Warum geopolitische Faktoren den Euro als Weltwährung bremsen | ABC-Z

Die geopolitischen Spannungen machen auch vor der Geldpolitik nicht Halt. Vor wenigen Tagen hat sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einer Rede an der Hertie School in Berlin mit den Aussichten des Dollars als der führenden Währung der Welt befasst und Kriterien für eine bedeutendere Rolle des Euros als internationale Währung genannt. Es zeigt sich: Im Wettbewerb der Währungen zählen nicht nur ökonomische Kriterien.
Vor wenigen Jahren hat der amerikanische Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen in einer Arbeit mit zwei Co-Autoren auf einen interessanten Sachverhalt verwiesen: Die Volksrepublik China und Japan sind bedeutende Güterexporteure, aber in Japan liegt der Anteil des Dollars an den nationalen Währungsreserven deutlich höher als in China. Russland und Saudi-Arabien sind bedeutende Exporteure fossiler Energieträger, aber in Saudi-Arabien spielt der Dollar für die nationalen Währungsreserven eine bedeutendere Rolle als in Russland. Frankreich und Deutschland zählen zu den wichtigsten Wirtschaftsmächten in der Europäischen Union, aber der Anteil des Dollars in den Währungsreserven liegt in Deutschland höher als in Frankreich.
Eichengreen präsentierte eine auf den ersten Blick verblüffende Erklärung: Die Länder mit den niedrigeren Dollaranteilen in ihren Währungsreserven – China, Russland und Frankreich – sind Atommächte. Die Länder mit den hohen Dollaranteilen in ihren Währungsreserven – Japan, Saudi-Arabien und Deutschland – sind keine Nuklearmächte. Die äußere Sicherheit Japans, Saudi-Arabiens und Deutschlands hängt daher stärker vom Schutz durch die Vereinigten Staaten ab als die äußere Sicherheit Chinas, Russlands und Frankreichs. „Ein Vergleich zwischen Staaten mit Atomwaffen und Staaten, die in Bezug auf ihre Sicherheit von den Vereinigten Staaten abhängig sind, zeigt, dass die Differenz beim Anteil des Dollars an den Währungsreserven rund 35 Prozent beträgt“, schreiben die Autoren. Eichengreen spricht von der Mars-Hypothese, benannt nach dem römischen Kriegsgott Mars.
Dollar dürfte vorerst führende Währung bleiben
Die traditionelle ökonomische Erklärung für die Wahl einer Währung als Reserve zieht wirtschaftliche Qualifikationen wie die Sicherheit einer Kapitalanlage, die Liquidität in von Kontrollen freien Kapitalmärkten, die Einbindung des Emittenten der Währung in die Weltwirtschaft und Netzwerkeffekte heran. Eichengreen spricht von der Merkur-Hypothese, benannt nach dem römischen Handelsgott Merkur. Die beiden Hypothesen ergänzen sich: Die Merkur-Hypothese erklärt, warum eine Währung als Reserve und als Zahlungsmittel international geschätzt wird. Die Mars-Hypothese erklärt unterschiedliche Anteile dieser Währung in den Reserven der einzelnen Länder.
Die beiden Effekte lassen den Schluss zu, dass der Dollar als führende Währung trotz des Endes der Pax Americana so schnell nicht herausgefordert werden dürfte. Derzeit werden 58 Prozent der Währungsreserven in Dollar gehalten und 20 Prozent in Euro. Die restlichen Währungen spielen keine bedeutende Rolle; der chinesische Renminbi leidet vor allem unter Kontrollen des chinesischen Kapitalverkehrs.
Lagarde erwähnte in ihrer Rede drei Voraussetzungen für eine Zunahme des globalen Status des Euros, die wirtschaftliche mit politischen und militärischen Überlegungen verbinden. Nach ihrer Ansicht benötigt Europa neben einer glaubwürdigen geopolitische Fundierung mit einem Bekenntnis zu Freihandel und einer respektablen Ausstattung militärischer Kapazitäten eine Vertiefung des europäischen Kapitalmarkts, um mehr Kapital von außen anzuziehen sowie eine Verteidigung des Rechtsstaatsprinzips und die Bereitschaft zur politischen Einheit, um Druck von außen zu widerstehen.
Lagardes Anforderungskatalog für eine zunehmende Bedeutung des Euros klingt anspruchsvoll. Er verdeutlicht, wie sehr in Abwesenheit eines Hegemonen geopolitische Überlegungen wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen. Vorbereitet auf eine solche Herausforderung hat sich Europa nicht, wie alleine die langen und letztlich fruchtlosen Debatten über eine Kapitalmarktunion belegen.
Der ehemalige belgische Premierminister Mark Eyskens sagte vor mehr als dreißig Jahren: „Europa ist wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg und militärisch ein Wurm.“ Seitdem hat Europa wenig getan, um eine bessere Balance zwischen Wirtschaftskraft, politischem Einfluss und militärischen Kapazitäten herzustellen. Strategisches Denken ist in den vergangenen Jahrzehnten ein zu knappes Gut in Europa gewesen.