Experte zu Witkoff in Moskau: “Die Europäer sind sehr, sehr wichtig” | ABC-Z

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Der US-Sondergesandte Witkoff hat in Moskau mit Kremlchef Putin gesprochen. Doch im Zweifel könne es darauf ankommen, wie europäische Hauptstädte sich zur Ukraine positionieren, sagt Politikwissenschaftler Driedger.
tagesschau24: Welche Erwartungen darf man haben an das Treffen in Moskau? Wie real ist denn die Chance, dass tatsächlich die Waffen zum Schweigen gebracht werden durch diesen Vorstoß der US-Regierung?
Jonas Driedger: Meiner Einschätzung nach kann das, was jetzt gerade passiert, durchaus ein Baustein sein auf einem Weg zu einem – sagen wir mal – Waffenstillstand, der diesen Namen auch verdient. Denn die Trump-Administration hat – anders als die Biden-Administration – überhaupt die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass es einen Frieden geben kann. Jenseits der Erfüllung von ukrainischen Maximalforderungen, die wohl damals auch schon unrealistisch waren.
Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass mit Trump ein sehr unsteter, sehr unstrategischer Mensch dieses Amt bekleidet. Und dadurch bin ich sehr vorsichtig mit Vorhersagen, dass wir jetzt die große Wende in dem Krieg sehen werden. Aber es gibt auch Grund für Optimismus.
Zur Person
Jonas Driedger ist Politikwissenschaftler. Er forscht im Programmbereich Internationale Institutionen am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) in Darmstadt.
Wahrnehmung des Krieges würde sich in Russland verändern
tagesschau24: Auf jeden Fall ist es ein Impuls in Richtung Frieden aus Washington. Gleichzeitig sind zum Beispiel die Europäer außen vor. Also wie rund ist die Strategie hinter diesem Vorstoß?
Driedger: Es ist ein Grundproblem, das die Trump-Administration schon seit dem ganzen Jahr vor sich hertreibt, dass man versucht, alles selbst und in Einzelgesprächen zu erledigen. Dafür gibt es, wenn man es sinnvoll anwendet, ein paar Pro-Argumente. Das Problem ist, dass dadurch konstant an das russische Regime signalisiert wird: Wenn die Umstände sich ein bisschen ändern, wenn sich die Eindrücke in Washington ein bisschen ändern, dann wird es vielleicht wieder möglich sein, über die Amerikaner zu versuchen, die Europäer und die Ukrainer an die Kandare zu kriegen.
Das ist unrealistisch. Aber natürlich nährt das diese Hoffnung. Und das ist ganz charakteristisch für Konfliktsituationen wie diese. An dieser falschen russischen Hoffnung müsste man ansetzen mit mehr Konsistenz und mehr Einigkeit innerhalb des westlichen Lagers.
tagesschau24: Putin verkündet Geländegewinne und zementiert damit seine starke Verhandlungsposition. Lohnen sich da aus Ihrer Sicht überhaupt große Erwartungen an dieses Treffen mit dem US-Sondergesandten Witkoff?
Driedger: Also das Erste, was man da machen muss, ist: nicht dem russischen Framing anheimfallen. Das ist ein taktisch relevanter Sieg, den die russischen Streitkräfte da gewonnen haben. Aber die Prozentteile von ukrainischem Gebiet, das die russischen Streitkräfte kontrollieren, ist in den letzten Jahren ungefähr bei 20 Prozent gewesen. Sie sind immer noch ungefähr bei 20 Prozent. Das sind im Großen und Ganzen minutiöse Ereignisse.
In Gelände lassen sich die Fortschritte nicht messen. Viel wichtiger ist, dass wir ein paar Hinweise darauf haben, dass das russische Regime anfängt, diesen Krieg auch als einen Schmerz und als eine Bedrohung für die eigenen Regime-Pfeiler wahrzunehmen und auch Zeichen sendet, dass es mitunter vielleicht bereit ist, von Maximalforderungen zurückzugehen. Und darauf muss man sich konzentrieren.
“Der russischen Wirtschaft geht es katastrophal”
tagesschau24: Woran machen Sie das fest? Schwächelt die russische Wirtschaft besonders unter den Sanktionen oder welche Anzeichen sehen Sie?
Driedger: Der russischen Wirtschaft geht es katastrophal, in der Tat. Das ist aber eine mittel- und langfristige Entwicklung. Nur ist das mittlerweile so vorangeschritten, dass jetzt auf der russischen Seite beispielsweise Mehrwertsteuern massiv erhöht werden. Das ist in jedem Land sehr unpopulär – auch in Russland. Und wir wissen über das russische Regime aus Langzeitstudien, dass der eigene Regime-Erhalt sehr, sehr wichtig für das russische Regime ist.
