Filmfestival in Venedig: Wie lebendig doch das Kino ist | ABC-Z
Und hier der Grund, weshalb man süchtig
werden kann nach dem Filmfestival von Venedig: Es findet auf einer schmalen
Insel vor einer Lagune statt. Verlässt man das Kino, schweift der Blick über
das Meer, das ja auch eine leere blaue Leinwand, ein Versprechen, eine
Möglichkeitsform ist. Vor dieser Aussicht wurde noch ein bisschen klarer, was
diese 81. Festivalausgabe so besonders machte: Filme, die ihren Figuren das
eigentlich Unmögliche ermöglichen. Bilder, die den Heldinnen und Helden
beistehen.
Der Goldene Löwe, Hauptpreis des Festivals,
geht an Pedro Almodóvars The Room Next Door, einen Film, mit dessen Heldinnen
auch wir uns neu entwerfen können. Das ist angesichts des Themas nicht
selbstverständlich. Es geht um eine unheilbar an Krebs erkrankte Frau, die sich
mit einer Todespille das Leben nehmen will. Weil Martha (Tilda Swinton) in
diesem Moment nicht allein sein will, bittet sie ihre langjährige Freundin Ingrid
(Julianne Moore), sie zu begleiten. Die beiden fahren für einen Monat in ein
Haus im Wald, ein paar Autostunden von New York entfernt. In der Nacht, in der
sich Martha das Leben nimmt, wird sie ihre Tür schließen, sodass die Freundin
im Nachbarzimmer am Morgen Bescheid weiß. Es gibt die für Almodóvar typischen
kräftigen Farben (pinkfarbenes Outfit auf grüner Liege), ein elegantes Dekor, aber
etwas ist anders – The Room Next Door wirkt wie die Essenz eines Almodóvar-Films.
Das Melodrama hat das Drama hinter sich gelassen, es wird zur Meditation über
Leben und Sterben, den Trost einer Freundschaft. In seiner Dankesrede äußerte Pedro
Almodóvar Mitgefühl für Tilda Swintons Heldin und Bewunderung für Julianne
Moores solidarische Freundinnenfigur. Und er forderte Gesetze, die Menschen,
denen auswegloses Leid bevorstehe, das Recht auf einen selbstbestimmten Tod geben.