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RB Leipzig hat Probleme bei Jugendarbeit mit Fußball-Talenten | ABC-Z

Viggo wird es nicht schaffen. Er wird keine Minuten in der Bundesliga sammeln, sich nicht bei den Profis etablieren oder gar für Furore sorgen wie der fast gleichaltrige Lennart Karl beim FC Bayern. Weil dieser Text aber nicht grundsätzlich negativ beginnen soll, folgender Zusatz: all das bezieht sich auf die kommenden Monate, nicht auf eine mögliche Karriere.

Viggo, Nachname Gebel, 18 Jahre alt, der mit seiner hageren Statur und den langen, strähnigen braunen Locken aussieht wie eine jüngere Version von Yussuf Poulsen, ist vor Kurzem das Kreuzband gerissen. Für seinen Verein RB Leipzig ist das eine schlechte Nachricht.

Nicht so sehr für Ole Werner, den Trainer der Profis, der Gebel in dieser Saison noch nicht eingesetzt hat. In der vergangenen Spielzeit durfte er ein Mal gegen Wolfsburg ran, damals noch unter Marco Rose. Dazu gab es zwei Einsätze im DFB-Pokal und einen in der Champions League. Abgesehen von den niedrigen Einsatzzeiten ist Gebels Verletzung aber nur schwer zu verkraften.

Weil der Offensivspieler all das verkörpert, wonach man sich bei RB sehnt: ein junger, talentierter Fußballer, geboren vor den Toren Leipzigs in Schkeuditz, seit frühester Kindheit im Verein. Ein mögliches Vorbild für all die fußballspielenden Kinder der Region, denen es an einheimischen Idolen mangelt, weil kein Leipziger für RB Leipzig spielt.

Seit der Gründung 2009 hat sich RB Leipzig den Ruf erarbeitet, ein Verein für Talententwicklung zu sein. Für den hauseigenen Powerfußball brauchte es frische, junge Kräfte. Neunzig Minuten hoch und runter, so spielte RB, vor allem unter Ralf Rangnick. Etliche Spieler, die inzwischen zur Weltspitze gehören, haben ihre Karriere in Leipzig gestartet.

Dayot Upamecano, Ibrahima Konate oder Josko Gvardiol, heute alle Nationalspieler und Verteidiger von Weltrang, kamen im Alter von 18 oder 19 Jahren und entwickelten sich zu gestandenen Profis. Dominik Szoboszlai, Christopher Nkunku, Benjamin Sesko sind weitere Namen, die Liste ließe sich fortsetzen.

Das Leipziger Geschäftsmodell besteht darin, junge Spieler zu kaufen, sie zu fördern und dann gewinnbringend weiterzuverkaufen. Auf diese Weise hat der Verein in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Transferüberschuss erzielt, der im mittleren dreistelligen Millionenbereich liegt.

In der Bundesliga auf Platz zwei

Umso mehr ärgert es die Verantwortlichen, dass von all den herausgebrachten Talenten kein einziges aus dem eigenen Haus stammte. Niemand, der zuvor verschiedene Altersklassen in Leipzig durchlaufen hatte. All die Genannten lernten bei anderen Vereinen, in anderen Ländern. Bevorzugt in Frankreich, Österreich oder Osteuropa. Nie in Leipzig, Chemnitz oder Zwickau. Intern ist das ein sensibles Thema, RB verfügt über eine der am besten ausgestatteten Akademien Europas. Umso ernüchternder ist das Bild, das man nach außen abgibt. Ein Ausbildungsverein, der keine eigenen Talente ausbildet.

Die Hochbegabten im aktuellen Profikader folgen dieser Tradition. Antonio Nusa kam aus Brügge, Yan Diomande aus Leganes, Andrija Maksimovic von Roter Stern Belgrad. Sie sind mitverantwortlich für den hervorragenden Saisonstart. Sechs Siege holte RB aus den ersten acht Spielen. Das bedeutet Platz zwei in der Tabelle. An diesem Samstag kommt der Dritte VfB Stuttgart zum Spitzenspiel nach Leipzig (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky). Aus dem hauseigenen Nachwuchs wird dann niemand dabei sein.

„Wir brauchen uns nicht Sand in die Augen streuen. War das in der Vergangenheit gut? Sicher nicht gut genug“, sagt David Wagner. Er leitet seit dieser Saison das Leipziger Nachwuchsleistungszen­trum (NLZ), ist dort für die Ausbildung der Talente hauptverantwortlich und möchte die bisher schwache Bilanz verbessern.

Als Trainer hat Wagner viele Jahre im Nachwuchs von Hoffenheim und Dortmund gearbeitet, ehe es ihn zu den Profis zog. Huddersfield, Schalke, Bern und Norwich waren seine Stationen. Nun also NLZ-Chef in Leipzig. „Wir haben einiges aufzuholen und aufzuarbeiten und sind mitten in diesem Prozess“, sagt er.

