Experte nach historischem AfD-Erfolg: „Jetzt wird die Partei noch disruptiver vorgehen“ | ABC-Z

Die AfD hat ihr Ergebnis verdoppelt – und wird damit wohl die mit Abstand stärkste Oppositionskraft. Damit ist für den Politologen Thomas Biebricher klar: Auf das Parlament kommen harten Zeiten zu.
Herr Biebricher, im Vergleich zu 2021 konnte die AfD ihr Ergebnis von 2021 verdoppeln. Was bedeutet das für Deutschland?
Ganz einfach: Eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei ist zur zweitstärksten Kraft geworden. So unschön das ist, man muss es dennoch einordnen. Denn dieser Umstand ist keine Anomalie, sondern folgt dem europäischen Trend. Und ist damit auf gewisse Weise eine Normalisierung Deutschlands gegenüber dem Rest Europas. Was in diesem Kontext vielmehr auffallend ist: Es gibt in Deutschland, anders als in anderen Ländern, weiterhin eine starke Festlegung darauf, zumindest keine formale Zusammenarbeit mit der Partei einzugehen.
Wie erklären Sie sich den historischen Erfolg der AfD?
Einmal mit der großen Verunsicherung, die in der Bevölkerung umgeht: Es herrscht Krieg in der Ukraine, Krieg in Gaza und das deutsche Wirtschaftsmodell an sich steht infrage. Das führt zu einem Gefühl der Unsicherheit. Und natürlich damit, dass das Thema Migration in den vergangenen Monaten eine sehr zentrale Rolle eingenommen hat, vor allem auch in diesem kurzen Wahlkampf. Davon konnte die AfD nun auch auf den letzten Metern noch mal profitieren.
- Thomas Biebricher ist Heisenberg-Professor für Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er veröffentlichte unter anderem das Buch „Mitte/Rechts – Die internationale Krise des Konservatismus“.
Bei welchen konkreten Themen konnte die AfD am meisten punkten?
Dabei geht es vor allem um Inflationseffekte. Man darf nicht unterschätzen, wie sehr sich diese in Gesellschaften hineinfressen. Und das gerade in jenen Segmenten, von denen wir wissen, dass sie eher bereit sind, mit der AfD zu sympathisieren.
Wie meinen Sie das?
Wenn die Lebenshaltungskosten steigen, betrifft das nicht die Reicheren, sondern jene Milieus, die ökonomisch ohnehin zu kämpfen haben. Darüber hinaus konnte sie natürlich bei der Migrationspolitik punkten, beim Thema Krieg und Frieden sowie der konkreten Haltung zum Ukrainekrieg, wo sie, ähnlich wie das BSW, eine ganz andere Position vertritt als die ehemalige Ampel und die Union. Und letztlich hat sie es geschafft, vor allem junge Menschen erfolgreich über die sozialen Medien anzusprechen.
Bei der Migration versuchten die Union, die SPD und sogar die Grünen zuletzt, eine deutlich härtere Linie zu fahren. Warum hatte das offenbar wenig Erfolg?
Weil dieses Vorgehen nur selten zieht. Und im vorliegenden Fall konnte auf den letzten Metern aus verschiedenen Gründen nichts Konkretes mehr gemacht werden – außer einander mit Vorschlägen zu überbieten. Das brachte die AfD in die komfortable Situation, einfach darauf verweisen zu können, dass sie das alles ja schon immer gefordert hat. Das war ein fataler Effekt.
Haben sich die Parteien der Mitte zu sehr treiben lassen?
Sie wurden von den regelmäßigen, schrecklichen Attentaten getrieben. Und es hätte viel Mut und politisches Stehvermögen gebraucht, das nicht zu tun. Das ist der Union nicht gelungen, obwohl sie das Thema Migration ursprünglich gar nicht so zentral machen wollte.
„Während der Coronazeit hat es die AfD geschafft, neue Milieus zu erreichen“ Thomas Biebricher
Stichwort Union: Wahlgewinner Friedrich Merz trat 2022 den CDU-Vorsitz mit dem Versprechen an, unter seiner Führung werde sich die AfD halbieren. Warum ist ihm das so spektakulär misslungen?
