Filideis Oper „Der Name der Rose“ an der Mailänder Scala | ABC-Z

Bei den seit der Corona-Pandemie verbreiteten Sorgen über sinkende Besucherzahlen an den Opernbühnen lässt es aufhorchen, wenn das Mailänder Teatro alla Scala in Koproduktion mit der Opéra National in Paris bei einem zeitgenössischen Komponisten ein neues Werk in Auftrag gibt und bereits zwei Wochen vor der Premiere für die gesamte Serie von fünf Aufführungen ein ausverkauftes Haus annoncieren kann.
Die Erfolgsmeldung gilt dem fast dreistündigen Zweiakter „Il nome della rosa“ von Francesco Filidei. Der bald zweiundfünfzigjährige, aus Pisa stammende, viel geförderte und mit Auszeichnungen bedachte Komponist, Schüler unter anderem von Salvatore Sciarrino, vermag über den Tellerrand der Neue-Musik-Szene hinauszublicken und drückt sich, wenn nötig, auch in einer einfacheren Musiksprache aus. Zu seinem umfangreichen Œuvre zählen vier Bühnenwerke, das letzte kam 2019 an der Pariser Opéra-Comique heraus. Somit war der Sprung an ein Opernhaus wie die Scala nur noch eine Frage der Zeit. Die bei der Premiere mit großem Beifall bedachte Produktion hat Signalwirkung für die Programmpolitik der traditionell ausgerichteten großen Musikbühnen, denn sie beweist, dass neben Giuseppe Verdi, Richard Strauss und Giacomo Puccini auch das zeitgenössische Schaffen ein Publikum findet.
Im Fall von Filidei lag das lebhafte Vorabinteresse zweifellos auch am Werktitel, der sofort hohe Erwartungen triggert. „Il nome della rosa“, Umberto Ecos genialer Mittelalterkrimi von 1980, auf Deutsch unter dem Titel „Der Name der Rose“ erschienen, ist auch nach viereinhalb Jahrzehnten und weltweiten Verkaufszahlen im zweistelligen Millionenbereich noch immer ein Knüller, sein Vermarktungspotential ungebrochen hoch.
Nach der Verfilmung mit Sean Connery (übrigens bei vielen Einstellungen im Kloster Eberbach im Rheingau gedreht), diversen Audiofassungen sowie zahllosen wissenschaftlichen Arbeiten nun also noch eine Oper. Der Plan einer musikdramatischen Umsetzung der raffiniert konstruierten, von intertextuellen Bezügen strotzenden Erzählung weckte leise Skepsis, doch am Ende des Tages stand fest: Es hat funktioniert. Unheil liegt von Anfang an über der Szene, das Getier der Apokalypse spukt herum – Symbole der bevorstehenden Enthüllungen in dem von mörderischen Geheimnissen erfüllten Kloster. Das großräumige, in Grautönen gehaltene Bühnenbild von Paolo Fantin mit dem über den Köpfen schwebenden, durch das Licht (Fabio Barretin) in stetige Mehrdeutigkeit getauchten Labyrinth von Gazevorhängen schafft die passende Atmosphäre für das unheimliche Geschehen, die von Carla Teti suggestiv gestalteten Kostüme und Ungeheuermasken bilden dazu den farblichen Kontrapunkt.

Das vom Komponisten und dem Philosophen Stefano Busellato in Zusammenarbeit mit Hannah Dübgen und Carlo Pernigotti verfasste Libretto hält sich eng an Ecos Vorlage. Es übernimmt die formale Einteilung in sieben Tage und bietet eine wohldosierte Auswahl von Dialogen, theologischen Exkursen, lateinischen Einsprengseln und dramatischen Höhepunkten. Die unvermeidliche Textlastigkeit wird somit wahrnehmungsfreundlich gegliedert, und wo das Reden kein Ende nehmen will, springt die erfinderische Regie von Damiano Michieletto mit allerlei Zusatzaktionen, raumgreifenden Gängen und bildstarken, hereingefahrenen Prospekten ein.
Riesenaufgebot an Instrumenten
Die Musik fängt die Sprachgewalt der Vorlage mit einer umfangreichen Orchesterbesetzung mit einem Riesenaufgebot an Schlag- und Geräuschinstrumenten auf. Was auf den ersten Blick nach drohender Materialschlacht aussieht, erweist sich beim Hören als durchaus sinnvoll eingesetzte Vielfalt an Mitteln und musikalischen Sprechweisen.
Das Spektrum reicht von gleichsam gegenständlichen Klangmustern in der Art von musikalischem Comic über wohlfeile Geisterbahneffekte bis zu responsorialen Gesängen und einem umfunktionierten Zitat von Perotins „Sederunt principes“ (aus der Schule von Notre-Dame um 1200), das im Zusammenhang mit einer Inquisitionsszene eine beängstigende Wirkung entfaltet. Während im ersten Akt mehr flächige, durch Computerstrickmuster erzeugte Klänge und ein stimmliches Parlando vorherrschen, entwickeln sich nach der Pause, wenn sich die Ereignisse zuspitzen, komplexere, rhythmisch vertrackte Konfigurationen. Beim großen Disput zwischen kaisertreuen Franziskanern und Papstanhängern über das spitzfindige Thema der Armut Christi artet das dicht verhakte Stimmgeflecht zu einer veritablen Massenschlägerei aus. Zusammengehalten wird das alles vom Dirigenten Ingo Metzmacher mit bewunderungswürdiger Präzision.
Das Personal von rund zwei Dutzend männlichen Hauptpersonen in Ecos Roman reduzierte Filidei auf die Hälfte; das Spektrum der Stimmregister fächerte er vom Sopran über den Countertenor bis zum Basso profondo auf. Die Regie arbeitet das zu scharfen Charakterprofile heraus; hinterhältige Inquisitionsrhetorik, das Stammeln deformierter Kreaturen und Komik liegen nahe beieinander.
Die herausforderndsten, brillant gemeisterten Rollen sind die des Guglielmo da Baskerville, dem Lucas Meachem die würdige Autorität des auf Aufklärung bedachten Untersuchungsbeauftragten verleiht, und die Person seines Adlatus Adso da Melk, mit phänomenaler Beweglichkeit verkörpert durch die Sopranistin Kate Lindsey; den im Alter rückblickenden Adso singt der Chor im Bühnenhintergrund. Das Bauernmädchen wird als weibliche Gegenfigur zur finsteren Männerwelt der Klosterbrüder tüchtig aufgewertet. Es steht im Schlussbild für die Rose, von der nur noch der Name übrig bleibt. Die für Ecos Text wichtigen philosophischen Implikationen müssen dagegen zurücktreten. Sie wären eben nicht opernkompatibel.