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Familienpolitik: Mutterschutz nach früher Fehlgeburt? „Braucht Schutzraum, um das zu verarbeiten“ | ABC-Z

Bisher haben Frauen nur Anspruch auf Mutterschutz nach einer Fehlgeburt, wenn diese nach einer bestimmten Zeit erfolgt ist oder der Fötus ein bestimmtes Gewicht aufweist. Die Ampel-Koalition ist sich im Grundsatz einig, das ändern zu wollen. Doch die SPD koppelt das an weitere familienpolitische Vorhaben.

Dass Natascha Sagorski einmal PR-Managerin war, ist ihrer Kampagne anzumerken. Bei ihrer Initiative für einen Mutterschutz nach Fehlgeburten machen Prominente wie die Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes oder das Model Marie Nasemann mit, eine Agentur hat pro bono Plakate gestaltet, ein LED-Truck mit der Aufschrift „Leere Wiege = Volle Arbeitskraft?“ fährt durch die Straßen. Und im Regierungsviertel hat Sagorski, die nach einer traumatischen Fehlgeburt zur Aktivistin wurde, eine überdimensionale leere Wiege aufbauen lassen, vor der an diesem sonnigen Mittwochmorgen Familienpolitiker aller Couleur posieren.

Die Botschaft ist klar: Nach einer erfolgreichen Petition, die mehr als 50.000 Menschen unterschrieben haben, nach mehreren Anhörungen im Bundestag und einem Entschließungsantrag des Bundesrates stößt die Einführung eines Mutterschutzes für Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben, parteiübergreifend auf Zustimmung. „Eine so günstige und einfache Gesetzesänderung, die alle wollen, darf einfach nicht scheitern“, appelliert Sagorski. Ihre Idee: Ein „gestaffelter Mutterschutz“ von zwei bis zwölf Wochen, abhängig davon, in welchem Stadium der Schwangerschaft eine Frau ihr Kind verloren hat.

Nach derzeitiger Gesetzeslage haben Frauen tatsächlich erst Anspruch auf Mutterschutz, wenn sie ihr Baby nach der vollendeten 24. Schwangerschaftswoche tot geboren haben oder der Fötus mindestens 500 Gramm wiegt. Verlieren sie ihr Baby vor dieser Zeit, müssen sie sich beim Arzt um eine Krankschreibung bemühen.

Doch längst nicht alle Mediziner hätten Verständnis für die körperlichen Nachwehen und die seelischen Schmerzen, die durch das vorzeitige Ende einer oft lang ersehnten Schwangerschaft ausgelöst werden können, erzählt Daniela Nuber-Fischer von der Münchner Sternenkindersprechstunde. „Manche sagen auch: Es tut Ihnen gut, wenn Sie gleich wieder arbeiten gehen.“ Sie selbst habe ihr Kind in der 21. Woche tot zur Welt gebracht und sich anschließend sagen lassen müssen, das sei keine Geburt gewesen, da das Kind, das sie im Arm gehalten hat, zu leicht gewesen sei. „Dieselbe Erfahrung machen Mütter, die ihr Kind in der 14. oder 17. Woche verlieren.“

Eine Fehlgeburt müsse nicht per se psychische Folgen haben, sagt Nuber-Fischer. „Aber es braucht einen Schutzraum, um das Erlebnis zu verarbeiten.“ Laut einer Studie der Krankenkasse IKK Südwest entwickeln 60 Prozent der betroffenen Frauen Depressionen.

Woran die Umsetzung bei der Ampel hakt

Wieviel Zeit es braucht, um zu heilen, sei sehr individuell, sagt auch Kirsten Kappert-Gonther, Grünen-Abgeordnete sowie Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. „Das Erlebnis muss individuell verarbeitet werden.“

Innerhalb der Ampel sei man sich einig, dass man die Idee eines gestaffelten Mutterschutzes aufgreifen will, sagt die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Leni Breymaier – am liebsten im Paket mit der ebenfalls breit unterstützten Einführung eines Mutterschutzes für Selbstständige und der im Koalitionsvertrag versprochenen zweiwöchigen bezahlten Väterfreistellung nach der Geburt, die sogenannte Familienstartzeit. „Wir wollen diese drei Projekte zusammenbinden und möglichst noch in dieser Legislatur verabschieden“, sagt Breymaier.

Allerdings: Vor allem bei der Familienstartzeit steht die FDP bislang auf der Bremse. Nach den Plänen von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) soll die Väterfreistellung im Mutterschutzgesetz geregelt und über die sogenannte Umlage U2 bezahlt werden. Über dieses von den Arbeitgebern bezahlte solidarische Umlageverfahren werden die finanziellen Belastungen der Betriebe aus dem gesetzlichen Mutterschutz ausgeglichen.

Die FDP will aber in der derzeitigen Rezession weitere Belastungen der Firmen vermeiden. „Wenn die Wirtschaft wieder ins Rollen kommt, können wir all diese Dinge umsetzen“, sagt die frauenpolitische Sprecherin der Liberalen, Nicole Bauer. „Bisher sind die Positionen beim Väterurlaub allerdings verhärtet.“ Sie spricht sich deshalb dafür aus, das Mutterschutzthema auszukoppeln.

Eine Position, die auch die oppositionelle CDU vertritt. „Wenn der Mutterschutz separat zur Abstimmung gestellt würde, ginge das schnell durch“, sagt die familienpolitische Sprecherin Silvia Breher (CDU). „Es macht keinen Sinn, das an Projekte zu knüpfen, bei denen man sich nicht einig ist.“

Noch keine Einigung gibt es zudem darüber, wie der gestaffelte Mutterschutz ausgestaltet werden soll. Im Koalitionsvertrag hatte man sich bereits darauf geeinigt, die Grenze, ab der Mutterschutz gewährt wird, von der 24. auf die 20. Schwangerschaftswoche vorzuziehen. Nun will man die Frist noch früher beginnen lassen, etwa ab der 14. Woche. Einen Konsens darüber gibt es aber noch nicht.

Eine Rolle spielt dabei auch die Diskussion über die Legalisierung von Abtreibungen. Einerseits Schwangerschaftsabbrüche innerhalb einer bestimmten Frist zu erlauben, im selben Zeitraum aber bei Fehlgeburten Mutterschutz zu gewähren, dürfte schwer zu begründen sein. Einen Mutterschutz schon nach frühen Fehlgeburten, wie Sagorski ihn sich wünscht, wird es daher wohl nicht geben.

Politikredakteurin Sabine Menkens ist bei WELT zuständig für die Themen Familien-, Gesellschafts- und Bildungspolitik.

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