Fahrplan zur Freilassung der Geiseln: Trump reist an | ABC-Z

Gut zwei Jahre nach dem Oktober-Massaker und dem Beginn des Gaza-Kriegs warten Angehörige, Freunde und ganz Israel gebannt auf die Rückkehr der letzten Geiseln aus dem Gazastreifen. Die islamistische Hamas hat im Rahmen des von US-Präsident Donald Trump vorgelegten Plans für einen dauerhaften Frieden die Übergabe aller verbliebenen Geiseln in ihrer Gewalt angekündigt. Die Frist hierfür endet am Montag. Noch am selben Tag will sich Trump mit Angehörigen der Geiseln treffen, eine Rede im israelischen Parlament halten und dann zu einer „Nahost-Friedenszeremonie“ in Ägypten weiterreisen, wie das Weiße Haus mitteilte.
Aus Hamas-Quellen hieß es, die Palästinenserorganisation und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) würden ab Sonntag damit beginnen, die noch lebenden Geiseln – nach israelischen Angaben sind es 20 – bis zum frühen Montagmorgen an vereinbarten Punkten zusammenzubringen, bevor sie freigelassen werden. Die Rückkehr soll vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ohne öffentliche Zeremonie und ohne Medien organisiert werden, nachdem der Hamas mehrfach die propagandistische Inszenierung früherer Geisel-Freilassungen vorgeworfen worden war. Außerdem sollen die sterblichen Überreste 27 weiterer Geiseln aus Israel und eines schon 2014 getöteten israelischen Soldaten übergeben werden.
Im Gegenzug muss Israel gemäß Abmachung knapp 2.000 inhaftierte Palästinenser freilassen – darunter bis zu 250 Gefangene, die wegen Terrorangriffen zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Die genaue Zahl dieser verurteilten Palästinenser und ihre Namen wurden zunächst nicht bekanntgegeben.
Trump darf auf starke Bilder hoffen
Obwohl nicht absehbar ist, ob das Abkommen angesichts des tiefen Misstrauens zwischen den Konfliktparteien wirklich Bestand haben wird, verbuchte Trump die vorläufige Einigung bereits als historischen Erfolg für sich. Am Sonntagnachmittag (Ortszeit) will er von Washington in Richtung Nahost aufbrechen, wo er auf symbolträchtige Bilder hoffen kann.
Jubel für Trump, Buh-Rufe für Netanjahu
Bei einer Großkundgebung der Organisation der Geisel-Angehörigen in der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv bezeichnete Trumps US-Sondergesandter Steve Witkoff die Rolle des Präsidenten als entscheidend für die erzielten Fortschritte. „Wir alle sind Präsident Trump zu tiefstem Dank verpflichtet“, sagte er sichtlich bewegt. Viele der Teilnehmer – nach Angaben der Organisatoren rund 400.000 – jubelten und riefen in Sprechchören „Danke, Trump“.
Als Witkoff jedoch den Namen des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu erwähnte, ging seine Rede zeitweise in einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert und Buhrufen unter. Viele Angehörige und Freunde der Geiseln werfen Netanjahu vor, nicht genug für die Freilassung der Verschleppten getan zu haben, weil ihm politische Motive wichtiger waren als ihr Schicksal.
Zeremonie in Ägypten
Noch vor seiner Rede im israelischen Parlament will Trump sich am Montagvormittag mit Familien der Geiseln treffen, teilte das Weiße Haus mit. Anschließend werde er in den ägyptischen Küstenort Scharm el Scheich weiterreisen, wo um 14.30 Uhr (Ortszeit) die Zeremonie anlässlich der Unterzeichnung des Gaza-Abkommens stattfinde. Das ägyptische Außenministerium kündigte ihn und Staatschef Abdel Fattah al-Sisi als Vorsitzende eines „internationalen Gipfeltreffens“ an. Die Hamas nehme an der geplanten Zeremonie nicht teil, „nur die Vermittler sowie amerikanische und israelische Regierungsvertreter werden anwesend sein“, hieß es aus Kreisen der Islamisten. Schon die Verhandlungen waren indirekt über Vermittler geführt worden.
Keine drei Stunden später soll Trump dann schon wieder im Flieger nach Washington sitzen.
Palästinenser in Ruinen und Ödland
Während sich die Angehörigen in Israel in einem Schwebezustand aus Hoffnung auf Rückkehr der Lebenden und Trauer über die zu erwartenden Toten befinden, ist die Lage für die Palästinenser im von Israel abgeriegelten Gazastreifen verzweifelt. Hunderttausende müssen nach zwei Jahren Krieg in einer zu weiten Teilen zerstörten, vermutlich von Blindgängern übersäten Trümmerlandschaft klarkommen, in der sie nur durch dauerhafte Hilfe von außen überleben können.
