Feuer in Los Angeles: Proms auf der Flucht | ABC-Z
Als die ersten grauen Rauchschwaden am Dienstagvormittag von Pacific Palisades aus über Strand und Ozean zogen, begann auch die Sorge. Hatte sich die Freundin, die vor einigen Jahren aus Santa Monicas Villengegend nördlich der Montana Avenue in die Hügel des benachbarten Nobelviertels von Los Angeles gezogen war, vor den Flammen in Sicherheit bringen können? Hatte sie die Warnungen des Nationalen Wetterdienstes vor Santa-Ana-Winden, Böen sowie ungewöhnlich dichter Vegetation beherzigt und eine Notfalltasche mit persönlichen Unterlagen, Medikamenten und Andenken gepackt?
Anrufe auf Festnetz- und Mobiltelefon blieben unbeantwortet, Textnachrichten und E-Mails ebenso. Am Mittwochmittag dann ein Lebenszeichen per Mail: „Auch meine Straße ist evakuiert worden. Ich bin bei einem Freund in Studio City. Ob das Haus noch steht, weiß ich nicht. Ich habe noch ein bisschen Hoffnung, aber nicht viel.“
Die Flammen fraßen sich schnell durch das trockene Buschwerk
Einige Stunden später die zweite Nachricht: Ihr Haus sei bis auf das Fundament niedergebrannt. „Ich konnte nichts retten, meine Zukunft ist ungewiss“, schrieb die Freundin. „Die Palisades werden wohl für die nächsten Jahre unbewohnbar sein.“
Wie die meisten Bewohner von Los Angeles hatte auch sie seit Jahren mit dem Katastrophenfall gerechnet, mit „The Big One“, wie die Menschen in Los Angeles sagen. Gemeint war damit aber ein gewaltiges Erdbeben. Dass der Katastrophenfall den Bezirk Los Angeles als Serie von Flächenbränden heimsuchen würde, schien hingegen unvorstellbar.
Auch dass das Palisades-Feuer am Dienstag nur der Anfang sein sollte, überraschte viele. Wenige Stunden nach den ersten Flammen zwischen Malibu und Santa Monica meldeten auch die Einsatzkräfte in Altadena nördlich der Innenstadt von Los Angeles einen Brand. Nach Sonnenuntergang gingen zudem in Sylmar, einem Stadtteil im San Fernando Valley, Notrufe bei Polizei und Feuerwehr ein.
Am Mittwochnachmittag rückte die Feuerwehr dann in der Kleinstadt Acton zwischen Sierra Pelona Mountains und San Gabriel Mountains aus. Einige tausend Bewohner der Hügellandschaft packten nach Evakuierungsanordnungen der Behörden Reisetaschen und Koffer, um sich vor der Flammen des Lidia-Feuers in Sicherheit zu bringen.
In der Nacht zu Donnerstag wurde es auch in den Hollywood Hills taghell. In der Nähe des Runyon Canyon, einer bei Einheimischen und Besuchern beliebten Wanderstrecke im Norden von Touristenattraktionen wie Walk of Fame und TCL Chinese Theatre, fraßen sich die Flammen des Sunset-Feuers mit rasender Geschwindigkeit durch das trockene Buschwerk. Nach zwei ungewöhnlich nassen Wintern und der Trockenheit der vergangenen Monate sprangen die Funken innerhalb weniger Minuten von Hügel zu Hügel.
Während sich unzählige Löschzüge mit Sirenen in die Hügel aufmachten, versuchten tausende Bewohner der Hollywood Hills, sich in Sicherheit zu bringen. Auf Hollywood Boulevard und Sunset Boulevard stauten sich die Autos in Richtung Osten. Viele flüchteten zu Fuß mit Rollkoffer und Reisetasche vor den Flammen. „Die Lage ist erdrückend“, hatte der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom schon einige Stunden zuvor bei einem Besuch der Brandgebiete gesagt. Die Katastrophe im Süden Kaliforniens erinnere ihn das Inferno des Camp-Feuers, das Paradise im Jahr 2018 heimgesucht hatte.
