Film „Lebensader Autobahn“ von Hubertus Meyer-Burckhardt in der ARD | ABC-Z
Die Deutsche Umwelthilfe wird den Film für einen Auffahrunfall halten. Dabei kommen Kritiker des Autobahnausbaus durchaus vor, allerdings nur als trauriges Grüppchen, das sich resigniert die Baumaßnahmen im Dannenröder Forst – Weiterbau der A 49 – anschaut und darüber klagt, dass „der Natur so eine Gewalt angetan wird“. Die nachgereichten Bilder vom Widerstand gegen diesen Ausbau vor einigen Jahren rücken die Gegner in die Nähe von Chaoten. „Zwei Ideologien treffen aufeinander“, kommentiert der entspannt durch die Sendung cruisende Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt. Für ihn ist die Autobahn „Sinnbild der Unabhängigkeit“. Argumente der Kritiker – Klimaschutz, Umweltschutz, Entschleunigung, Kosten – sollten den Film von Ulf Thomas (Buch und Regie) mit dem schon nicht ganz neutralen Titel „Lebensader Autobahn“ offenkundig nicht dominieren. Auch die Mautdiskussion spielt keine Rolle.
Das muss nicht falsch sein. Reportagen auf moralischen hundertachtzig gibt es schließlich zuhauf, während die faszinierenden Aspekte am größten deutschen Bauwerk, das sich über 13.200 Kilometer erstreckt, eher selten herausgestellt werden. Dabei ist die Autobahn nicht nur das steinerne Monument für den Triumph des Tempos in der Moderne, sondern die Basis für die Mobilität von Menschen und Gütern im Land – und ein ganz eigenes Habitat, ein Reich des Transitorischen, in dem Menschen aller Schichten einander begegnen und eine eigene Subinfrastruktur existiert: Parkplätze, Tankstellen, Raststätten, Autobahnkirchen, Polizeistationen, Autobahnmeistereien. Orte wie diese sucht der Film, sucht Meyer-Burckhardt auf. Dazwischen hört man Verkehrsexperten zu.
Ästhetisch verbinden Autobahnen die Form der verschlungenen Arabeske (Auf- und Abfahrten) mit dem Ideal der geraden Linie. Mental stehen sie für ein ewiges Vorwärts; auf der Autobahn gibt es keinen Rückwärtsgang. Das in den frühen Zwanzigerjahren von Piero Puricelli in Italien entwickelte und kurz darauf von dem Frankfurter Verein HaFraBa (Hansestädte-Frankfurt-Basel) perfektionierte Modell der kreuzungsfreien Schnellstraßen ist ungebrochen aktuell. Auch E-Autos benötigen Autobahnen. So stark und immer noch anwachsend ist die Nutzung, dass die Autobahn anders als die Bahn an ihrem Erfolg zugrunde zu gehen droht. Freilich kommt wie bei der Bahn ein gewaltiger Sanierungsstau hinzu. Vor allem der Lastwagenverkehr setzt den Autobahnen zu, lernt man im Film: Die Belastung der Straßen und Brücken durch einen 40-Tonner ist so groß wie die durch 140.000 Pkw.
Die Geschichte der Autobahn
Und doch verwahrt sich Meyer Burckhardt, der „mal Fernfahrer werden“ wollte und schon mehrere Filme zum Thema Verkehr gemacht hat, mit Nachdruck gegen eine Anti-Brummi-Stimmung: „Wenn es die nicht gäbe, wären die deutschen Supermärkte nicht voll – und“, er zeigt auf die Zuschauer, „Ihr Kühlschrank leer.“ Ein perfekt Deutsch sprechender Fernfahrer aus Athen, 300 Tage im Jahr auf Achse, schwärmt so begeistert von der deutschen Autobahn, dass man beim nächsten langatmigen Brummi-Überholmanöver mit einem Stundenkilometer Unterschied zwischen den Ungetümen vielleicht aufs rituelle Fluchen verzichten und an diesen freundlichen Lkw-Lenker denken wird.
