Geopolitik

Exklusive Zahlen: So viele Migranten sind in Deutschland in Frührente | ABC-Z

Mehr als die Hälfte der afghanischen, irakischen und ex-jugoslawischen Migranten in Frührente – so ist es in Dänemark. Zahlen, die WELT vorliegen, zeigen, wie es sich bei 50- bis 65-jährigen Ausländern hierzulande verhält. Allerdings gibt es eine deutsche Besonderheit zu beachten.

Wegen des anhaltenden Geburtenmangels versuchen viele Staaten Europas, Lücken auf dem Arbeitsmarkt durch Einwanderer zu schließen. Nun sorgt eine Studie des Dänischen Arbeitgeberverbands (DA) für Aufsehen, der zufolge nicht-westliche Migranten früher in Rente gehen als die Einheimischen.

Demnach sind laut staatlichem Statistikamt aktuell elf Prozent der Dänen zwischen 50 und 67 Jahren im vorzeitigen Ruhestand. Bei den Türken – der größten nicht-westlichen Migrantengruppe – erhalten hingegen 41,6 Prozent eine „Førtidspension“ („Frühpensionierung“). Bei Bürgern aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens beträgt die Quote 52,4 Prozent. Zuwanderer mit afghanischer (54,7 Prozent), libanesischer (56,4) und irakischer (65,9) Staatsangehörigkeit beziehen noch häufiger Frührente.

Die hohen Werte könnten durch vergleichsweise häufige Beschäftigung der Ausländer in körperlich belastenden Berufsfeldern wie dem Bau begründet sein, was der Arbeitgeberverband auf Anfrage als eine „mögliche Teilerklärung“ bezeichnet. Zudem sei bei einigen Nationalitäten von stärkerer Belastung durch Fluchterfahrung auszugehen.

Dennoch sagt Erik Simonsen, Direktor der Arbeitsmarkt-Abteilung des DA: „Das Ausmaß der Abweichungen in der vorzeitigen Rente aus Erwerbsminderungsgründen lässt sich offensichtlich nicht plausibel auf den unterschiedlichen Gesundheitszustand und damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit zurückführen.“ Die Zahlen begründeten eine Aufforderung an die Politik, Personen mit individuellen Problemen und eingeschränkter Leistungsfähigkeit stärker in Arbeit zu bringen. Die vorzeitige Rente müsse restriktiver gewährt werden.

Die deutschen Zahlen – und ein erheblicher Unterschied

Ist dieser Befund auf Deutschland übertragbar? Zunächst gibt es einen deutlichen Unterschied: In Dänemark kann Rente für Erwerbsgeminderte auch beziehen, wer nur kurz oder sogar noch nie vorher beschäftigt war. In Deutschland kommt indes ins beitragsfinanzierte Rentensystem nur, wer mindestens fünf Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Aber auch hier lassen sich für einige Migrantengruppen erhöhte Frührentnerquoten feststellen.

Nach einer Auswertung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) für WELT erhalten 13 Prozent der Bundesbürger im Alter von 50 bis einschließlich 65 Jahren bereits eine gesetzliche Rente. Das Ergebnis kommt zustande, indem die 2.368.345 Deutschen, die zum Stichtag 31. Dezember 2023 in der gesetzlichen Rente registriert waren, ins Verhältnis zu allen 17.999.677 Bundesbürgern dieser Altersklasse (laut Destatis zum jüngsten auswertbaren Stand am 31. Dezember 2022) gesetzt werden. Die Daten umfassen vorzeitig oder wegen Erwerbsminderung Verrentete – die nur sehr wenigen Regelrenten-Bezieher unter 66 sind nicht enthalten, wie ein DRV-Sprecher erläutert.

Unter allen nicht-deutschen 50- bis 65-Jährigen sind allerdings weniger, lediglich elf Prozent, im Rentenbezug, in der wichtigen Einwanderergruppe aus Italien zum Beispiel 11,8 Prozent. Bei der größten Nationalität, den Türken, betrifft es zwar 20 Prozent (71.682 von 358.378). Hohe Werte erreichen auch Serben (20,8 Prozent) und Libanesen (18,6). Anders als in Dänemark gibt es aber eine sehr geringe Frühverrentung von Irakern (fünf Prozent), Afghanen (sechs) oder Ex-Jugoslawen, abgesehen von Serben. So beziehen nur vier Prozent der Kosovaren schon in diesem Alter eine Rente. Unter den 56.117 älteren Syrern sind es lediglich ein Prozent.

Allerdings beziehen ältere Einwanderer in Deutschland deutlich häufiger Sozialleistungen. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) erhielten beispielsweise 50.479 Syrer zum Stichtag Ende 2023 Regelleistungen nach Sozialgesetzbuch II, also die große Mehrheit dieser Altersgruppe. Unter den 358.378 Türken waren es 18 Prozent (65.580). Insgesamt sind etwa 411.000 Ausländer zwischen 50 und 65 Jahren Leistungsbezieher, gut ein Fünftel der rund 1,8 Millionen Migranten dieser Gruppe.

Unter den vergleichbaren 18 Millionen Deutschen sind hingegen nur vier Prozent (688.529) „regelleistungsberechtigt“ – worunter sowohl erwerbsfähige als auch nicht-erwerbsfähige Bürgergeld-Bezieher fallen. Laut BA sind „Doppelbezieher“ möglich. Es gebe Fälle von vorzeitig Verrenteten, die ergänzend Bürgergeld beziehen, damit sie auf das Existenzminimum kommen. Aber befragte Statistiker halten eine gesonderte Auswertung für kaum umsetzbar, zumal von einer kleinen Fallzahl auszugehen sei.

Der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen sieht den entscheidenden Unterschied zwischen den Systemen darin, dass es in Dänemark anders als in Deutschland keine separaten beitragsfinanzierten Kassen gibt. Der dänische Staat zahle für Ältere sowohl Sozialleistungen als auch Renten. „So könnte sich erklären, dass in dem eigentlich sehr streng regulierenden Dänemark besonders häufig nicht-westliche Einwanderer die vorzeitige Rente für Erwerbsgeminderte erhalten können“, sagt der Freiburger Professor. In beiden Ländern sei freilich „klar erkennbar, dass die Arbeitsbeteiligung einiger außereuropäischer Einwanderergruppen im gehobenen Alter relativ schwach ist“. Und dies ziehe dann oft eine Abhängigkeit von der Grundsicherung im hohen Alter nach sich.

Marcel Leubecher ist Politikredakteur. Seit 2015 berichtet er vor allem über Migrationspolitik.

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