Auch ist es so, dass innerhalb der russischen Bevölkerung mehr Leute einen verhandelten Frieden haben wollen als Maximalziele durchzusetzen. Auch das ist etwas, das das Putin-Regime nicht ignorieren kann. Auch gibt es immer mal wieder – auch wenn sie widersprüchlich sind – Signale, dass von russischer Seite beispielsweise nicht mehr gefordert wird, dass die Ukraine völkerrechtsmäßig ihre Territorien abgibt, sondern eine De-facto-Kontrolle, wie das in den ersten Drafts des 28-Punkte-Plans dargelegt wurde.
“Unglaublich viele Menschen qualifizierter” als Witkoff
tagesschau24: Sie sagen, dass es innenpolitisch so ein bisschen gärt. Putin ist ja trotzdem weiterhin relativ ausgebufft, was seinen diplomatischen Auftritt angeht. Wie sehen Sie die Figur Steve Witkoff in diesem diplomatischen Schachspiel?
Driedger: Ich persönlich finde, es gäbe unglaublich viele Menschen, die qualifizierter wären für diese Rolle als Steve Witkoff. Einen der Menschen, den Trump sehr, sehr schnell in die zweite oder dritte Reihe gestellt hat, ist ein konservativer amerikanischer General namens Keith Kellogg, der einen sehr konsistenten Plan präsentiert hatte, der meiner Einschätzung nach zwar in manchen Hinsichten moralisch etwas unappetitlich ist – aber der geeignet wäre, wenn Trump ihn verfolgt hätte und da die Europäer mitgenommen hätte, einen nachhaltigen Frieden zu installieren.
Es kann gut sein, dass wir gerade in einer Entwicklung sind, wo Trump nach langer Zeit lernt, dass das vielleicht der gangbare Weg ist.
“Man sollte die Rechnung nicht ohne die Ukrainer machen”
tagesschau24: Wenn sich Putin aber erst mal keinen Millimeter weiterbewegt – und danach sieht es ja nach den Verlautbarungen aus dem Kreml bisher aus -, wird die amerikanische Seite dann womöglich einfach den Druck auf die Ukraine noch mal maximal erhöhen, damit es einen Frieden gibt? Egal, wie?
Driedger: Das kann man leider gerade bei dieser Administration nicht ausschließen. Das ist dann sehr die Frage, wie sich die Ukrainer und die Europäer verhalten werden. Über die Ukraine: Wir wissen aus systematischer Forschung, dass, wenn ein Land in seinem politischen Regime, in seiner Demokratie bedroht ist, wenn das eigene Territorium bedroht ist und wenn das nationale Fortleben infrage steht, es gewillt ist, enorme Schmerzen und enorme Risiken auf sich zu nehmen. Also da sollte man die Rechnung nicht ohne die Ukrainer machen.
Und auch die Europäer sind sehr, sehr wichtig in dieser Dynamik – auch wenn das Russland und manchmal die USA nicht eingestehen wollen. Mit ein Grund, warum wir wissen, dass auch die Russen denken, dass die Europäer wichtig sind, ist, dass sie konstant versuchen, über die Amerikaner die Europäer an die Kandare zu kriegen. Und da würde sich dann jetzt im Zweifelsfall die Frage stellen, wie viel Rückgrat es in den europäischen Hauptstädten gibt.
tagesschau24: Gleichzeitig ist ja die Trump-Administration immer auch an guten Deals interessiert. Neben Witkoff reist Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mit nach Moskau, sitzt mit am Tisch. Wir haben die Vermutung gehört, das sei vielleicht ein Zeichen dafür, dass es eben auch um gute Geschäfte mit Russland gehen könnte. Hat Putin da gewissermaßen auch ein Lockmittel?
Driedger: Ich weiß nicht – ein Lockmittel würde ich nicht sagen. Die Struktur des russischen Regimes ist so, dass nicht die Oligarchen die Regierung unter Kontrolle haben, sondern die Regierung die Oligarchen.
Und da werden die großen strategischen Imperative, die was mit russischer Großmacht zu tun haben und mit dem Erhalt dieser kleinen Elite oben – die sich an allen möglichen Stellen bereichern kann – schwerwiegender sein als das Versprechen von kleinen Deals. Aber die russische Seite hat gelernt, dass man mit diesem Lockmittel vor der Trump-Administration herumfuchteln kann und dadurch mitunter auf Konzessionen hoffen kann.
Das Gespräch führte Jan Starkebaum, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde es redigiert.





















