FDP im Dilemma: Steht Lindner Merz in der Wirtschaftspolitik zu nah? – Politik | ABC-Z
Dieser Winterwahlkampf wird anders. Das kann man schon jetzt daran sehen, dass die FDP sich im politischen Eisstockschießen übt. Sie versucht, mit ihrem Wahlprogramm ein Publikum zu treffen, das sich jetzt nichts mehr wünscht als eine schwarz-gelbe Bundesregierung. Allerdings könnte wiederum CDU-Chef Friedrich Merz mit seinem Eisstock die FDP vom Feld schießen. Denn der Kanzlerkandidat zielt ebenfalls auf Wähler, die sich Wirtschaftsreformen wünschen. Und damit könnte er den Liberalen die entscheidenden Stimmen wegnehmen. Die FDP sitzt in diesem Wahlkampf somit in einer Falle: Sie muss sich programmatisch stark einer wirtschaftsliberalen CDU annähern, um die Vision einer schwarz-gelben Regierung zu nähren – darf die Positionen der Union aber nicht so sehr feiern, dass das Lob zur Wahlempfehlung der Konkurrenz wird.
Dieses Dilemma zeigte sich bei der Vorstellung des FDP-Wahlprogramms, das der Generalsekretär Marco Buschmann am Mittwoch in Berlin präsentierte. Steuern runter, Wachstum rauf, Arbeitsplätze sichern, Bürgergeld reformieren, Migrationspolitik verschärfen – bei den wichtigsten Schlagworten der Liberalen ist die Verwechslungsgefahr groß.
„Wir sind, wenn Sie in die Details schauen, ein bisschen ambitionierter.“
Die FDP sieht die programmatische Nähe als Chance, in die nächste Bundesregierung zu kommen. Denn mit SPD oder Grünen könne Merz seine Pläne nicht umsetzen, sagte Generalsekretär Buschmann: „Wenn er das ernst meint, kann gar nichts anderes anstreben als Schwarz-Gelb.“ Und zu groß sei die wirtschaftspolitische Nähe zur Union natürlich nicht, sagte Buschmann mit in Wahlkämpfen untypischer Bescheidenheit: „Wir sind, wenn Sie in die Details schauen, ein bisschen ambitionierter bei der Stoßrichtung.“ Gemeint ist natürlich: Wir wollen fast alles, was Merz wirtschaftspolitisch will – und gerne noch mehr.
Christian Lindner musste auf dem Listenparteitag der FDP in Nordrhein-Westfalen vergangenen Sonntag dann auch ziemlich in die Details schauen, um die Forderungen der FDP von denen der CDU abzugrenzen. Denn die hat unter Merz ihr Herz für Aktien entdeckt. Sie möchte Kindern ab sechs Jahren zehn Euro monatlich schenken und in Aktien investieren. „Ich finde sympathisch, auf den Kapitalmarkt zu setzen, und ich finde auch sympathisch, etwas für Kinder und Jugendliche zu tun“, sagte Lindner – aber das Steuergeld für dieses Projekt solle der Staat doch lieber in Schulen stecken. Allerdings möchten die Liberalen junge Erwachsene, die mit Aktien fürs Alter sparen, steuerlich fördern. Das kostet den Staat ebenfalls Geld. Finanznerds können stundenlang über die Unterschiede zwischen beiden Konzepten diskutieren, für alle anderen ist es bei der Wahlentscheidung wohl nur eine Nachkommastelle.
Nun ist es für eine Partei, die schon schmerzhafte Reibungserfahrung mit der Fünf-Prozent-Hürde gemacht hat, wohl zum Naturell geworden, auch auf die Nachkommastelle zu achten. Für die potenziellen Wähler der FDP mag das nicht gelten, die Unterschiede zum Wahlprogrammen der Union könnten ihnen zu klein sein. Und bei Umfragewerten von rund vier Prozent werden manche frühere FDP-Wähler wohl von allein auf die Idee kommen, dass ihre Stimmen bei der regierenden Union besser investiert sein könnten als in einer außerparlamentarischen Opposition.
Es gibt mathematische Möglichkeiten, die Schwarz-Gelb wahrscheinlicher machen. Zum Beispiel, wenn das BSW und die Linkspartei es knapp nicht in den Bundestag schaffen und es auch sonst recht viele Stimmen für kleinere Parteien gibt, die am Wahlsonntag nur die „Sonstigen“ heißen. Dann bekommen FDP und Union mehr Sitze im Bundestag und erreichen leichter eine Mehrheit. Aber zulegen müsste Schwarz-Gelb dafür auf jeden Fall noch – und zwar gemeinsam und nicht auf Kosten des anderen. Das neue Wahlrecht hilft der FDP dabei nicht. Die Union hat nichts mehr zu verschenken, seitdem nicht mehr alle Gewinner eines Wahlkreises ein Bundestagsbüro werden beziehen dürfen.
„Die Chance auf Schwarz-Gelb ist gering, das wissen die Wähler.“
„Die Chance auf Schwarz-Gelb ist gering, das wissen die Wähler“, sagt der Politikwissenschaftler Marc Debus, der an der Universität Mannheim zu Parteien und Wahlen forscht. Einen stumpfen Wahlkampf für Schwarz-Gelb könne man im heutigen Parteiensystem nicht mehr fahren. Trotzdem hält er die Ausrichtung der FDP für sinnvoll: „Die Botschaft ‚Wir sind die einzige wirtschaftsliberale Partei, die Schwarz-Rot und Schwarz-Grün verhindert‘ ist eine sinnvolle Strategie für die FDP.“ Das ziele auf koalitionsorientierte Wähler, die auf keinen Fall SPD oder Grüne in der Regierung haben wollten. Das Grundrisiko aber bleibe: „Merz ist für die klassischen FDP-Wähler eine attraktive Alternative.“
Die FDP als Aufpasser, die Schlimmeres verhindern soll: Diese Rolle würden die Liberalen auch in einer Koalition mit der CDU einnehmen, sagte Buschmann. Denn in der Christdemokratie gibt es nicht nur Wirtschaftspolitiker, die mit der FDP gemeinsame Sache machen wollten. „Das ist halt bei einer großen Volkspartei so“, sagte Buschmann: Der Chef der offiziellen Arbeitnehmer-Vereinigung der CDU, Dennis Radtke, sei so links, dass sein Vorgänger ihn über viele Jahre verhindert habe, so Buschmann. „Es gibt genug, mit der Union zu diskutieren.“ Dafür müsste aber erst mal das Wahlergebnis stimmen.