Die Kleinstadt etwa 700 Kilometer nördlich von Los Angeles war damals zu mehr als 85 Prozent zerstört worden, als sich die Flammen in wenigen Stunden über Butte County ausbreiteten. Durch das Camp-Feuer, den tödlichsten Brand in der jüngeren Geschichte des Pazifikstaats, starben mehr als 80 Menschen – viele von ihnen bei dem Versuch, sich mit Auto oder zu Fuß in Sicherheit zu bringen.
Biden sagte eine Reise nach Italien ab
Um eine ähnliche Katastrophe zu verhindern, versprach Gouverneur Newsom, weitere 140 Tanklöschfahrzeuge mit je 10.000 Litern Wasser in die Brandgebiete zu schicken. Einige Dutzend Hubschrauber und Flugzeuge warfen derweil Wasser und Chemikaliengemische ab. Der amerikanische Präsident Joe Biden, der wegen der Brände in Kalifornien am Mittwoch eine geplante Reise nach Italien absagte, hatte die Region zuvor zum Katastrophengebiet erklärt.
In der Nacht zu Donnerstag waren mit Unterstützung aus Washington bereits mehr als 7500 Rettungskräfte aus verschiedenen Feuerwehren, der Nationalgarde und der kalifornischen Behörde für Wald und Brandschutz (Cal Fire) im Einsatz.
Die erhofften Erfolge blieben dennoch vorerst aus. Bei Böen mit Geschwindigkeiten von bis zu 160 Kilometer in der Stunde breitete sich das Palisades-Feuer bis Donnerstagmorgen über fast 70 Quadratkilometer aus, das Eaton-Feuer bei Altadena über mehr als 45 Quadratkilometer. Für beide Flächenbrände meldete Cal Fire eine Eindämmung von null Prozent. In Pacific Palisades, das die mehr als 30.000 Bewohner nach Evakuierungsanordnungen verlassen mussten, brannten nach ersten Schätzungen mehr als 1000 Gebäude nieder.
In Altadena und benachbarten Gemeinden wie Pasadena zerstörten die Flammen ebenfalls einige hundert Wohnhäuser und Geschäfte. Durch das Eaton-Feuer kamen zudem mindestens fünf Menschen ums Leben. Ein Sechsundsechzigjähriger starb bei dem Versuch, sein Haus mit dem Gartenschlauch zu retten. Auch das Sunset-Feuer in den Hollywood Hills fraß sich in der Nacht zu Donnerstag ungebremst durch einen halben Quadratkilometer Hügellandschaft. Bei abklingendem Wind machte sich derweil in Sylmar und Acton Hoffnung breit. Das etwa vier Quadratkilometer große Hurst-Feuer konnte zu zehn Prozent eingedämmt werden, das knapp 1,5 Quadratkilometer große Lidia-Feuer zu 40 Prozent.
Einige der mehr als 100.000 Südkalifornier, die auf Anweisung der Behörden ihre Häuser verlassen mussten, kamen derweil in Notunterkünften des Roten Kreuzes unter. Hotels wie Air Venice, Hollywood Hotel und The Pierside in Santa Monica boten Feuerflüchtlingen Zimmer zu einem Sonderpreis an. Da die Schulen des Bezirks Los Angeles vorübergehend den Unterricht strichen, entschlossen sich viele Familien, Los Angeles für die kommenden Tage zu verlassen. „Die Rauchwolken machen mir Angst, und die Luftqualität ist so mies, dass ich als Asthmatikerin ständig am Inhalator hänge“, verabschiedete sich eine Nachbarin in Santa Monica am Mittwoch vor der Fahrt nach Las Vegas.
Auch das Heulen der Sirenen der Löschzüge, die Tag und Nacht über den Pacific Coast Highway nach Westen fahren, halte sie nicht mehr aus. Ob sie keine Angst habe, ihr Haus allein zu lassen? „Wenn die Funken auf das Dach springen, ist es ohnehin vorbei“, entgegnet sie. Und das Löschwasser sei ohnehin knapp. Der Vorwurf, Los Angeles habe für den Stadtteil Pacific Palisades nicht ausreichend vorgesorgt, ist immer wieder zu hören.
