch zufrieden: „Ich war verdammt nervös vor dem zweiten Durchgang und habe mich vielleicht ein wenig zu sehr runterreguliert. Ich habe dennoch nur gewonnen hier bei dieser WM, auch wenn ich keine Medaille geholt habe.“
Die wiederum hatte sich Andreas Wellinger am vergangenen Sonntag von der Normalschanze gesichert, Platz zwei hinter Lindvik, es war dies das einzige Edelmetall für die deutschen Skispringer bei dieser WM. Am Samstag wurde Wellinger Zehnter und sagte: „Wenn einer bescheißt, gehört er rausgeschmissen.“ Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Disqualifikation norwegischer Springer auch auf die Ergebnisse von der Kleinschanze angewendet wird, dann wäre Wellinger nachträglich Weltmeister.
Im Mixed und im Teamwettbewerb gab es einen vierten Platz, genauso wie für Karl Geiger von der kleinen Anlage – auch diese Positionen könnten im Nachgang dieser WM noch aufgewertet werden.