Film “Das Flüstern der Felder” ist aus Ölgemälden gemacht | ABC-Z
“Liebe kommt und geht, aber das Land bleibt”, sagt die Witwe, die ihre junge, schöne Tochter Jagna gerade an den reichsten, aber alten Bauernwitwer verkauft hat: für die sechs besten Äcker des Dorfes, die er als Ablöse-Mitgift für sie zahlen muss.
“Arm zu sein ist nicht das Ziel Gottes mit Dir”, sagt die Mutter noch ‒ und dann wird gefeiert, getrunken, aufgespielt ‒ und getanzt.
Inhaltlich schlägt im Wirbel ‒ unter Alkohol und in Aufgegeiltheit ‒ die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit in der Dorfwirtschaft fast ins geifernd Brutale um. Denn Jagna (Kamila Urzedowska) spannt hier den Bogen ihrer Ausstrahlung, überspannt ihn:
Sie ist im Rausch nicht mehr die Braut des alten Großbauern (Miroslaw Baka), nicht mehr die momentane Tanzpartnerin von dessen Sohn (Robert Gulaczyk), dessen Geliebte sie heimlich auch ist. Sie ist in der Fantasie aller Männer Objekt der Begierde ‒ und für die Frauen im Raum die erotische Konkurrenz, die Hure, Hexe.
Film “Das Flüstern der Felder” mit besonderer Technik erschaffen
Diese Freiheit, dass es Jagna egal ist, was man redet, ist die eigentliche gesellschaftssprengende Provokation. Heimliche Liebschaften darf es, muss es wahrscheinlich geben. Aber vor aller Augen die Grenzen des Anstandes überschreiten, ist lebensgefährlich.
Basierend auf dem Roman “Die Bauern” von Wladyslaw Reymont, der vor 100 Jahren dafür den Literaturnobelpreis bekam, ist mit “Das Flüstern der Felder” ein fantastischer, epischer, dabei dichter Film entstanden. Alle Figuren schillern charakterlich, so dass sich der Zuschauer moralisch selbst orientieren muss.
Neben all diesen Stärken ist “Das Flüstern der Felder” augenfällig ein ästhetisch besonderes Meisterwerk: Mit der Technik, einen aufwändig gedrehten Spielfilm nachträglich Bild für Bild in Gemäldeform nachzumalen, ist etwas Großes entstanden.
Über 50.000 Original-Ölgemälde wurden angefertigt und animiert. Manchmal hat auch der digitale Pinselstrich die 24 Bilder pro Filmsekunde vervollständigt. Insgesamt ergibt sich so ein Stop-Motion-Eindruck.
Die Alternative: anpassen oder ausgegrenzt werden
Ausgehend von einer Ende des 19. Jahrhunderts spielenden polnischen Dorfgeschichte orientiert sich der Malstil am Impressionismus. Das erzeugt einen Déja-vu-Effekt, weil das Regiepaar Dorota Kobiela und Hugh Welchman schon vor sieben Jahren das Leben Van Goghs in “Loving Vincent” mit animierten Ölbildern erzählt haben.
Die Stilauswahl ist diesmal freier, geht von Alten Meistern zum Realismus oder Naturalismus ländlicher Sujets über ‒ bis gegen Ende das ursprüngliche Spielfilmmaterial immer stärker durchschimmert. So wird die malerische Dorfgeschichte im Laufe der Jahreszeiten aus der Stilisierung in die filmrealistische Wirklichkeit geholt.
“Das Flüstern der Felder” ist die Geschichte einer Dorfgemeinschaft, die ‒ gefangen in Traditionen, Religion, Sitten und Moral ‒ Zielscheiben ihrer Unzufriedenheiten sucht. Das gilt ‒ bei allen patriarchalen und sozial starren Strukturen ‒ für Frauen und Männer.
Jagna durchstreift in einer der schönsten Szenen einen Bauern- und Kunsthandwerkmarkt. Die Zwischenvorhänge der Stände werden von der Kamera wie Schleier eingefangen, was eine erotische Schleiertanzfantasie erzeugt.
Immer ist ‒ auch farblich in der Opulenz der Trachten ‒ die Provokation von Jagnas Schönheit, ihres Selbstbewusstseins, ihrer relativen Ungebundenheit hervorgehoben. Alles Aspekte, was Jagna aus Neid, Eifersucht, Lust nach ihr und Gier ins Verderben reißen wird. Eine Gemeinschaft fordert Anpassung, Abweichung wird mit Ausgrenzung sanktioniert.
So wird der Film ‒ bei aller Schönheit ‒ packend und durchschlagend auch zu einer überzeitlichen Parabel für kollektive Brutalisierung. Und das ist ein Phänomen, das sich noch durch das gesamte 20. Jahrhundert ziehen wird und natürlich auch in unser 21. Jahrhundert hineinragt.
Kino: Arena
R: Dorota Kobiela, Hugh Welchman
(PL, Serbien, Litauen, 114 Min.)