Stil

Fahrradhelm-Trend: Ein Mode-Accessoire mit Lebensretter-Funktion | ABC-Z

Der Fahrradhelm ist so etwas wie die Handtasche der Fahrradfahrer. Man zeigt ihn, will gesehen werden. Farbe und Form werden nicht dem Zufall überlassen. Der Helm muss zum Style passen, manchmal sogar zum Rahmen des Rades. Ein Mode-Accessoire mit Lebensretter-Funktion. Das zumindest sagt Nico Thomas. Und der muss es wissen. Er übernimmt seit Jahren für den Outdoor-Ausrüster Globetrotter den Einkauf der Fahrradhelme – und stattet somit auch viele Radfahrer in Frankfurt und Umgebung mit Kopfschutz und -schmuck aus.

Thomas’ Aufgabe ist es, Trends früh zu erkennen. Einen, sagt er, könne man nicht mehr aufhalten: den Trend, überhaupt einen Helm zu tragen. Und zwar nicht mehr nur dann, wenn in voller Sportmontur auf Rennrad oder Mountainbike gestiegen wird, sondern auch auf kurzen Strecken durch den Stadtverkehr.

Thomas sieht diese Beobachtung nicht nur in den Verkaufszahlen bestätigt, sondern auch in einer Langzeitstudie der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Helmtragequote unter Radfahrern in Deutschland hat sich dieser Studie zufolge in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich erhöht. Während im Jahr 2004 nur rund sechs Prozent der Radfahrerinnen und Radfahrer freiwillig einen Helm trugen, lag dieser Anteil 2009 bei elf Prozent. In den Folgejahren setzte sich dieser Trend fort: Bis 2016 stieg die Quote auf etwa 20 Prozent. Im Jahr 2023 erreichte sie mit 44 Prozent einen neuen Höchststand. Auffällig dabei: Pedelec-Nutzer lagen mit 65 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.

Ein Sicherheitsversprechen in schickem Matt

Nico Thomas überrascht das alles nicht. Im Gegenteil. Der Helm-Markt, so sagt er, werde in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Der 51 Jahre alte Produktmanager beobachtet diesen ganz genau und versucht, regionale Besonderheiten zu identifizieren und mit den passenden Produkten darauf zu reagieren. In urban geprägten Regionen sei in den vergangenen Jahren die hohe Nachfrage nach einem Helmsystem der schwedischen Firma Hövding auffällig gewesen. Diese Alternative zum klassischen Helm verspricht einen Rundumschutz, ohne beispielsweise die sorgfältig gegelte Bürofrisur zu zerstören. Das Airbag-System wird wie eine Art Halskrause getragen. „Die urbane Kundschaft hat sich darum gerissen“, sagt Thomas.

Dennoch musste das Unternehmen 2023 Insolvenz anmelden. Der Hauptgrund war ein Verkaufsverbot für das Modell Hövding 3, das von der schwedischen Verbraucherschutzbehörde aufgrund von Sicherheitsmängeln verhängt wurde. Der Airbag löste nicht verlässlich aus. Daraufhin brach der Umsatz ein, der entstandene Imageschaden wird als weiterer Grund für die Insolvenzanmeldung genannt.

Schon bald soll aber ein neues Produkt mit Airbag-Technologie auf den Markt kommen. Thomas steht schon bereit, um die Bestellungen aufzugeben. Er will immer die neuesten Entwicklungen anbieten, wie aktuell etwa Helme, die mit integriertem Blinker oder Bremslicht ausgestattet sind, oder solche, die das sogenannte MIPS-System enthalten. Durch eine sich beim Aufprall verschiebende Zwischenschicht im Helm sollen die auf das Gehirn wirkenden Rotationskräfte abgemildert werden. Egal, mit welcher Zusatzfunktion die Helme ausgestattet seien, die meisten seien aktuell in matten Farbtönen gehalten. „Glänzend ist out“, sagt Thomas.

Helm? Gab es früher auch nicht!

Ambitionierten Sportlern, erzählt der Einundfünfzigjährige weiter, gehe es schon längst nicht mehr nur um die Passform und das Gewicht des Helms, sondern zunehmend auch um das Design. Denn wer ein teures Rad fahre, der spare selten am Outfit. Alles müsse zueinander passen. „Sie wollen eine Bella figura machen. Der Helm muss schick sein.“

Er, der oft auf den Verkaufsflächen unterwegs ist, um zu sehen, wie die Produkte von den Kunden angenommen werden, nimmt eine Zielgruppe zunehmend als besonders heterogen wahr: die der Generation 65+. Da gebe es diejenigen, die sich mit dem Kauf eines E-Bikes auch selbstverständlich für einen Helm entschieden und ein „gewisses Verständnis für die Geschwindigkeit und das Risiko mitbringen“. Und dann gebe es eben auch die anderen, die mit einer Verweigerungshaltung das Projekt „Helmkauf“ angehen.