RB Leipzig hat keine U-23-Mannschaft

Wo aber anfangen bei einer so schlechten Bilanz? Faik Sakar, Nuha Jatta, Jonathan Norbye und Ba Sanoussy sind neben Gebel die einzigen Nachwuchsspieler, die in den vergangenen dreieinhalb Jahren bei den Profis debütierten. Zusammen kommen die fünf auf fünf Einsätze. „Wir brauchen noch größere Talente und ein Umfeld, das diese Spieler schneller auf das nächste Level hebt“, sagt Wagner.

Ob es wirklich an der Qualität der Nachwuchsspieler liegt, dass so wenige bei den Profis landen, darüber lässt sich diskutieren. Denn es gibt sie ja, die Talente, die bei RB einen Teil ihrer Ausbildung durchlaufen haben und nun erfolgreich im Profigeschäft unterwegs sind. Der prominenteste von ihnen ist Ermin Demirovic. Auch Jeff Chabot und Nicolas Kühn trugen zumindest eine Zeit lang das Leipziger Trikot. Alle drei kamen aber erst im Alter von 15 oder 16 Jahren zu RB, nachdem sie bereits in Nachwuchsleistungszentren anderer Profiklubs ihre Ausbildung begonnen hatten.

RB ist dafür bekannt, spätestens ab der U 17 erhebliche Summen auszugeben für die Nachwuchsspieler anderer Klubs. Vor zwei Jahren zahlte Leipzig rund eine Million Euro für den 16 Jahre alten Norweger Jonathan Norbye, der gerade in der zweiten Liga bei Arminia Bielefeld Spielpraxis sammeln soll.

In Leipzig ist eine solche Möglichkeit nicht gegeben. Zwischen U-19-Bundesliga und den Profis gibt es keine Mannschaft, in der junge Talente regelmäßig spielen können. RB hat sich bewusst aus Kostengründen gegen eine U 23 entschieden, so wie andere Bundesligaklubs auch.

Ein umstrittener Schritt, weil er voraussetzt, dass die Talente nach dem Ende ihrer Zeit in der A-Jugend gleich bereit sein müssen für den Bundesligakader. Im Alter von 19 Jahren sind aber die Wenigsten so weit entwickelt. Weder körperlich noch sportlich. Der Sprung ist deutlich zu groß. Erst recht, wenn es sich wie im Fall von RB Leipzig um einen mit internationalen Spitzenfußballern besetzten Kader handelt. Deniz Undav, Stuttgarts Angreifer, spielte nach dem Ende seiner Jugendzeit zuerst in der viertklassigen Regionalliga, ehe er Liga für Liga aufstieg und es schließlich zum Nationalspieler brachte.

Leipzigs Talente haben gemerkt, dass sie anderenorts größere Chancen auf eine Profikarriere besitzen. Winners Osawe, U-17-Weltmeister mit Deutschland 2023, verließ RB im Sommer 2024 in Richtung Nürnberg. Dort spielt der 19-Jährige regelmäßig in der zweiten Mannschaft in der Regionalliga, bei den Profis in der zweiten Liga hat er bereits debütiert.

Der fehlende Übergang ist in Leipzig ein Problem, die zuletzt unterschiedliche Ausrichtung ein anderes. Auf der Position des NLZ-Leiters herrschte in den vergangenen Jahren eine hohe Fluktuation. Vor Wagner besetzte Manuel Baum die Stelle, vor Baum hatte es eine Doppelspitze, bestehend aus Sebastian Kegel und Christian Streit, gegeben.

Jürgen Klopp soll Sinnkrisen verhindern

Kegel und Streit wiederum hatten Frieder Schrof abgelöst. „Wir benötigen mehr Kontinuität auf den Führungspositionen“, sagt Wagner. Intern bemängeln etliche Jugendtrainer, dass in der Vergangenheit zu viel in Zusammenhang mit den Profis gebracht wurde. Spielten die schlecht oder blieben die Ergebnisse aus, wurde auch in der Akademie alles infrage gestellt.

Zukünftige Sinnkrisen soll der neue RB-Fußballchef Jürgen Klopp verhindern. „Durch ihn sind wir angehalten, eine gewisse Art von Fußball zu spielen“, sagt Wagner. Zu den Vorgaben gehört, dass alle RB-Jugendmannschaften mit einer Viererkette spielen und der Fokus darauf liegt, Flügelspieler zu entwickeln, die ihre Stärken im Eins-gegen-eins haben.

Ob das ausreicht, um zukünftig mehr Spieler zu Profis zu machen? Gegner VfB Stuttgart, aus dessen Akademie Joshua Kimmich, Serge Gnabry und Timo Werner stammen, unterhält eine zweite Mannschaft. Die spielt in der dritten Liga, am Samstag tritt sie beim SSV Ulm an. Vor rund 15.000 Zuschauern, unter Profibedingungen.

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