Auch einige der vielen Prominenten, die Anwesen in den Palisades haben,kritisierten die Stadtpolitik. „Die Stadt Los Angeles verlangt, dass alle die Region verlassen. Aber es war kein Verkehrspolizist in Sicht, um die Stauungen zu verhindern“, beschwerte sich die Schauspielerin Sarah Michelle Gellar in sozialen Medien. Jillian Michaels, als Fitnesstrainerin der Stars bekannt, warf Bürgermeisterin Karen Bass und Gouverneur Newsom bei X, früher Twitter, Nachlässigkeit vor. „Die Bürgermeisterin ist in Ghana. Das Budget der Feuerwehr hat sie um 17 Millionen Dollar reduziert. Irgendwer hat auch die Entscheidung getroffen, die Reservoirs nicht zu füllen. Jetzt sind die Hydranten leer“, schrieb die 50 Jahre alte Kalifornierin. Ob Michaels’ und Gellars Häuser zerstört wurden, blieb vorerst offen.
Die Liste der Filmschaffenden und Musiker, die durch die Brände ihre Anwesen verloren, wird von Stunde zu Stunde länger. Die Villa, die die Schauspieler Leighton Meester und Adam Brody mit ihren beiden Kindern in Pacific Palisades bewohnten, ging ebenso in Rauch auf wie Billy Crystals Anwesen. „Das Ausmaß der Zerstörung ist kaum in Worte zu fassen. Unsere Herzen bluten für Freunde und Nachbarn, die wie wir ihr Haus durch diese Tragödie verloren haben. Jeder Zentimeter unseres Zuhauses war mit Liebe gefüllt“, schrieben der Komiker und seine Ehefrau Janice Crystal.
Auch die Villen der Schauspieler Anthony Hopkins, Miles Teller, Eugene Levy, Mandy Moore und John Goodman brannten nieder. Die Unternehmerin und Realitydarstellerin Paris Hilton trauert um ihr acht Millionen Dollar teures Strandhaus in Malibu, das sie am Bildschirm brennen sah. „So etwas sollte niemand erleben müssen“, so Hilton. Maria Shriver, Moderatorin und einst Ehefrau Arnold Schwarzeneggers, schrieb bei Instagram neben ein Video der Ruinen in Pacific Palisades: „Alles ist zerstört worden. Unsere Nachbarschaft, unsere Restaurants. Alle unsere Freunde haben alles verloren.“ Das Palisades-Feuer gilt schon jetzt als verheerendste Brandkatastrophe im Bezirk Los Angeles seit Beginn der Aufzeichnungen.
Die Villa Aurora, die der Schriftsteller Lion Feuchtwanger und seine Ehefrau Marta nach der Flucht vor den Nationalsozialisten bezogen, steht dagegen noch. Wie eine Sprecherin mitteilte, konnten sich alle Bewohner der Künstlerresidenz am Paseo Miramar in den Hügeln oberhalb des Pazifiks in Sicherheit bringen. Auch das Thomas-Mann-Haus, wie die Villa Aurora eine deutsche Kultureinrichtung, blieb bis Donnerstag von den Flammen verschont. Der Getty-Villa am Pacific Coast Highway kam das Palisades-Feuer am Mittwoch dagegen gefährlich nah. Wie die Leiterin der Stiftung J. Paul Getty, Katherine Fleming, bestätigte, hatten sich auf dem Grundstück des Kunstmuseums zwar Flammen ausgebreitet. Ein Bewässerungssystem konnte Villa und Sammlung des vor fast 50 Jahren verstorbenen Ölmilliardärs aber schützen.
Der Nationale Wetterdienst warnte inzwischen vor einer zweiten Runde der Santa-Ana-Winde, in Südkalifornien auch bekannt als „Teufelswinde“. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag könnten sie die Funken der fünf großen Brände und einiger kleinerer Feuer weiter durch die Hügel treiben, hieß es am Donnerstag. Falls der Wind entlang der Ausläufer dann auch noch die Richtung ändert, droht laut den Meteorologen Chaos.