Filmfestspiele Venedig: Lieber Duse als Duce | ABC-Z

Über die Schauspielerin Eleonora Duse stand in dieser Zeitung bisher wenig zu lesen. Was damit zusammenhängen mag, dass sie vor gut 100 Jahren gestorben ist. In jüngerer Zeit wurde sie oft in Zusammenhang mit dem italienischen Dichter Gabriele D’Annunzio erwähnt, mit dem sie mehrere Jahre eine Beziehung führte.
Duse war allerdings einer der bekanntesten internationalen Stars ihrer Zeit, sie wurde in einem Atemzug mit Kolleginnen wie Sarah Bernhardt genannt. Mit ihrem ungekünstelten Stil und dem Verzicht auf Dinge wie Schminke gehört sie zu den Vorläuferinnen des modernen Theaters.
Der Regisseur Pietro Marcello widmet seinen bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb gezeigten Film „Duse“ den letzten Jahren im Leben der „Göttlichen“. Der Erste Weltkrieg geht gerade zu Ende, der Faschismus erstarkt in Italien, und Eleonora Duse plant nach einer langen Pause ihre Rückkehr ans Theater.
Spielzeuglandschaft mit Zinnsoldaten
Schon in den ersten Minuten setzt Marcello mit auf unspektakuläre Weise starken Bildern einen Auftakt für einen der poetischsten und zugleich politisch wachsten Filme des Wettbewerbs. Man sieht anfangs eine braun-düster gehaltene Spielzeuglandschaft mit Zinnsoldaten darin.
Dann wechselt die Szenerie zu einer grob metallenen Seilbahn in die Dolomiten, in der Duse und ihre Assistentin durch wolkenreiche Höhen fahren. Duse will im Kampfgebiet vor Soldaten sprechen, um sie aufzumuntern, später lässt sie sich das Lazarett zeigen.
Danach fährt sie nach Venedig, wo sie mit Blick auf die Friedhofsinsel San Michele wohnt. Dort überzeugt sie ihre Truppe, mit Henrik Ibsens „Die Frau am Meer“ an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen. Der Grund ist handfest: Sie hat Geldsorgen. Duses Interpretation wird gefeiert, sie strebt eine Tour an, wie es in der Vergangenheit bei ihr üblich war. Doch hat sie einen Gegenspieler, im Film ist es eine Tuberkulose, die sie seit Längerem plagt.
Valeria Bruni Tedeschi nimmt sich die Leinwand
Valeria Bruni Tedeschi, die mit ihrem zu Extremen neigenden Spiel von manchen Cinephilen gefürchtet wird, macht ihre Eleonora Duse zum Kraftzentrum des Films. Von plötzlichen Anfällen kindlicher Euphorie über grazile Würde bis hin zu kaum beherrschtem Wahnsinn reichen die Register für ihre Figur, mit denen sie nie übers Ziel hinausschießt, sondern sich souverän entwaffnend die Leinwand nimmt.
Marcello hatte schon in Filmen wie der Literaturverfilmung „Martin Eden“ von 2019, ebenfalls in Venedig im Wettbewerb zu sehen, den aufkommenden Faschismus in seine Geschichte eingearbeitet. Bei „Duse“ gehört dieser untrennbar zum Leben Duses dazu. So war ihr ehemaliger Geliebter D’Annunzio (Fausto Russo Alesi) nicht bloß eine Inspiration für den Faschismus, sondern auch ein williger Mentor Mussolinis.
Marcello zeichnet D’Annunzio dabei als ambivalente Figur, als dekadenten Dichterfürsten, der im Alter seine Ideen durch den Faschismus verraten sieht und lediglich eine „poetische Revolution“ angestrebt haben will, anders als die Gewalt, mit der die Schwarzhemden des Duce die Straßen Italiens terrorisieren.
Auch Eleonora Duse muss sich im Film irgendwann der Realität des Faschismus stellen. Und auch in diesen schmerzlichen Szenen zeigt Valeria Bruni Tedeschi ihre Stärke. Ein Preis für ihre Leistung wäre das Mindeste für „Duse“.