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Finanzpaket ist trotzdem riskant: Deutschland kann sich neue Billionenschulden leisten | ABC-Z


Finanzpaket ist trotzdem riskant

Deutschland kann sich neue Billionenschulden leisten

Deutschlands Staatsfinanzen bleiben trotz neuer Sondervermögen und Lockerung der Schuldenbremse tragfähig. Selbst zusätzliche Schulden in Billionenhöhe erschüttern die Kreditwürdigkeit nicht – im Gegenteil. Trotzdem birgt das Vorhaben Gefahren.

Die Zahlen sind schwindelerregend: 500 Milliarden Euro zusätzliche Schulden für Infrastrukturinvestitionen sieht das Finanzpaket vor, auf das sich die Chefs der möglicherweise neuen Koalitionspartner CDU, CSU und SPD gerade geeinigt haben. Die Schuldenaufnahme für Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, soll nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das entspräche bei einer Erhöhung des Rüstungsetats auf 3,5 Prozent einer Schuldenaufnahme von 110 Milliarden Euro – zusätzlich, pro Jahr. Wie stark eine neue Regierung die Rüstungsausgaben tatsächlich steigern wird, ist derzeit noch nicht bekannt.

Allein in der kommenden Legislaturperiode summiert sich das alles auf mögliche neue Schulden von fast einer Billion Euro. Das sind rund 12.000 Euro pro Person in Deutschland vom Neugeborenen bis zum Greis. Können wir uns das leisten? Oder drohen Deutschlands Schulden außer Kontrolle zu geraten und zu einer untragbaren Belastung für Staat und Wirtschaft zu werden? Die Ratingagentur Scope gibt Entwarnung: Durch die jetzt angekündigten Maßnahmen könnte zwar der Schuldenstand bis 2029 auf rund 3,6 Billionen Euro oder rund 72 Prozent des BIP steigen, sagte Scope-Analyst Eiko Sievert der Nachrichtenagentur Reuters. Das sei zwar deutlich mehr als Ende 2024 bei rund 63 Prozent. Damit bliebe die Schuldenquote aber unter ihrem bisherigen Höchststand von 80 Prozent nach der globalen Finanzkrise.

Selbst dieser Schuldenhöchststand, der 2010 erreicht wurde, erwies sich als tragfähig. „Damals konnte Deutschland sein AAA-Rating halten“, sagt Sievert. Bis 2019 – vor Beginn der Corona-Krise – konnte die Schuldenquote wieder auf unter 60 Prozent gesenkt werden. Voraussetzung dafür war unter anderem, dass die Wirtschaft in diesem Zeitraum deutlich wuchs. Entscheidend werde daher auch in den kommenden Jahren sein, dass die zusätzlichen Ausgaben „wachstumserzeugend“ eingesetzt werden, sagt der finanzpolitische Experte Florian Schuster-Johnson vom Thinktank Dezernat.

Um für Wachstum zu sorgen, sei angesichts der großen Löcher im Bundeshaushalt eine Lockerung der Schuldenbremse unumgänglich, so Schuster-Johnson. „Wir sollten uns aktuell eher darüber Sorgen machen, dass wir unsere Infrastruktur und unsere öffentlichen Dienstleistungen nicht finanzieren können und dass unsere Wirtschaft nicht wächst, als dass wir zu hohe Schulden hätten. Die haben wir nämlich im internationalen Vergleich und auch aus Sicht der Finanzmärkte momentan nicht.“ Die Schuldenquote der Eurozonen-Staaten lag Ende 2024 im Durchschnitt bei fast 90 Prozent des BIP, die der USA bei 124 Prozent.

Ähnlich wie Schuster-Johnson sieht es der Analyst der Ratingagentur S&P, Frank Gill: „Unsere größte Sorge hinsichtlich der Kreditwürdigkeit Deutschlands ist die stagnierende Wirtschaft. Alles, was die Binnenwirtschaft ankurbelt, ist also positiv für die Kreditwürdigkeit.“

Deutschland bald „Hochschuldenstaat“?

Je nach unterschiedlichen Annahmen zur tatsächlichen Höhe der künftigen Schuldenaufnahme, deren zeitlicher Verteilung sowie der Entwicklung von Zinsen und Wirtschaftswachstum kommen Ökonomen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen für die langfristige Entwicklung der Schuldenlast. So fürchtet der Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, dass die Schuldenquote 2034 100 Prozent des BIP übersteigen könnte, wenn die Möglichkeiten der neuen Regeln voll ausgenutzt und 1,8 Billionen Euro zusätzliche Schulden aufgenommen würden. „Damit würde sich Deutschland rasch zu den Hochschuldenstaaten der EU gesellen“, sagte Heinemann.

Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger dagegen geht in einer Modellrechnung davon aus, dass die Schuldenquote bei der Aufnahme von einer Billion Euro neuer Schulden innerhalb von zehn Jahren weitgehend stabil bleiben könnte. Dazu müsste es gelingen, das nominale Wirtschaftswachstum – also ohne Berücksichtigung der Inflation – auf durchschnittlich 3,5 Prozent zu steigern. Das wäre etwa ein Prozentpunkt mehr als das aktuelle Wirtschaftswachstum. Während normalerweise meist vom realen BIP-Wachstum, das heißt abzüglich der Inflationsrate, gesprochen wird, ist für die Schuldenquote das nominale Wachstum ohne Berücksichtigung der Teuerung entscheidend. Durch die Inflation nimmt der reale Wert des Geldes ab, das heißt auch der von Schulden. Selbst wenn die geplanten Infrastrukturinvestitionen die Wirtschaft nicht ankurbeln würden und das nominale Wirtschaftswachstum auf dem niedrigen derzeitigen Niveau von etwa 2,5 Prozent bliebe, würde die Schuldenquote in Bofingers Rechnung bis 2034 lediglich auf rund 70 Prozent des BIP ansteigen.

Geld könnte für „Subventionen und überteuerte Projekte“ draufgehen

Auch wenn die Schuldenlast für Deutschland tragbar bleibt, ist das gigantische Finanzpaket mit Risiken verbunden. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm etwa fürchtet, dass dank der enormen Verschuldung dringend nötige Reformen für die Belebung der Wirtschaft hinausgeschoben würden. Andere Kritiker weisen darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft möglicherweise nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt, die mit den neuen Milliarden finanzierten Projekte auszuführen. Bereits jetzt klagen viele Unternehmen über Fachkräftemangel.

Selbst wenn beispielsweise Bau- und Rüstungsunternehmen ausreichend Personal finden, brauchen sie Zeit für die Ausbildung, den Ausbau von Produktionsstätten und Lieferketten. Auch Deutschlands Bürokratie und langwierige Planungsverfahren beschränken die Möglichkeiten, solch gigantische Investitionen, wie nun geplant, innerhalb weniger Jahre umzusetzen. Ökonom Volker Wieland prophezeit in einem Post bei X, dass viel von dem Geld „für Subventionen und überteuerte Projekte draufgehen“ werde.

Das Problem dabei ist nicht nur Verschwendung von Steuergeld. Die Preise nicht nur für Panzer und Munition könnten weiter in die Höhe schießen. Auch Bau- und andere Dienstleistungen und Energie könnten sich stark verteuern. Das wiederum könnte die Inflation wieder anheizen.

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