„Europa gegen den Rest der Welt“ | ABC-Z
Der einstige Handelsstreit wurde beigelegt, und die Gründe dafür sind vom Tisch. Wir befinden uns also in einer neuen Situation. Klar ist: In der zivilen Luftfahrt sind wir in den USA ein sehr großer Hersteller. Fast alle großen amerikanischen Fluggesellschaften verlassen sich auf Boeing und Airbus . Wir haben in den USA Endmontagelinien sowohl für die A220 als auch die A320 und bauen gerade eine weitere Fertigungslinie. Zudem kauft Airbus in den USA für seine Produktion jährlich Waren im Wert von 15 Milliarden Dollar. Wir werden mit der neuen Regierung in Washington zusammenarbeiten.
Durch Trumps Wahl werden die Rufe nach höheren Verteidigungsausgaben in Europa lauter. Haben Sie in den vergangenen Tagen viele Anrufe von Politikern erhalten?
Die Situation ist doch nicht neu. Nicht nur Donald Trump ruft berechtigterweise nach höheren Verteidigungsausgaben in Europa. Auch der vor der US-Wahl veröffentlichte Draghi-Bericht hat sehr deutlich gemacht, dass die Europäer ihre Souveränität durch höhere Verteidigungsausgaben und mehr lokale Beschaffung stärken müssen. Die eigentliche Zäsur war der Ukrainekrieg direkt vor unseren Augen. Gleichwohl sehen wir, wie schwierig es ist, von Ideen und Absichtserklärungen zu wirklichen Beschaffungen und Programmen zu kommen, wenn man mal von Munition absieht.
Hätten Sie denn überhaupt die Kapazitäten, um die Produktion von Rüstungsgütern schnell hochzufahren?
Natürlich können wir die Produktion hochfahren. Das setzt aber eine planbare Nachfrage voraus, die wir bisher nicht haben. Unser Verteidigungssystem in Europa wurde in den vergangenen Jahrzehnten für Friedenszeiten ausgelegt. Wir alle wissen nun: Diese Zeiten sind vorbei, und wir müssen rasch den Schalter umlegen.
Der Dialog mit der Bundesregierung war in den vergangenen Jahren immer gut, egal ob es um Eurofighter, Hubschrauber oder das Luftkampfsystem FCAS geht. Das bedeutet nicht, dass jede Umsetzung perfekt ist und wir immer mit dem Tempo zufrieden sind. Was mich aber vor allem umtreibt, ist die Frage des Rüstungsexports. In Europa haben wir eine fragmentierte Verteidigungsbranche mit einem viel kleineren Investitionsvolumen als in den USA. Der Export ist also lebenswichtig, um unsere Fähigkeit zu erhalten, weiter zu produzieren und in die nächste Generation von Technologien zu investieren. Und hier haben wir in den vergangenen Jahren unter dem unsicheren Umfeld gelitten, das wir von deutscher Seite bei der Ausfuhr in bestimmte Länder hatten. Deutschland muss sein Verhältnis zum Rüstungsexport ändern. Alles andere wird nicht nur unsere Chancen auf dem Weltmarkt erheblich schmälern, sondern auch Europas Reputation als Partner in Sicherheits- und Verteidigungsfragen in Mitleidenschaft ziehen.
Der Verwaltungsrat will Ihnen eine dritte Amtszeit an der Airbus-Spitze gewähren. Worauf wird Ihr Fokus in den kommenden drei Jahren liegen?
Bei Airbus haben wir heute drei große Herausforderungen. Die erste ist der Hochlauf unserer Zivilflugzeugproduktion. Wir haben einen phantastischen Auftragsbestand, denn unsere Kunden wollen alte Flugzeuge durch neue, effizientere ersetzen, die weniger Treibstoff verbrauchen und weniger CO2 ausstoßen. Die zweite Priorität, die sich daran anschließt, ist die Dekarbonisierung der Luftfahrt. Bei der dritten Priorität geht es darum, die Bereiche Verteidigung und Weltraum zukunftsfest zu machen. Gerade hier sind wir in Europa zu kleinteilig, fragmentiert und ineffizient, um beispielsweise mit den großen US-Akteuren zu konkurrieren. Sie profitieren von viel größeren Finanzmitteln, umfangreichen Programmen und starken privaten Investitionen. Bei Weltraumaktivitäten insbesondere besteht wahrscheinlich auch die Notwendigkeit für eine strategische Umgestaltung. Kurz gesagt: Wir müssen einen europäischen Champion schaffen.
