Europa-Debatte eskaliert – Louis Klamroth: “Mein Mikrophon ist am lautesten” | ABC-Z
Dass es bei einer Talkshow rund ums Thema “Kampf um Europa: Siegen die Populisten?” nicht gerade friedlich zugehen würde, war anzunehmen. Noch dazu, wenn die Debatte elf Tage vor Beginn der Europawahlen stattfindet.
Und erst recht, wenn wortgewaltige Politiker und Politikerinnen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, Vorsitzende im Verteidigungsausschuss im Bundestag), Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzender Europa-Ausschuss im Bundestag), Katarina Barley (SPD, Vizepräsidentin Europäisches Parlament), Julia Klöckner (CDU, wirtschaftspolitische Sprecherin der Union im Bundestag), Fabio De Masi (Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW) und Leif-Erik Holm (AfD, wirtschaftspolitischer Sprecher im Bundestag) miteinander diskutierten.
Von den Friedensbotschaften, mit denen die Parteien im Wahlkampf warben, war jedenfalls wenig zu spüren. Schon bei der Frage, ob Waffen an die Ukraine geliefert werden und was zu einem Frieden führen könnte, kam es zu einem regelrechten Schreiduell zwischen der selbst ernannten “Eurofighterin” Strack-Zimmermann und De Masi, der sich als “Putin-Versteher” beschimpft fühlte.
Es blieb nicht die einzige Eskalation des Abends: Die ständigen Unterbrechungen, Einwürfe und das Durcheinanderreden seiner Gäste brachten selbst Moderator Louis Klamroth an seine Grenzen. Mehrfach musste er zur Ordnung rufen. “Wenn Sie sich gegenseitig so anschreien, verstehe ich nichts und die Zuschauer auch nicht”, griff er einmal mehr zu seiner stärksten Waffe (“Mein Mikrophon ist am lautesten”). Dann sprach er Klartext: “Sie tun sich alle hier keinen Gefallen, wenn Sie durcheinander reden.”
“AfD steht rechts von den rechteren der rechten Fraktionen. Das muss man erst mal hinkriegen”
Auf wenig Gefallen waren in der vergangenen Woche auch Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS gestoßen. Die rechte ID-Fraktion im Europäischen Parlament schloss schließlich alle AfD-Abgeordneten aus. Ob sich seine Partei für den falschen Spitzenkandidaten für die Europawahl entschieden hätte, wollte Louis Klamroth von Leif-Erik Holm wissen. “Das will ich nicht beurteilen”, meinte dieser und erntete dafür lautstark Buh-Rufe aus dem Publikum.
Beirren ließ er sich davon genauso wenig wie vom Drängen Klamroths, sich von der fraglichen Interviewpassage zu distanzieren: “Natürlich ist die SS eine verbrecherische Organisation gewesen, das sieht auch Herr Krah so.” Das Gesagte wäre eine “Binsenweisheit” und schon von früheren Bundeskanzlern wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl geäußert worden. Die empörten Zwischenrufe von allen Seiten waren nicht zu überhören, und Strack-Zimmermann hatte mit ihrem sarkastischen Einwurf – “Erste Verteidigungslinie: Bildung hilft” – die Lacher auf ihrer Seite.
Klamroth gab auf. “Wie groß ist der Schaden für die AfD?”, wandte er sich an den einzigen Nicht-Politiker in der Runde. Mit dem “Herumeiern” tue sich Herr Holm persönlich keinen Gefallen, urteilte Gordon Repinski (Chefredakteur des Nachrichtenportals “Politico”), und für die Partei wäre es eine “Schande, dass der Spitzenkandidat wegen Chinaspionage aus dem Rennen genommen wurde und der Zweite wegen Geldern aus Russland”. Der Ausstoß aus der ID-Fraktion wäre bereits die Konsequenz. Jetzt stünde die AfD “rechts von den rechteren der rechten Fraktionen. Das muss man erst mal hinkriegen.” Der nachfolgende Applaus galt wohl eher Repinskis Analyse.
Fabio De Masi über Europa: “Weniger ist mehr”
Hinkriegen möchte die AfD jedenfalls, im Europäischen Parlament zu sitzen – mit oder ohne Fraktion. Das möchte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht: “Weniger ist mehr”, fasste Fabio De Masi deren Programm zusammen. Die bürokratischen Übergriffe auf Kommunen etwa sollen gestoppt, der Druck auf Privatisierung reduziert werden. “Wir wollen ein Europa, das dort, wo es einen Unterschied macht, liefert, aber nicht Löhne oder Renten kürzt”, lenkte er die Diskussion auf das Thema Wirtschaft.
Das griff Louis Klamroth gerne auf: Ob die AfD den Dexit befürworte, obwohl der – zitierte Klamroth eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln – der deutschen Wirtschaft innerhalb von fünf Jahren 690 Milliarden Euro an Wertschöpfung kosten würde? “Nein, wir wollen eine Neugründung, eine Reform der EU“, lehnte Holm den “Fachbegriff” Dexit ab. Es ginge um den Austritt mit gleichzeitiger Gründung einer neuen Wirtschaftsgemeinschaft ohne den Wust der Bürokratie.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: “Europa ist gefährdet”
“Es gibt kein bisschen schwanger”, kommentierte das Strack-Zimmermann trocken, “entweder man ist in der EU drin oder nicht”. Dass die EU Schwächen hätte, wollte sie nicht leugnen. Doch das Kind hätte einen Namen: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Diese hätte die Bürokratie verfielfacht und damit die “Wirtschaft so abgewürgt, dass unsere Unternehmen in Europa nicht mehr konkurrenzfähig” wären. Zudem hätte die Kommissionspräsidentin nicht ausgeschlossen, mit den Rechten und insbesondere mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu koalieren. “Das macht mir mehr Sorgen”, schoss sich die FDP-Politikerin auf von der Leyen ein.
“Es gibt überhaupt keine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen und Identitären, auch nicht mit den Linkeren der Rechten”, konterte Julia Klöckner von der CDU, könnte sich aber eine Koalition mit Einzelnen – wie mit Meloni – vorstellen. Die Italienerin wäre pro-europäisch, stimmte sie mit von der Leyens Urteil überein. Das sah nicht nur Barley anders. “Es geht um Rechtsstaatlichkeit, damit hat Meloni erhebliche Probleme”, meinte auch Anton Hofreiter pointiert: “Zwischen der Linkeren der rechteren Partei und der Rechteren ist der Hauptunterschied, dass die Letzteren Landesverräter sind, weil sie sich von Russland und China kaufen lassen. Die Linkeren sind Feinde der Rechtsstaaten.”