„Sie sind manchmal relativ stur“, sagt er. Helm? Gab es früher auch nicht! Dass sie sich überhaupt beraten ließen, gehe meist auf die Initiative der eigenen Kinder oder Enkelkinder zurück. Und auch das ist eine Beobachtung, die Thomas in den vergangenen Jahren gemacht hat: Viele derer, für die das Tragen eines Helmes schon als Kind gelebte Praxis war, wollen auch für die eigenen Kinder gute Vorbilder sein. Für sie gehört der Helm – egal, ob bei einer Radtour oder für den kurzen Weg zum Bäcker – selbstverständlich dazu.

Das neue Selbstverständnis wird also von Generation zu Generation weitergegeben. Nur in der Jugendphase, so Thomas, falle es zunehmend schwer, mit dem Argument der Sicherheit für das Tragen eines Helms zu werben. Laut der Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen trugen im Jahr 2021 etwa 80 Prozent der Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren beim Radfahren einen Helm. Im Alter zwischen elf und 16 Jahren sank diese Quote auf 38 Prozent.

„Der Helm ist wie die Signatur eines Fahrers“

Er und seine Kollegen versuchen in dieser Phase vermehrt die Style-Schiene zu bedienen. „Jeder will ja ein bisschen Individualismus zeigen.“ Viele Anbieter geben besonders bei Kinder- und Jugendhelmen Sticker mit, um den jungen Fahrern die Möglichkeit zu geben, den Helm nach eigenen Vorstellungen optisch von der Masse abzuheben.

Der Frankfurter Christian Möhring hat sich genau dieser Grundidee verschrieben. Er will generationenübergreifend mehr Helme auf die Straße bringen, und zwar möglichst bunte. Sein Unternehmen Helmade richtet sich an die „vielen Individualisten“ da draußen, wie er sagt. Angefangen hat das Frankfurter Unternehmen mit individuellen Lackierungen von Motorrad- und Motorsporthelmen.

„Der Helm ist wie die Signatur eines Fahrers“, sagt er. Die Idee, das Angebot auch auf Fahrradhelme auszuweiten, lag für Möhring auf der Hand. Denn Fahrradfahrer, so sagt er, seien unter allen Helmträgern wohl mit die größeren Individualisten. Manch ein Kunde wolle seinen Helm passend zum Rahmen des Rades lackiert bekommen – oder umgekehrt. Beides machen Möhring und seine Kollegen möglich.

Vom Lebensretter zum Styleobjekt

Für individuelle Designs von Fahrradhelmen hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Firma KED, einem deutschen Helmproduzenten, ein eigenes Verfahren entwickelt. Die Kunden können auf der Website ihr eigenes Helmdesign erstellen – Vorlagen helfen dabei. Dieses wird dann auf das Material gedruckt und anschließend in Form gebracht, wie der Vierundvierzigjährige erläutert. Jeder Helm sei somit ein Einzelstück – auch komplett eigene Vorlagen können verarbeitet werden. „Der Helm ist mittlerweile weitaus mehr als nur ein Lebensretter. Er ist zum Styleobjekt geworden“, sagt Möhring.

Dem stellvertretenden Ärztlichen Direktor der BG Unfallklinik in Frankfurt, Uwe Schweigkofler, ist dagegen egal, wie ein Helm aussieht. Hauptsache, er wird getragen. Der Unfallchirurg hat schon viele Menschen nach schweren Radstürzen behandelt. „Ein Helm verhindert eine Verletzung nicht gänzlich. Sie wird aber oft etwas abgemildert“, sagt er. Schweigkofler hofft, dass das Tragen eines Fahrradhelmes bald ebenso selbstverständlich wird wie beim Skifahren – auch ohne Helmpflicht.

Auf den Skipisten seien Menschen, die „oben ohne“ fahren, schon seit einigen Jahren die Ausnahme. „Der Helm schützt das Gehirn“, hebt Schweigkofler, der in den vergangenen 40 Jahren im Rettungsdienst und in der Notfallversorgung die Folgen vieler schwerer Radunfälle mit und ohne Helm gesehen hat, hervor. Er sagt: „Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, der gegen einen Helm spricht.“

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