Der Zivilflugzeugbau macht nach wie vor mit Lieferkettenproblemen von sich reden. Warum können Sie aktuell nicht liefern?
Einspruch! Wir können liefern und fahren die Produktion hoch. Aber wir sind nicht so schnell, wie wir es gerne hätten und wie es unsere Kunden sowie Aktionäre fordern. Die meisten Zulieferer halten sich an unsere Hochlaufpläne, aber es gibt leider einige wenige, die alle anderen ausbremsen. Wir haben langfristige Ziele formuliert, die besagen, dass wir bei der A320-Modellreihe 75 Flugzeuge im Monat bis 2027 anvisieren. Diese Rate werden wir erreichen, ebenso die Raten von 14 für die A220 im Jahr 2026 und zwölf für die A350 im Jahr 2028.
Warum dauert es so lange, bis sich die Zivilflugzeugproduktion normalisiert? Andere Branchen wie die Autoindustrie haben ihre coronabedingten Lieferkettenprobleme längst überwunden.
Wir reden bei unserem geplanten Hochlauf von einer Steigerung von etwa zehn Prozent im Jahr. Das ist schon was! Zumal ein so komplexes Produkt wie ein Flugzeug aus drei Millionen Teilen besteht und an der Produktion mehr als 3000 Zulieferer beteiligt sind, die langfristig in Triebwerke oder Verbundwerkstoffe investieren müssen. Wir befinden uns in einer völlig anderen Situation als die Autoindustrie. Während die Menschen in der Corona-Pandemie Autos gekauft haben, haben alle Fluggesellschaften der Welt ihre Bestellungen gestoppt. Zugleich lag die Produktion der Boeing 737 einige Zeit am Boden. Die Kombination aus der Boeing-Krise und Corona führte zu einer Situation, in der einige Zulieferer bis zu zwei Jahre lang quasi arbeitslos waren und es zu viele Personalabgänge gab. Das ist etwas, das meines Wissens in der Wirtschaft seinesgleichen sucht.
Wie soll die Dekarbonisierung bei Airbus in naher Zukunft aussehen?
Um vom heutigen Stand zu einer Luftfahrt frei von Kohlenstoff im Jahr 2050 zu gelangen, sind viele Schritte erforderlich. Zunächst müssen wir Flugzeuge der vorigen Generation durch moderne ersetzen. Neue Maschinen haben eine verbesserte Treibstoffeffizienz und sind für bis zu 50 Prozent nachhaltigen Flugkraftstoff zertifiziert. Zugleich entwickeln wir Technologien für die nächste Generation von Flugzeugen. Wir werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts den Nachfolger der A320 präsentieren, der in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrzehnts in Dienst gestellt werden soll. Dieses Flugzeug wird etwa ein Viertel weniger Treibstoff als unsere heutigen Modelle verbrauchen und für 100 Prozent nachhaltigen Treibstoff ausgelegt sein. Und schließlich entwickeln wir ein Wasserstoffflugzeug, das bis 2035 verfügbar sein wird, sofern wir den entsprechenden Rechtsrahmen und eine ausreichende Infrastruktur für grünen Wasserstoff haben.
In Deutschland reden alle vom grünen Wasserstoff, aber es gibt ihn bislang kaum. Ist das nicht eine große Luftnummer?
Bei Airbus sind wir davon überzeugt, dass Wasserstoff die bestmögliche Art des nachhaltigen und effizienten Fliegens ist. Das ist die langfristige Lösung. Allerdings benötigen wir auch kurzfristige Lösungen in der Luftfahrt, denn der Klimawandel wartet nicht auf uns. Die kurzfristige Lösung ist nachhaltiger Flugkraftstoff.