Dieses Versprechen hat er längst revidiert, was bei Merz natürlich ein gewisses Muster ist. Den Vorwurf, dass sich die AfD verdoppelt hat, statt sich zu halbieren, muss sich Friedrich Merz gefallen lassen, das ist klar. Auch hat sich die Union oft alles andere als glücklich verhalten, etwa indem sie sich dermaßen auf die Grünen eingeschossen und damit eine Position der AfD ein Stück weit legitimiert hat. Aber auch die anderen Parteien müssen sich das anlasten lassen.
Inwiefern?
Die Performance der Ampel spielt ebenfalls eine gewichtige Rolle, wenn es um den Erfolg der AfD geht. Gerade die letzten beiden Jahre, nachdem man eigentlich gut gestartet war. Dann hat man sich aber verhakt.
Die Umfragewerte der AfD stiegen ab Sommer 2022 stark an – also unter anderem nach dem weitgehenden Wegfall der Corona-Maßnahmen. Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf die Wahrnehmung der Partei?
Die Pandemie war ein wichtiger Punkt für die Partei. In der Coronazeit haben es die AfD und ihre Vorfeldorganisationen geschafft, mit ihren Narrativen an ganz neue Milieus anzudocken, auch an solche, die zuvor keine besondere Affinität zu der Partei hatten.
Wie ist ihr das gelungen?
Gerade in der sogenannten Querdenker-Bewegung kamen viele Strömungen zusammen, die ein Unbehagen ob der vermeintlichen Übergriffigkeit des Staats einte. Darüber ist es der AfD gelungen, unter dem Deckmantel der Maßnahmenkritik breitere Gesellschaftsschichten zu erreichen.
Die AfD wird nach 2017 zum zweiten Mal stärkste Oppositionskraft sein – diesmal aber mit einem wesentlich besseren Ergebnis. Wie wird das den parlamentarischen Betrieb ändern?
Ich gehe davon aus, dass man noch stärker versuchen wird, die Störanfälligkeit des Betriebs auszunutzen. Und damit noch disruptiver vorzugehen, wenn das möglich ist. Dabei hilft ihnen ihre Stärke natürlich, auch mit Blick auf die Redezeiten.
„Es geht ihr darum, den parlamentarischen Betrieb lächerlich zu machen“ Thomas Biebricher
Sie will den Betrieb stören?
Die AfD scheint kein Interesse daran zu haben, konstruktive Vorschläge zu machen. Es scheint ihr vielmehr darum zu gehen, den parlamentarischen Betrieb als solchen lächerlich zu machen und zu verunglimpfen. Und ihn damit als Bühne zu nutzen, um die anderen Parteien vorzuführen. Es geht also darum zu zeigen, dass der Parlamentarismus an sich das Problem sei, das System. Das ist übrigens eine Position, die man bei anderen Rechtsaußenparteien in Europa in dieser Offenheit kaum noch sieht.
Was wäre Ihrer Meinung nach eine geeignete Strategie gegen einen weiteren Aufstieg der AfD?
Es wird sicherlich eine Verschärfung in der Migrationspolitik geben. Ich bin gespannt, welchen Effekt das hat, ob man es schafft, damit das Thema herunterzukühlen. Darüber hinaus liegen so viele Themen auf dem Tisch, dass die neue Regierung eigentlich nur versuchen kann, diese anzugehen.
Was meinen Sie konkret?
Die klassischen Brot-und-Butter-Themen werden eine wichtige Rolle spielen: Pflegekosten, bezahlbares Wohnen, vor allem in Ballungsräumen. Inflation kann ebenfalls ein Treiber für radikal rechte oder auch linke Parteien sein. Es braucht eine Idee, wie man die Wirtschaft dieses Landes wieder zum Laufen bekommt. Das sind gewaltige Aufgaben. Und man kann als Demokrat nur hoffen, dass sich die nächste Regierung hier auf effektive Schritte wird einigen können.