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Fehler im Fördersystem: Projekt, das es nicht gibt, erhält Steuergeld – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Seit drei Jahren unterstützt das bayerische Kultusministerium einen Verein namens „Futurevision“, der in der Region nie öffentlich in Erscheinung getreten ist und bislang keines seiner angekündigten Projekte in Geretsried oder Wolfratshausen realisiert hat. 24 000 Euro an Steuergeld sollten in Kunstworkshops fließen, die nicht zustande kamen, 22 300 Euro in einen „Kunst- und Klimagarten Gelting“. Ob dieser jemals mehr als eine vage Vision sein wird, ist unklar. Einer ökologischen Anbaugemeinschaft der Lokalen Agenda in Gelting hat er indes den Boden unter den Füßen weggezogen.

Wer die Kleingartenanlage vom Loisach-Isar-Kanal her betritt, befindet sich zunächst in Feld zwei. Salatköpfe reihen sich neben Erbsen-, Lauch- und Kohlpflanzen, um die sorgsame Hände Schafwolle gebettet haben – zur Düngung und als Schneckenbremse.

Im krassen Gegensatz dazu präsentiert sich Feld eins. Das zur Loisach hin gelegene Grundstück auf Höhe der Geltinger Stromschnellen wirkt verlassen. Brennnesseln und Brombeerranken überwuchern die Beete. Auf dem Grundstück sollte eigentlich der Kunst- und Klimagarten Gelting blühen – das einzige Projekt im Landkreis, das in diesem Jahr aus dem Kulturfonds Bayern gefördert wird. Es ist zugleich das Stückchen Land, auf dem ökologisch Engagierte der Lokalen Agenda im Frühjahr 2001 ein großes Gemeinschaftsprojekt begannen.

„Alles war unkompliziert“, erzählt eine Frau, die zu den Gründungsmitgliedern zählte. „Wir haben Gemüse und Kräuter angebaut. Jeder ist gekommen und gegangen, wie er wollte. Dreimal im Jahr haben wir uns getroffen, um gemeinsam Dinge zu regeln, die alle betrafen. Es gab nie Streit. Bis Frau Kraus meinte, sie müsse etwas Grundlegendes ändern.“

Schafwolle statt Schneckenkorn: Feld zwei wird noch immer nach ökologischen Grundsätzen bewirtschaftet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Silke Kraus ist Vorsitzende des Vereins „Futurevision“. Den identischen Namen hat sie für ihre Unternehmensberatung in Wolfratshausen gewählt.  Auf ihrer Homepage empfiehlt sie sich als Expertin für „Bioinspiredthinking“ mit einer Leidenschaft für „mutiges Change- und Innovationsmanagement“.

Am Geltinger Loisachufer pachtete auch sie zunächst eine Parzelle.  2021 kandidierte sie als Sprecherin der Gemeinschaft, wurde aber nicht gewählt. „Da fing das Unwohlsein an“, erinnert sich eine Teilnehmerin der Versammlung. Im April 2024 dann die überraschende Nachricht: Kraus habe das Grundstück von einem Geltinger Landwirt gekauft. Wer seine Beete behalten wolle, müsse mit ihr einen neuen Pachtvertrag abschließen und sich an ihre Spielregeln halten.

„Viele haben sofort gekündigt.“

Kraus’ Strategie-Papier liegt der SZ vor. „Das Grundstück darf sich explizit zu einem lebendigen gemeinschaftlichen Projekt entwickeln“, heißt es darin. Mit Kunst- und Klimaworkshops, Impulsvorträgen und Kreativ-Workshops solle auf dem Gelände ein „Umdenken in Richtung nachhaltiger Lebens- und Wirtschaftsweisen“ gefördert werden.

Die Nutzungsgebühr pro Parzelle verdoppelte Kraus auf 120 Euro, verbunden mit dem Hinweis, dass sich jeder „im Sinne einer gemeinnützigen Schenkgemeinschaft“ mit einem höheren Spendenbetrag an Futurevision engagieren dürfe. Wer künftig nicht an den „gemeinsamen Gartenpflegeterminen“ teilnehme, habe „eine Spende in Höhe von 30 Euro an den Verein zu überweisen“.

Langjährige Mitglieder sprechen von „Strafgeld“. Sie hatten das Gefühl, ihnen werde der Boden unter den Füßen weggezogen. „Frau Kraus hat nicht gesehen, dass da schon 20, 30 Menschen waren, denen man nicht einfach etwas aufdrücken kann“, sagt eine Betroffene. „Viele haben sofort gekündigt.“

„Feld eins“ gehört nun dem Freistaat .
„Feld eins“ gehört nun dem Freistaat . (Foto: Hartmut Pöstges)

Was sie nicht wussten: Das Wasserwirtschaftsamt schaltete sich in die Verhandlungen ein und machte von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch. Kraus sagt dazu: „Ich wurde enteignet.“ Nun also gehört Feld eins dem Freistaat. Die Pachtverträge mit den verbliebenen Kleingärtnern laufen regulär bis März 2026.

Das Wasserwirtschaftsamt teilt auf Anfrage mit, das Grundstück sei „für wasserbauliche Maßnahmen zur gewässerökologischen Verbesserung der Loisach vorgesehen“.  Mit Kraus habe man eine „Zwischennutzung nach Beendigung der bestehenden Pachtverhältnisse vereinbart“.

Der Zuschuss könnte in späteren Jahren abgerufen werden

Bislang hat der Verein Futurevision nach Auskunft der Regierung von Oberbayern keine Fördergelder für den Kunst- und Klimagarten Gelting abgerufen. Der Bewilligungszeitraum ende am 30. September 2026. Kraus habe eine Verlängerung beantragt. Im Falle einer Zustimmung könnte der Zuschuss „auch in späteren Jahren abgerufen werden“, so ein Sprecher.

Gleiches gilt offenbar für einen Zuschuss in Höhe von 24 000 Euro aus dem Jahr 2022, der im Schuljahr 2022/23 in Kunstworkshops mit dem Titel „Save our Soils“ fließen sollte. Wie ein Sprecher der Regierung von Oberbayern bestätigt, ist „eine Auszahlung bislang nicht erfolgt“.

Somit sind es 46 300 Euro Steuergelder, die seit Jahren auf ihre kulturfördernde Verwendung durch den Verein Futurevision warten. Assunta Tammelleo, die in Gelting die Kleinkunstbühne „Hinterhalt“ betreibt und den Kulturverein Isar-Loisach leitet, kann sich da nur die Augen reiben. „Was ist das Ziel der öffentlichen Hand bei der Kulturförderung?“, fragt sie.

„Es gibt für die rechtsstaatliche Gesellschaft nichts Besseres, als wenn sich Bürger und Bürgerinnen gemeinnützig und ehrenamtlich engagieren, ihre Kreativität und Erfahrungen, Arbeitskraft, Know-How, Lebensfreude und Vertrauen in die Gesellschaft einbringen.“ Für aufwendige Förderanträge fehlt es ihrer Erfahrung nach den meisten Ehrenamtlichen an Zeit – „und am passenden Wording“.

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