Wäre es theoretisch auch möglich, ein kohlenstofffreies Überschallflugzeug zu entwickeln?
Ja, wenn frei von Kohlenstoff im Sinne von nachhaltigem Flugkraftstoff gemeint ist. Aber es wird bei Weitem nicht so treibstoffeffizient sein wie ein Unterschallflugzeug. Das könnte ein Nischenmarkt für Leute sein, die bereit sind, dafür zu zahlen. Ich will nicht ausschließen, dass in zwei Jahrhunderten alle mit Überschallgeschwindigkeit fliegen werden. In den kommenden Jahrzehnten liegt der Fokus allerdings auf dem Massenmarkt für die dekarbonisierte Luftfahrt. Das ist auch, worauf wir uns konzentrieren.
Sie sprachen von der A320-Nachfolge. Ist sichergestellt, dass bei deren Entwicklung das deutsch-französische Gleichgewicht gewahrt bleibt und nicht alles zentralisiert in Toulouse stattfindet?
Es gibt heute nichts, was nur an einem Ort entwickelt wird. Insofern geht es auch nicht um einen Wettbewerb zwischen Frankreich und Deutschland. Airbus ist ein europäisches Unternehmen, und wir haben spezialisierte Standorte für verschiedene Produkte. Tragflächen werden beispielsweise in Großbritannien entwickelt und hergestellt. Die Balance liegt im Interesse von Airbus, ansonsten ist es kein europäisches Unternehmen mehr, und wir verlieren unsere DNA. Unsere Zukunft liegt darin, das Miteinander in Europa zu stärken.
Warum ist das so wichtig?
Der eigentliche Wettbewerb lautet Europa gegen den Rest der Welt. Die Fragen lauten doch: Wie viel stellt Airbus hier noch her, wenn Europa im Jahr 2050 nicht mehr wettbewerbsfähig ist? Wie stellen wir sicher, dass Europa ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort bleibt? Heute entfallen 60 bis 70 Prozent unserer Produktion auf Europa. Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verlieren, müssen wir den Löwenanteil außerhalb Europas produzieren. Das kann keiner wollen.
Wir müssen größer denken. Wir brauchen weniger ständige Konkurrenz und mehr Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern. Heute wird noch viel zu sehr Nabelschau betrieben, wer besser dran ist und welche Arbeitsplätze auf der linken oder rechten Seite der Grenze bleiben. Diese Denk- und Verhaltensweisen sind nicht zukunftsfähig. Für die meisten großen Unternehmen findet der Wettbewerb heute auf globaler Ebene statt. Das ist das Spiel, das vor uns liegt, und dafür müssen wir als europäisches Team denken. Wenn wir weiter glauben, dass es nur um Frankreich, Deutschland oder Spanien geht, hemmt das unsere Fähigkeit, Investitionen und Kräfte zu bündeln. Airbus ist und bleibt ein Paradebeispiel, wie diese Bündelung der Kräfte in Europa gelingen kann. Ich denke, wir können in Europa mehr „Airbusse“ vertragen.
Zur Person
Als Nachfolger von Tom Enders steht Guillaume Faury (56 Jahre) dem deutsch-französisch-spanischen Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus seit 2019 vor. Zuvor war er Chef der Kernsparte für Verkehrsflugzeuge – eine Funktion, die der gebürtige Normanne und Ingenieur bis Anfang dieses Jahres in Personalunion weiter ausübte. Seither konzentriert sich Faury auf strategische Fragen. Dazu gehört die Neuaufstellung der defizitären Rüstungs- und Raumfahrtsparte. Davon abgesehen steht Airbus unter Faury, der in seiner Freizeit gerne segelt, geschäftlich gut da. Das Unternehmen profitiert von der Beliebtheit seines Kassenschlagers A320. Herausfordernd bleiben die anhaltenden Lieferketten- und Produktionsprobleme.