Seit Beginn der Waffenruhe sollen laut dem von der Hamas kontrollierten Zivilschutz bereits mehr als 200.000 Menschen aus dem Süden des Gazastreifens in die weitgehend zerstörte Stadt Gaza im Norden zurückgekehrt sein. Vielen von ihnen dürfte es wie dem bekannten palästinensischen Arzt Essideen Schebab ergangen sein.
Arzt: Hamas kroch in Tunnel, wir waren schutzlos
„Seit dem frühen Morgen befinden sich meine Familie und ich in einem Zustand des völligen psychischen Zusammenbruchs“, schrieb der Mediziner, der durch seine Berichte aus dem Kriegsgebiet bekannt wurde, auf X. „Heute haben wir erfahren, dass unsere Häuser, unser Land und unsere gesamte Nachbarschaft, jedes Haus unserer Familie und unserer Nachbarn, vollständig ausgelöscht wurden.“ Alles sei wie von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht, zu einer öden Fläche aus gelbem Staub platt gedrückt worden.
Die Hamas habe den Krieg vom Zaun gebrochen, schrieb Schebab. Und dann hätten sich die Islamisten vor den israelischen Angriffen in die Tunnel unter dem Gazastreifen verkrochen, während die Zivilbevölkerung der „vollen Grausamkeit der israelischen Armee“ ausgesetzt gewesen sei.
Riesige Hürden vor „ewigem Frieden“
Auch wenn vielfach von einem „Durchbruch“ die Rede ist: Vor dem von Trump beschworenen „ewigen Frieden“ für die Region liegen noch riesige Hürden. Zwar soll dem Austausch der Geiseln gegen Häftlinge nach dem 20 Punkte umfassenden Plan Trumps eine weitere Verhandlungsphase mit dem Ziel einer dauerhaften Beilegung des jahrzehntealten israelisch-palästinensischen Konflikts folgen. Doch diese Verhandlungen dürften äußerst schwierig werden.
Die Positionen beider Seiten könnten kaum weiter auseinanderliegen. Die Hamas spricht Israel weiterhin das Existenzrecht ab, Netanjahu und seine rechtsextremen Regierungspartner wollen die Organisation restlos zerschlagen.
Die Hamas lehnt ihre in Trumps Friedensplan vorgesehene Entwaffnung und eine auch nur vorübergehende ausländische Aufsicht über den Küstenstreifen ab. Zudem gibt es bisher keine Garantie dafür, wie und wann sich Israels Armee ganz aus dem Gazastreifen zurückzieht.
Viele Israelis gegen Zweistaatenlösung
Gemäß dem Friedensplan haben sich die israelischen Streitkräfte mittlerweile auf eine vorher vereinbarte Position zurückgezogen. Sie halten damit aber noch immer etwas mehr als die Hälfte des Küstenstreifens besetzt. Regierungschef Netanjahu droht, der jüdische Staat werde den Krieg wieder aufnehmen, wenn die islamistischen Terroristen nicht entwaffnet werden.
Netanjahu lehnt auch die ebenfalls vorgesehene spätere Verwaltung des Gazastreifens durch die Palästinensische Autonomiebehörde aus dem Westjordanland kategorisch ab. Und die in Trumps Plan angedeutete Möglichkeit eines Palästinenserstaates ist nicht nur für den israelischen Ministerpräsidenten völlig inakzeptabel, sondern wird auch von vielen seiner Landsleute abgelehnt.
Reist Merz ebenfalls an?
Bundeskanzler Friedrich Merz könnte anlässlich der Einigung ebenfalls nach Ägypten kommen. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, der CDU-Chef habe die Einladung von Staatschef al-Sisi dankend entgegengenommen. Offiziell bestätigt wurde eine Reise des Kanzlers bisher aber nicht. Dafür haben andere Spitzenpolitiker ihr Kommen fest angekündigt, darunter UN-Generalsekretär António Guterres und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
UN-Helfer: Genug Lebensmittel für zwei Millionen Menschen
Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen rief die israelische Regierung auf, rasch weitere Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen zu ermöglichen. Das WFP habe als größte humanitäre Organisation der Welt genügend Lebensmittel in der Region, um die gut zwei Millionen Menschen im Gazastreifen für bis zu drei Monate zu versorgen – wenn Israel vollen Zugang gewährt. Lastwagen aus Ägypten, Jordanien und dem von Israel besetzten Westjordanland seien unterwegs, berichtete die UN-Organisation.
Im Rahmen der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sollen die Hilfslieferungen in den Gazastreifen deutlich ausgeweitet werden. Nach Angaben aus Hamas-Kreisen sollen in der ersten Phase pro Tag rund 600 Lastwagen mit Hilfsgütern einfahren – doppelt so viele wie zuvor.





















