Experten erklären – Darobig dürfen Sie noch Witze machen | ABC-Z
Berlin. Mockridge wirft mit Witzen über Paralympics-Athleten einmal mehr die Frage auf: Wie weit darf Humor gehen? Zwei Comedy-Experten im Gespräch.
Die Paralympischen Spiele in Paris sorgten weltweit für Begeisterung. Die Athleten stellten zahlreiche Weltrekorde auf und zeigten eindrucksvoll, dass das Niveau im Behindertensport über die vergangenen Jahre weiter zugenommen hat. Doch einer zeigte sich von ihrem Erfolg unbeeindruckt und nutzte die Gelegenheit, sich mit derben Witzen über die körperlichen Einschränkungen der Paralympics-Athleten lustig zu machen: Comedian Luke Mockridge.
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Im Podcast „Die Deutschen“ mit den Hosts Shayan Garcia und Nizar Akremi sorgte Mockridge für heftige Lachanfälle bei seinen beiden Kollegen – und einen noch heftigeren Shitstorm im Netz. Kostprobe: Bei den Paralympics würden Menschen, so Mockridge, ohne Arme und Beine ins Becken geworfen und „derjenige, der als Letzter ertrinkt, gewinnt“. Es ist ein Skandal, der einer alten Diskussion neuen Zunder gibt: Was darf Humor – und wo hört er auf?
Mockridge-Skandal: Umdenken in der Comedy-Szene – Sie machen es vor
An dieser Frage haben sich schon die ganz großen abgearbeitet: Mit Anke Engelke entschuldigte sich 2020 eine der bekanntesten Comediennes Deutschlands für frühere Rollen. „Ricky“ aus der Wochenshow sowie einige Figuren aus ihrer Serie „Ladykracher“, etwa Asiatinnen, würde sie heute nicht mehr spielen, sagte Engelke. „Ich bin heute nicht empört über mich, aber traurig, dass ich damals nicht gesehen habe, dass das nicht in Ordnung ist“, erklärte die mittlerweile 59-Jährige.
In der Show „Walulis Woche“ im SWR sprachen, ebenfalls 2020, die Comedians Kaya Yanar und Bernhard Hoecker über frühere Rollen. „Natürlich war auch schon 2006 das Blackfacing nicht in Ordnung“, betonte Hoecker und stellte in Frage, ob man sich „diese Sachen von früher“ mit dem Wissen von heute noch unbedarft ansehen könne. Auch Yanar geht kritisch auf Sketche ein, in denen er sich schwarz oder dunkel schminkte. „Diese ganze Diskussion, die finde ich großartig. Die zwingt uns Komiker dazu, zu reflektieren“, sagte er.
Das sagen Comedy-Autoren zum Mockridge-Skandal
Charlotte und Ralf Wolff stehen seit 2010 als Improvisationskünstler gemeinsam auf der Bühne. Als Comedy-Autoren (unter anderem für Kaya Yanar oder Harald Schmidt) sind sie erfolgreich. Wie sie den Fehltritt von Luke Mockridge beurteilen, erklären sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Bei dem Skandal gehe es um viele Emotionen, sagt Ralf Wolff. „Und alle Seiten bemühen sich, diese Emotionen hochzuhalten.“
Kritisch beurteilt das Paar das Entschuldigungsvideo von Shayan Garcia und Nizar Akremi. Darin erwecken die Hosts den Anschein, als würden sie aufgrund des Skandals ihren Podcast nicht mehr betreiben, um sich dann als Opfer der „Cancel Culture“ hinzustellen. „Da denkt man: Euch geht es nicht darum, zu deeskalieren, sondern noch einmal ordentlich Öl in die Flammen zu gießen und Krawall zu machen“, sagt Charlotte Wolff.
„Normalerweise entschuldigt man sich“
Für Ralf Wolff gibt es keine Diskussion: In der Form mache man keine Witze über Behinderte. Die Podcast-Folge blieb auch nicht ohne Folgen. Sat.1 strich die neue Show mit Mockridge, außerdem sagten viele Veranstalter seiner aktuellen Tour Auftritte ab. „Normalerweise entschuldigt man sich, sucht den Dialog und dann ist die Sache auch gegessen, aber das passiert halt nicht“, wundert sich Ralf Wolff über Mockridges Verhalten. Seine Ehefrau findet indes verwunderlich, dass die Passage aus dem Podcast nicht herausgeschnitten wurde.
Ralf Wollf steckt als Autor hinter dem erfolgreichen Charakter „Alfons“ (Emmanuel Peterfalvi), mit dem er den Deutschen Kleinkunstpreis 2020 gewonnen hat. Hinter seiner Arbeit stecke eine gewisse Ethik, und die verbiete eben „bestimmte Sachen“. Die Streichung von Mockridges Sat. 1-Sendung sowie die Absage weiter Teile der Tour ordnet er folgendermaßen ein: „Es ist klar, dass die Veranstalter nicht verpflichtet sind, ihm eine Bühne zu geben, wenn sie nicht wollen.“
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Mitleid mit Mockridge hat er nicht: Wenn er meine, das sei seine Art von Humor, „dann soll er das durchziehen und schauen, dass er das Publikum dafür findet“. Ehefrau Charlotte sieht den Fall mit einer gehörigen Portion Sarkasmus: „Das war verunglimpfend und echt nicht toll, aber wenn es Leute gibt, die über verunglimpfende Witze über Behinderte lachen wollen – dann viel Spaß.“
Comedian setzt große Hoffnung auf Nachwuchstalente
In Deutschland dürfe man über alles, was sich im legalen Bereich bewegt, Witze machen, „das ist doch klasse“, sagt Charlotte Wolff. „Hier kannst du alles machen – aber du musst dann damit leben, wenn die Leute sagen: Das finde ich nicht gut.“ Doch bei aller Kunstfreiheit: In Sachen Comedy, Humor und Kabarett habe sich „die Gesellschaft drumherum und die Wahrnehmung“ geändert, beobachtet ihr Mann. „Ich finde es positiv, dass wir sensibler geworden sind. Es macht zwar alles anstrengender, du musst mehr Arbeit reinstecken, mehr diskutieren und erklären, aber ich denke, das ist eine Phase, durch die wir durch müssen.“
Im privaten Umfeld komme es auch durchaus vor, dass über kontroverse Witze diskutiert werde. „Wir scheuen keine Diskussion, wenn uns mal etwas gegen den Strich geht, oder versuchen dann, mit Humor dagegen zu gehen“, so Ralf Wolff. Seine Frau betont: „Es ist einfach super wichtig, dass du zu deiner Meinung stehst.“
Comedy insgesamt werde immer „demokratischer, dadurch, dass quasi jeder Videos hochladen und seine Meinung sagen kann. Das heißt, es werden hoffentlich viele Nachwuchstalente dazukommen, die ihre Meinung äußern, viele Menschen ansprechen und auch Unterstützung geben. Es hilft dir immer, zu merken, dass Leute über das gleiche lachen wie du selber. Da wird den großen Medien viel Macht genommen und zurück ins Volk gegeben“, erklärt Charlotte Wolff.
Ehemann Ralf betont die Macht von Comedy und Kabarett. Eine einzige Person auf der Bühne könne eine ganze Menge bewirken. Dieses Bewusstsein müsse wieder präsent werden. „Ich hoffe, dass viel Nachwuchs kommt, dem bewusst ist, was man mit diesem Medium, diesem Werkzeug, erreichen kann.“ Plumpe Witze auf Kosten von Behinderten: Die braucht es da sicher nicht.