Europas billigste Aktien sind eine Chance für Anleger | ABC-Z
So mancher Anleger hierzulande dürfte derzeit etwas neidisch über den Atlantik in Richtung USA blicken. An der Börse dort herrscht Feierlaune. Den ein oder anderen Rücksetzer gibt es zwar, wie es halt in der Natur der Börse liegt, aber die bisherige Entwicklung kann sich sehen lassen. Um 25 Prozent ist der beliebte amerikanische Index S&P 500 seit Jahresbeginn im Plus, seit der Wahl von Donald Trump ist das Börsenbarometer besonders deutlich gestiegen.
Sosehr Trump die Welt in Unsicherheit versetzt, welche politischen Maßnahmen er ergreift, sein Kurs für die amerikanische Wirtschaft scheint klar: Steuersenkungen und Deregulierung. Das freut die Börse, von einer Trump-Prämie ist sogar die Rede.
Europa hinkt hinterher
Weniger ausgelassen ist die Stimmung in Europa. Zwar profitieren auch deutsche Anleger von den Kurssprüngen in den USA, sofern sie entsprechend investiert haben. Auch hat der Dax in den vergangenen Monaten einige Rekorde hingelegt. Der Euro Stoxx 600 ist zumindest um gut sechs Prozent gestiegen seit Jahresbeginn.
Im Vergleich zu den USA aber sieht die Entwicklung mau aus und zeichnet wieder einmal das Bild des Europas, das hinterherhinkt. Die schlechte wirtschaftliche Lage und die Angst vor Trumps angekündigten Zöllen machen sich bemerkbar. Die Folge: Der Abstand zwischen amerikanischer und europäischer Börse ist gerade besonders groß.
Verzagen müssen Anleger daran nicht, im Gegenteil, daraus können sich auch gute Chancen ergeben. „Auf den Kursbewegungen lastet der europäische Malus. Dadurch sind einige Aktien sehr günstig bewertet“, sagt Arne Rautenberg, Aktienexperte und Portfoliomanager der Union Investment. Die schlechte Stimmung wirke sich bei einigen Aktien übertrieben negativ aus. Sehr ähnliche Unternehmen sind in den USA teils viel teurer als in Europa. So ist etwa die Deutsche Telekom derzeit deutlich günstiger als T-Mobile, das amerikanische Tochterunternehmen.
Gemessen wird das nicht direkt am Preis der Aktie, sondern am sogenannten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Es ist eine der beliebtesten Maßzahlen, um Aktien zu vergleichen. Das KGV setzt den Kurs in Relation zum Unternehmensgewinn je Aktie, geschätzt für die nächsten zwölf Monate. Grob gesagt ist es eine Einschätzung dafür, wie viel die Anleger noch von einer Aktie erwarten und wie zukunftsträchtig sie ein Geschäftsmodell einschätzen. Je höher das KGV, umso teurer gilt eine Aktie. Für den Euro Stoxx liegt es derzeit bei 14, für den S&P 500 bei 25, ein historisch hoher Abschlag der europäischen Aktien von 40 Prozent.
Neu ist der Trend nicht, dass der europäische Aktienmarkt niedriger bewertet ist als der amerikanische. Schon seit der Finanzkrise hat sich hier eine Lücke aufgetan. Das liegt daran, dass es in den USA viele erfolgreiche Techkonzerne gibt, die in schnell wachsenden Märkten agieren. Die Anleger setzen darauf, dass die Innovationen künftig hohe Gewinne bringen. Daher ist das KGV überdurchschnittlich hoch. Das zeigt zum Beispiel die aktuelle Erfolgsgeschichte des Chipherstellers Nvidia. Europa wiederum ist eher in älteren, traditionellen Sektoren tätig, etwa der Industrie, den Banken oder der Energie, die ein niedrigeres KGV haben.
Es ist somit wichtig zu verstehen, warum das KGV einer Aktie niedrig ist. Denn das ist nicht immer ein Kaufsignal. „Liegt es an strukturellen Problemen, ist bei den Aktien höchste Vorsicht geboten“, sagt Rautenberg. Funktioniert das Geschäftsmodell nicht mehr, kann die Aktie noch so günstig sein, sie wird ihrem Besitzer wenig Freude bringen. So ist es etwa bei den Autoaktien wie VW, Mercedes und BMW. Der gesamten Branche geht es derzeit nicht gut, die deutschen Autohersteller schneiden im internationalen Wettbewerb zunehmend schlechter ab. Stellenabbau und Werkschließungen dominieren die Nachrichten.
Anders ist es mit Unternehmen, die aufgrund der schwachen Wirtschaftslage straucheln, etwa Konsumgüter wie Luxusartikel, die Baubranche oder so mancher Halbleiterhersteller. So zählt etwa das Baustoffunternehmen Heidelberg Materials zu den günstigeren Firmen im Dax. Sobald sich das wirtschaftliche Momentum dreht und sich die Stimmung verbessert, dürfte es in diesen Sektoren wieder bergauf gehen. „Besonders Nebenwerte können stark von einer Erholung profitieren“, sagt Matthias Born, Investmentchef von Berenberg.
So sind die europäischen Nebenwerte ohnehin auf einem sehr niedrigen Niveau bewertet, das KGV des S-Dax liegt derzeit bei etwa 17. Das amerikanische Pendant Russell 2000 hat ein KGV von mehr als 40. Die aktuelle Lage der Nebenwerte kann für Anleger somit eine gute Einstiegschance sein. Allerdings können sie dabei auch etwas Geduld gebrauchen, zumindest mit Blick auf die Vergangenheit zieht sich das Warten auf die große Erholung schon etwas länger hin.
Als alleinige Altersvorsorge sollten Einzelaktien ohnehin nie dienen. Wer aber auf einen Wirtschaftsaufschwung in Europa wetten und daran verdienen will, findet an der Börse gute Gelegenheiten.