Im Zentrum des Films steht die Geschichte der Autobahn. Im Gespräch mit den Historikern Conrad Kunze und Richard Vahrenkamp wird die Legende, sie sei eine Erfindung der Nationalsozialisten, ins Reich der NS-Propaganda verwiesen. Hitler griff vielmehr die weit gediehenen HaFraBa-Pläne auf. Unter der Leitung Fritz Todts, dem späteren Leiter der „Organisation Todt“, entstand dann allerdings ab 1935 in schneller Taktung Teilstück um Teilstück der „Reichsautobahn“, was der Film mit vielen Archivaufnahmen illustriert. Militärisch spielte diese mythisch überhöhte Straße keine Rolle, für Truppentransporte wurde nach wie vor die Reichsbahn genutzt. Nur ein einziges Mal gab es eine militärische Nutzung, stellen die Historiker heraus: beim Vorrücken der Alliierten gegen Ende des Krieges, ganz besonders im Westen. Hitlers Autobahn hatte seinen Gegnern den Weg geebnet.
Filmisch befindet sich die Produktion nicht unbedingt auf der Überholspur, gleicht eher einer langen „Sendung mit der Maus“-Folge. Das ist nicht allzu despektierlich gemeint. Wer wollte nicht genauer wissen, wie Mitarbeiter der Autobahnmeistereien Spuren absperren oder was Wildbrücken von normalen Brücken unterscheidet? Besonders überraschend ist der Befund des „Extrembotanikers“ Jürgen Feder, die zum Symbol für Naturzerstörung gewordene Autobahn nutze der Artenvielfalt, weil die vielfältig bewachsenen Rand- und Mittelstreifen meist hochwertiger seien als die durch den Straßenbau weggefallenen Monokulturflächen. „Fluchthabitate für Wildpflanzen“ nennt er das.
Keine Massenkarambolagen, keine Staus?
Nicht in den Film aufgenommen wurden Massenkarambolagen, die leeren Autobahnen während der Ölpreiskrise oder der Corona-Pandemie, die zeitweilige Umfunktionierung wie beim großen A-40-Picknick im Jahr 2010. Es wurden aber bereits zu viele Aspekte hineingewurstet, sodass es teilweise recht sprunghaft zwischen der spannenden Historie und dem gegenwärtigen Autobahn-Kosmos hin und her geht. Es gibt auch Nebenthemen, die zu gedrängt wirken. So wird mit der Präsentation von Autobahn-Musik durch Radiomoderator Peter Urban begonnen, aber über die unvermeidliche Hymne von Kraftwerk und Steppenwolfs „Born To Be Wild“ („Get your motor runnin’/ Head out on the highway“) kommt das nicht hinaus. Danach wird Urban einfach vergessen. Wo bleibt Bob Dylans „Highway 61 Revisited“? Wo „Highway to Hell“? Und wer vergisst bitte Peter Urban?
Auf die Rennfahrerin Sophia Flörsch und den Komiker-Proleten Atze Schröder hätte man verzichten können, sie haben nichts Interessantes beizutragen. Das gilt leider auch für die Spielszenen, in denen ein ewiger Verkehrsminister (Helmut Zierl) durch die Jahrzehnte gegen das Tempolimit wettert, HaFraBa-Sitzungen nachgestellt werden oder ein deutsches Auto-Ehepaar (Anna Thalbach und Enrique Fiß) in verschiedenen Epochen mit den immer etwas flotter motorisierten Nachbarn wetteifert. Da wären ein paar Ausschnitte aus Gerhard Polts „Super-Stau“, dem lustigsten Autobahnfilm überhaupt („Ich ramm die Sau!“), erheiternder gewesen. Auch wenn die Autobahn, wie man nun weiß, kein deutsches Unikat ist: Mit der deutschen Mentalität ist sie durch und durch bituminiert.
Lebensader Autobahn – Geschichten von Freiheit, Fortschritt und Widerstand läuft am Sonntag um 18.30 Uhr im Ersten.